Hamburg. Trotz oder gerade wegen der Torflaute will der Dino ausmisten. Vor dem Spiel in Hoffenheim hofft Sven Schipplock auf seine Chance.
Es ist aber auch verflixt. Von rechts nach links (und meistens auch umgekehrt) liegen stolze 7,32 Meter zwischen rechtem und linkem Pfosten. Immerhin 2,44 Meter beträgt der Abstand zwischen Spielfeld und Querlatte. Ganz objektiv betrachtet ist so ein Fußballtor also: riesig. Doch Fußball ist selten objektiv. Und subjektiv betrachtet gibt es nur eine Sache, die noch seltener vorkommt: ein Tor. Oder besser gesagt: ein HSV-Tor.
Tatsächlich war der HSV vor dem Auswärtsspiel in Hoffenheim (Fr., 20.30 Uhr/Sky und im Liveticker bei abendblatt.de) bislang in neun Spielen gerade mal achtmal dabei erfolgreich, den essenziellen Sinn der Sportart Fußball zu erfüllen und ein Tor zu machen. Die Hamburger hatten 93 Torchancen, 80 Flanken wurden geschlagen, zehn davon kamen sogar an. Doch mit Aufsteiger Ingolstadt und dem kriselnden Nordrivalen von Werder Bremen gibt es nur zwei Clubs, die noch weniger Treffer als der HSV erzielen konnten.
Dabei ist die Hamburger Torarmut keineswegs neu. In der vergangenen Spielzeit hat es sogar bis zum sechsten Spieltag gedauert, ehe Nicolai Müller das erste Saisontor erzielen konnte. Nach 475 Minuten. Ein Bundesligarekord war das damals, immerhin.
Im Hier und Jetzt ist der HSV auch schon wieder seit knapp 500 Minuten ohne Treffer aus dem Spielverlauf. Dieser Zusatz ist wichtig, denn immerhin ein Törchen konnten die Hamburger dann doch per abgefälschtem Freistoß erzielen. Michael Gregoritsch war es. Vier Partien ist das nun her.
Vor allem Lasogga steht unter Beobachtung
„Natürlich wissen wir, dass wir in den letzten Spielen viele Torchancen hatten, die wir nicht genutzt haben“, sagt Trainer Bruno Labbadia, der frühere Torjäger. 103 Treffer erzielte er in der Bundesliga., 101 Tore in der Zweiten Liga. Labbadia war ein „Sturmgott“, so berichteten die Zeitungen damals, mit eingebauter Torgarantie. Er habe ein echtes Torjäger-Gen.
Nun forscht man in dieser Saison nach diesem Gen im Volkspark bislang vergeblich. Gut sei doch aber, so Labbadia, dass man sich Möglichkeiten herausspiele. Immerhin. Schlecht sei dagegen, das ist wenig überraschend, dass man diese nicht nutzt. „Wir müssen weiter daran arbeiten, dass wir klarer den letzten Pass spielen und die Chancen verwerten“, sagt Labbadia.
Als früherer Stürmer weiß der Trainer ganz genau, dass in dieser delikaten Angelegenheit vor allem die Offensivkräfte unter besonderer Beobachtung stehen. Allen voran Torjäger Pierre-Michel Lasogga. Als einzigem Hamburger ist dem Sturmtank in dieser Spielzeit mehr als nur ein Tor gelungen. Drei waren es, genau genommen. Lange ist das her, wenn man es ganz genau nimmt. Sechs Spiele, wenn man es ganz, ganz genau nimmt.
Schipplock lauert auf seine Chance
Man dürfe jetzt aber nicht die Nerven verlieren, sagt mit Sven Schipplock einer, der unverdächtig ist, über Lasoggas Formkrise den Mantel des Schweigens auszubreiten. Denn Lasoggas Pech könnte Schipplocks Glück sein. Könnte. Konjunktiv. Mehr nicht.
„Ich wäre der falsche Mann, wenn ich damit zufrieden wäre, immer nur ein paar Minuten ganz am Ende zu spielen“, sagt der Lasogga-Konkurrent, der nur allzu gerne mal wieder von Anfang an eine Chance bekäme.
Am liebsten natürlich in Hoffenheim. In seinem Hoffenheim, wo Schipplock vier Jahre lang auf Torejagd ging. 16 Treffer erzielte er für 1899, obwohl der Angreifer schon damals fast nur von der Bank kam. Schipplock sei der Joker mit dem Torjäger-Gen, schrieb die Agentur dpa seinerzeit.
„In den Einheiten fahre ich die Ellbogen aus, gebe Gas“, sagt Schipplock heute. Zuletzt hätten sie im Training verstärkt an den Abläufen in der Offensivbewegung gefeilt, verrät der gebürtige Reutlinger, der nur 120 Kilometer südlich von Hoffenheims Rhein-Neckar-Arena aufgewachsen ist. „Im Offensivbereich fehlte zuletzt zu oft der finale Pass“, so Schipplock. „Wir sind noch zu ungenau, so wird es für jeden Stürmer schwierig, Tore zu schießen.“
Olic im Training in der A-Elf
Dabei wissen nicht nur Schipplock und Lasogga genau, wo dieser 7,32 Meter breite und 2,44 Meter hohe Kasten steht. Auch Ivica Olic, der immerhin 72 Bundesligatreffer in 229 Spielen erzielte, könnte eine Alternative im Sturm sein. Wieder könnte. Wieder Konjunktiv. Und im Gegensatz zu Schipplock wohl kaum mehr, auch wenn der Kroate beim Training am Dienstag kurzzeitig ins A-Team rutschte.
Gerade mal 83 Saisonminuten durfte der Angreifer Nummer drei in dieser Spielzeit ran. Und damit 83 Minuten mehr als Artjoms Rudnevs und Batuhan Altintas, Angreifer Nummer vier und fünf. Altintas soll im Winter verliehen, Rudnevs verschenkt und Olic, wenn es noch mal ein Angebot aus den USA gibt, verkauft werden.
Bleiben Lasogga oder Schipplock. Oder: Lasogga und Schipplock. Auch das soll aufgrund der chronischen Torarmut ein theoretisches Denkmodell in Hoffenheim sein. „Ich bin eher unsicher, ob der Trainer sein System umstellt“, gibt sich Schipplock skeptisch. „Bis zum Wochenende gibt es noch eine ganze Reihe von Fragezeichen.“
Das Hauptfragezeichen würde Schipplock zu gerne mit einem Ausrufezeichen kontern. „Ich bin bereit für mein erstes HSV-Tor“, sagt er. „Freitagabend, Flutlicht – da gibt es doch für einen Fußballer nichts Schöneres.“
Außer vielleicht: ein Tor.