Hamburg. Erst kämpfte Piotr Trochowski um seine Gesundheit, dann um sein Geld und nun um seinen Ruf. Ein Karriere-Gespräch mit dem Ex-HSV-Profi.
Piotr Trochowskis Geschmack hat sich in den vergangenen vier Jahren kaum geändert. Der Treffpunkt für das große Abendblatt-Gespräch 2011: die Marsbar in Eppendorf. Sein vorgeschlagener Treffpunkt heute: erneut die Marsbar. Sein Getränk 2011: ein Cappuccino mit ein bisschen Zucker. Sein Getränk heute: ein Cappuccino, wieder mit ein wenig Zucker.
Wer nun aber schlussfolgert, dass sich in den vergangenen vier Jahren in Trochowskis Leben kaum etwas geändert hat, der irrt. Ganz gewaltig. Vielmehr glich Trochowskis Leben einer Achterbahn mit steilen Aufstiegen, noch steileren Abfahrten und dem einen oder anderen Looping zwischendurch. Nur darüber reden, das durfte er nicht. „Es war nicht leicht für mich, nicht einfach offen über alles sprechen zu können“, sagt der 31-Jährige, der noch vor vier Jahren nicht genug über sein Glück mit Sevilla reden konnte.
Rückblick: Im Sommer 2011 gibt Trochowski nach sechs Jahren beim HSV voller Vorfreude seine Entscheidung, in die Primera Division zum FC Sevilla zu wechseln, bekannt. „Entscheidend war für mich, dass sich Sevilla sehr energisch um mich bemüht hat“, berichtete ein beeindruckter Trochowski, der euphorisiert auf dem Weg in die Marsbar eine spanische Sprach-CD gehört hatte. Eine neue Sprache, ein neues Land, eine neue Herausforderung – Trochowski war begeistert.
Alle Höhen und Tiefen des Profigeschäfts mitgemacht
Vier Jahre später ist von der Begeisterung nichts übrig geblieben. Der Wahl-Hamburger, der noch immer nur einen Freistoß von der Marsbar entfernt wohnt, hat alle Höhen und Tiefen des Profigeschäfts im Zeitraffer mitgemacht: gewechselt, gefeiert, gegen Barcelona und Madrid getroffen, schwer verletzt gelitten, um das Karriereende gezittert, gekämpft, wieder gespielt und plötzlich nicht mehr gewollt.
„Für mich war das eine komische Situation. Auf der einen Seite fühlte ich mich noch als Spieler von Sevilla, auf der anderen Seite wurde mir gesagt, dass ich kein Spieler von Sevilla mehr bin“, sagt Trochowski, für den das Aus in Sevilla vor einem Jahr völlig überraschend kam. „Unser Sportdirektor, Herr Monchi, kam zwei Wochen vor Transferfrist auf mich zu und sagte mir im Trainingslager, dass wir reden müssten. Und ich dachte, dass es möglicherweise um einen Vertragsverlängerung gehen sollte.“ Ein Irrglaube. Monchi sagte Trochowski, dass er sich einen neuen Club suchen solle. „Aber mir war klar, dass ich zu jenem Zeitpunkt keinen neuen Job gefunden hätte, weil es sehr kurzfristig und ich leicht verletzt war. Eine Vertragsauflösung in Sevilla wäre gleichbedeutend mit sofortiger Arbeitslosigkeit gewesen.“
Die Verantwortlichen des FC Sevilla ließen nicht locker, suchten in ganz Europa nach einen Abnehmer für den Ex-Nationalspieler. „Mir wurde gesagt, dass sie einen Club in der Ukraine für mich gefunden hätten. Und ich dachte mir nur: Ukraine? Da ist doch gerade Krieg! Da gehe ich auf keinen Fall hin!“
Geldsorgen muss sich Trochowski keine machen
Trochowski lehnte ab – mit der Folge, dass der FC Sevilla fortan Trochowski ablehnte. „Man sagte mir, dass ich am nächsten Tag nicht wiederzukommen bräuchte.“ Doch der einstige WM-Teilnehmer kam trotzdem. „Der Teammanager forderte mich dann auf, meine Sachen mitzunehmen.“ Statt seine Sachen mitzunehmen, rief Trochowski umgehend seinen Anwalt und seinen Berater an. „Mein Anwalt hat mir gesagt, dass ich meine Arbeitskraft weiter anbieten müsse; so sagt man das wohl in der Juristensprache.“
Mit der Juristensprache kennt sich Trochowski mittlerweile fast besser aus als mit der Fußballersprache. „Man geht ja immer von der deutschen Rechtsprechung aus und denkt, dass der Fall klar ist. Aber in Spanien gelten andere Gesetze.“ Trochowski lacht. Obwohl der Prozess noch immer nicht abgeschlossen ist und im September die nächste Gerichtsverhandlung in Sevilla terminiert ist, kann der Fußballer über die ganze Sache schon wieder lachen. „Sevilla hat die Gehaltszahlungen umgehend im vergangenen Sommer eingestellt. Ich habe also genau ein Jahr keinen Cent mehr bekommen.“
