Vor dem Spiel gegen seinen Ex-Verein spricht Darmstadts Slobodan Rajkovic über die Zeit beim HSV, Coach Bruno Labbadia und sein Image.

Zweckmäßig“ ist wohl noch die charmanteste Beschreibung, mit der man Darmstadts in die Jahre gekommenen Presseraum im Stadion am Böllenfalltor beschreiben kann. Ein Kellergewölbe mit Linoleumboden, ein paar Neonröhren und nicht verputzte Wände. Ganz hinten in der Ecke steht ein Tisch – der „Interview-Tisch“. Nach ein paar Minuten kommt der frischgeduschte Slobodan Rajkovic, 26, durch die für den 1,91-Meter-Hühnen viel zu tiefe Tür. „Hallo, alles klar?“, fragt der frühere Hamburger, dessen Vertrag nach vier Jahren beim HSV im Sommer nicht verlängert wurde. Einen Monat nach dem offiziellen Ende der Transferfrist unterschrieb der vertragslose Serbe schließlich einen Zweijahresvertrag bei Aufsteiger Darmstadt 98, wo er nach ein paar Wehwehchen zu Beginn und einem Kurzeinsatz im Pokal nun auf sein Saisondebüt am Sonnabend (18.30 Uhr) hofft – natürlich gegen den HSV.

Hamburger Abendblatt : Herr Rajkovic, wie viele Anrufe oder SMS aus Hamburg erhielten Sie in den vergangenen Tagen?

Slobodan Rajkovic: Viele. Sehr viele. Vor allem von Journalisten ...

… und nicht von Ihren alten Kollegen?

Rajkovic : Doch. Gojko Kacar, Jaroslav Drobny und auch Ivica Olic haben mal durchgeklingelt. Ich freue mich darauf, sie am Sonnabend wieder zu treffen.

Ihr später Wechsel nach Darmstadt hatte viele überrascht, weil bereits Ihr Transfer zu PAOK Saloniki als perfekt vermeldet wurde.

Rajkovic : Und das hat mich überrascht. An der ganzen Sache war nichts dran. Trotzdem habe ich im Sommer bei Wikipedia gelesen, dass ich einen Vertrag bei PAOK unterschrieben hätte. Dort wurde sogar mein angebliches Gehalt veröffentlicht. So sollte ich in Saloniki angeblich 800.000 Euro verdienen, obwohl es nie ein wirkliches Angebot gab.

Und wie kam es, dass Sie dann ausgerechnet in Darmstadt unterschrieben?

Rajkovic : Ich hatte vom ersten Moment an das Gefühl, dass dieser Verein und ich einfach gut zueinander passen. (Rajkovic zieht sein Handy aus der Hosentasche, zeigt ein Bild von sich aus seiner HSV-Zeit, auf dem er mit einem völlig verdrecktem Trikot zu sehen ist.) Schauen Sie sich dieses Bild an. Das hängt noch immer irgendwo im Volksparkstadion. (Mit Daumen und Zeigefinger vergrößert er das Bild auf seinem Smartphone. Neben dem Foto steht das Schlagwort „Siegeswille“, darunter der Satz „Ich will immer siegen.“) Das bin ich. Ich bin es gewohnt, für meine Ziele zu kämpfen. Ich liebe es zu kämpfen. Deswegen hatte ich so großen Bock auf das Projekt Darmstadt 98.

Stimmt es, dass man in Darmstadt potenziellen Neuzugängen zuerst immer demonstrativ die alten Kabinen zeigt, damit sie wissen, auf was sie sich einlassen?

Rajkovic : Das stimmt wirklich. Mir wollte man auch alles zeigen, aber mir war das nicht so wichtig. Das habe ich dem Trainer auch genauso gesagt. Mir ging es nicht um die Ausstattung, sondern um die Atmosphäre in der Kabine. Man kann noch so viel Luxus bei einem Fußballclub haben, aber wenn es in der Kabine nicht stimmt, dann stimmt es auch nicht auf dem Rasen.

Sie haben als 17-Jähriger beim FC Chelsea unterschrieben, in den vergangenen vier Jahren spielten Sie beim HSV. Ist Darmstadt eine andere Fußball-Welt?

Rajkovic : Es ist eine andere Welt, aber das stört mich überhaupt nicht. Ursprünglich komme ich schließlich aus Serbien und nicht aus einer kuscheligen Chelsea-Wohlfühloase. Natürlich kann man nun rummäkeln, dass Darmstadt ein Rückschritt in meiner Karriere sei. Erst der Weltclub Chelsea, dann der große HSV und nun „nur“ noch Darmstadt 98. Aber so sehe ich das überhaupt nicht. Hier wird ehrlicher Fußball geboten. Kein Schnickschnack.