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Geldsorgen muss sich Trochowski trotzdem keine machen. Der frühere Mittelfeldstar hat beim HSV und in Sevilla gut verdient. Doch Trochowski geht es längst nicht mehr ums Geld, es geht um seinen Traum, um seinen Beruf, um Fußball. „Man wird auch demütig. Man weiß mehr zu schätzen, was man doch eigentlich für ein Glück mit seinem Beruf hat“, sagt der gebürtige Pole, der im Alter von fünf Jahren mit seinen Eltern als Aussiedler aus Tczew ausgewandert ist. Schon damals haben er und seine Familie nicht gewusst, was sie erwarten würde. 1994 drohte sogar die Abschiebung, Klassenkameraden demonstrierten auf dem Rathausmarkt. Da habe auch er das Kämpfen gelernt. „Jetzt bin ich mir mehr sicher denn je, dass mein Kampf nicht umsonst gewesen ist. Ich möchte unbedingt noch Fußball spielen.“
Dafür bringt Trochowski Opfer. Weil er ein Jahr lang vom Training freigestellt war, hat er sich sein eigenes Training organisiert. Täglich macht er Athletik- und Krafttraining, geht Joggen, arbeitet in der Physiotherapiepraxis von Uwe Eplinius. „Das Problem ist, dass die meisten Clubs gar nicht genau über mich Bescheid wissen. Sie denken alle, dass ich nun zwei Jahre lang verletzt war. Dabei habe ich in der Saison 2013/14 als wir die Europa League gewonnen haben, 27 Spiele bestritten und bin auch nach dem Eingriff zur Plattenentfernung mittlerweile wieder topfit.“
Topfit alleine reicht nicht
Doch topfit alleine reicht nicht. Aus dem umworbenen Nationalspieler von einst ist ein Fußballer im Wartestand geworden. „Ich telefoniere nun fast jeden Tag mit meinem Berater, warte auf ein Angebot“, sagt Trochowski, der sich auch für ein Probetraining nicht zu schade ist. „Einige würden nach 35 Länderspielen vielleicht sagen, ich muss mir das nicht mehr antun, ich mache kein Probetraining. Aber ich bin gerne dazu bereit, weil ich nichts mehr will, als weiter Fußball zu spielen.“
Auch im vergangenen Jahr, als er professionell nicht Fußball spielen durfte, konnte er darauf nicht verzichten: auf den grünen Rasen, den Ball, das Geräusch, wenn das Tornetz zappelt. Immer Sonntags kickte Trochowski mit seinem Bruder und Freunden auf einem Platz von Victoria Hamburg, einfach nur zum Spaß. „Mich bringt so eine Situation nicht aus der Ruhe“, sagt Trochowski, was natürlich nur bedingt stimmt. Denn auch er hatte ans Aufhören gedacht. „Klar kamen derartige Gedanken mal hoch, insbesondere während meiner Verletzungszeit.“ Was er in dieser Zeit gelernt hat? „Am Ende hängt viel von der eigenen Einstellung ab, und man entscheidet immer selbst. Ich habe entschieden, dass ich meine Karriere noch nicht beenden will.“
Deswegen wartet er ab, telefoniert mit seinem Berater und wartet wieder ab. „Ich bin ganz ruhig. Viele Mannschaften holen erst gegen Ende der Transferfrist ihre Spieler, wenn sie einen besseren Überblick über ihr Budget haben“, sagt Trochowski, der noch immer klare Vorstellungen hat. „Ich will in die Erste Liga, aber ich bin auch offen für andere Länder wie England, Frankreich oder Italien.“ Eine Ausnahme macht er dann aber doch: „Nur bei Spanien bin ich ein wenig vorsichtig geworden. Immerhin kann ich jetzt ziemlich gut Spanisch. Und wenn es am Ende ein anderes Land werden sollte, dann lerne ich eben noch eine andere Sprache. Ich bin da ganz entspannt.“
Natürlich hat er auch mal was vom HSV gehört. „Es gab immer wieder losen Kontakt, auch mit Didi, aber keine konkreten Gespräche.“ Doch wenn Trochowski in all der Zeit eines gelernt hat, dann ist das Geduld: „Fußball ist ein verdammt schnelllebiges Geschäft. Heute bekommt man einen Anruf, und morgen ist man schon unterwegs.“
Und dann geht die wilde Fahrt weiter. Denn das Gute an der Achterbahn ist doch: Wenn man erst einmal ganz unten ist, dann geht es nur noch in eine Richtung. Nach oben. Steil nach oben.