Haben Sie eine plausible Erklärung dafür, warum Darmstadt mit diesem schnickschnacklosen Fußball Erfolg hat?

Rajkovic : Wir wissen, was wir können. Aber wir wissen auch, was wir nicht können. Wir versuchen gar nicht erst, irgendwas Super-Besonderes zu machen. Wir spielen einen relativ simplen Fußball. Und wir leben von altbekannten Tugenden: Jeder hilft dem anderen, es gibt keinen Neid. Es klingt banal, aber Fußball ist manchmal banal.

Ist Darmstadt 98 der fußballromantische Beweis, dass Mentalität eben doch Qualität schlägt?

Rajkovic : Das klingt jetzt aber wirklich sehr fußballromantisch. Mentalität ist wichtig, Qualität aber auch. Am besten ist, wenn beides in einer Mannschaft vorhanden ist.

Der HSV hat in den vergangenen Jahren immer sehr viel Geld für sehr wenig Erfolg ausgegeben. Hatte der HSV ein Mentalitäts- oder ein Qualitätsproblem?

Rajkovic : An der Qualität der einzelnen Spieler lag es bestimmt nicht. Aber irgendwie hatte sich in Hamburg diese Mentalität eingeschlichen, dass kleine Erfolge vorschnell gefeiert wurden. Es war immer eine Achterbahn aus Erfolg und Misserfolg. Doch ein Club wie der HSV muss den Anspruch haben, in jedem Spiel ein gewisses Level abzurufen. Das haben wir lange Zeit nicht geschafft – und deswegen hatten wir Probleme.

In vier Jahren in Hamburg hatten Sie neun HSV-Trainer und drei Sportchefs. Haben Sie das Gefühl, dass der HSV mit Bruno Labbadia nun endlich zur Ruhe kommt?

Rajkovic : Das weiß ich nicht. Ich weiß aber, dass Labbadia der beste HSV-Trainer ist, der mich trainierte. Und ich hatte viele Trainer in Hamburg...

Was macht Labbadia so besonders?

Rajkovic : Er ist eben ein toller Trainer. Aber ganz ehrlich: Warum reden wir eigentlich die ganze Zeit über den HSV?

Weil Sie mit Darmstadt am Wochenende auf Ihren Ex-Club treffen, für den Sie vier Jahre lang gespielt haben und mit dem Sie vier Jahre lang unglaublich viel erlebt haben...

Rajkovic : Das mag ja sein. Aber ich bin doch jetzt bei Darmstadt. Der HSV ist meine Vergangenheit, Darmstadt ist meine Zukunft. Und wen interessiert die längst abgehakte Vergangenheit?

Dann lassen Sie uns kurz über die jüngere Vergangenheit sprechen: Wie schwer war der vergangene Sommer für Sie, als Sie monatelang nicht wussten, wie es mit Ihnen weitergehen wird?

Rajkovic : Sehr schwer. Ich hatte zwar einige Angebote, aus Italien zum Beispiel. Aber ich wollte unbedingt in Deutschland bleiben. Deswegen brauchte ich dann auch nicht lange überlegen, als Darmstadt mir ein konkretes Angebot machte.

Sie hatten bislang alles andere als eine entspannte Zeit in Deutschland. Warum wollten Sie unbedingt bleiben?

Rajkovic : Ich mag den deutschen Fußball, den mochte ich schon immer. Zudem will ich das Bild, das einige Deutsche von mir haben, gerade rücken. In Hamburg war ich von Anfang an der „Bad Boy“. Das bin ich aber überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. Ich bin sehr professionell, gebe immer alles für meinen Club. Ich bin ein Kämpfer – vielleicht passe ich auch deswegen so gut nach Darmstadt.

Würden Sie den Beruf Profifußballer nach allem, was Sie erlebt haben, noch immer als Traumjob bezeichnen?

Rajkovic : Ich habe wirklich sehr viel erlebt: Ich wurde suspendiert, wurde für ein halbes Jahr in Hamburg in die zweite Mannschaft geschickt und habe mir die schlimmsten Verletzungen zugezogen, an die man als Sportler denken kann. Aber ich habe in all der Zeit nicht eine Sekunde daran gezweifelt, dass Fußballer der beste Beruf der Welt ist. Ich weiß gar nicht, wie oft ich schon am Boden lag. Aber ich bleibe nie liegen. Nichts kann mich umhauen. Ich bin ein Stehaufmännchen. Und genau das will ich jetzt auch in Darmstadt beweisen.