Hamburg . Ausgerechnet die einst Aussortierten, allen voran Torschütze Ilicevic und wahrscheinlich auch van der Vaart, sollen das Unmögliche möglich machen.
Am Freitag war die Welt im Volkspark für ein paar Stunden wieder in Ordnung. Auf dem grünen Rasen wurde ansehnlicher Fußball geboten, es fielen Tore am Fließband und am Ende eines langen Tages wurde sogar noch gegrillt. Unglücklicherweise waren es nur nicht die Hamburger Fußballprofis, die die abgelaufene Saison mit einem kurzweiligen Turnier ausklingen lassen wollten, sondern 17 Partner des HSV. Beim traditionellen Sponsorencup konnten zumindest die rund 200 Teilnehmer für ein paar Stunden vergessen, was seit Donnerstag ganz Hamburg zu beschäftigen scheint. Im Prinzip ist es nur eine Frage, die spätestens nach dem ernüchternden 1:1 im Relegationshinspiel gegen den KSC der ganzen Stadt keine mehr Ruhe lässt: Ist dieser HSV noch zu retten?
„Wir sind immer wieder aufgestanden, das werden wir auch am Montag noch mal beweisen“, gab Trainer Bruno Labbadia am Freitagmittag eine eindeutige Antwort. Der Coach stellte sich nach dem Vormittagstraining in den Katakomben der Arena vor eine Traube von Kameras und machte das, was er mit beeindruckender Überzeugung seit seiner Verpflichtung vor knapp sechs Wochen macht: gute Miene zum bösen Spiel. Das Rückspiel am Montagabend in Karlsruhe (19 Uhr/ARD, Sky) werde „ein Nervenspiel, ein echtes Finale“, sagte der Fußballlehrer, der auch nach der jämmerlichen Leistung im Hinspiel keine wirklichen Zweifel aufkommen lassen wollte: „Meine Mannschaft hat Moral bewiesen. Wir waren am Boden und sind wieder aufgestanden.“
Labbadia: „Mannschaft hat noch Moral“
Selbstverständlich hatte Labbadia recht. Tatsächlich lag sein Team am Abend zuvor am Boden – und stand nur durch Ivo Ilicevics fulminanten Rechtsschuss in der 73. Minute wieder auf. „Das war vielleicht das wichtigste Tor meiner Karriere“, sagte der glücklich Kroate Minuten später, nachdem er jenen Treffer erzielt hatte, der den HSV vor dem Rückspiel am Montag am Leben hält. Es war einer dieser Momente, nach dem TV-Kommentatoren gerne das Wort „ausgerechnet“ benutzen. Ausgerechnet Ilicevic! „Ich habe über weite Strecken der Saison keine Rolle gespielt, durfte im Winter nicht mal mit ins Trainingslager“, sagte der ab 1. Juli Ablösefreie. Dass also ausgerechnet er zuvor noch als Hamburgs letzter Hoffnungsträger herhalten muss, darf gut und gerne als symptomatisch für den HSV der Saison 2014/2015 bezeichnet werden.
HSV darf weiter hoffen: Ilicevic hält den Dino am Leben
„Auch gegen Karlsruhe standen wieder vier Spieler auf dem Platz, die ab Sommer keinen Vertag haben. Das zeigt doch, dass diese Mannschaft trotzdem Moral hat“, sagte Labbadia, der Ilicevics Schuss ins Glück ganz pragmatisch als „logische Folge“ bezeichnete. „Ivo war von Anfang an gut im Spiel. Er hat Leute auf sich gezogen, das eins gegen eins gesucht und diese Situationen auch klasse gelöst“, lobte Labbadia seinen offensiven Mittelfeldmann, der bereits vor Wochen Bescheid bekam, dass der HSV ohne ihn plant.
Damit ist der 28 Jahre alte Offensivallrounder allerdings nicht allein. Gleiches gilt auch für Heiko Westermann, Gojko Kacar und Slobodan Rajkovic, die allesamt im Hinspiel gegen Karlsruhe von Anfang an spielten, genauso wie für Marcell Jansen und Rafael van der Vaart, der möglicherweise im Rückspiel doch zu seinem nicht mehr für möglich gehaltenen Abschiedseinsatz kommt. „Natürlich ist Rafa eine Option. So viel Auswahl haben wir nicht, da ist jeder eine Option“, sagte Labbadia, der sich nach der Gelbsperre für Kacar in Karlsruhe als Ersatz zwischen van der Vaart und dem immer noch angeschlagenen Petr Jiracek entscheiden muss. Und wirklich große Hoffnung auf einen Einsatz Jiraceks schien Labbadia am Freitag nicht zu hegen: „Petr hat noch Probleme.“
Labbadia nimmt Elfmeterschießen ins Trainingsprogramm auf
Ausgerechnet die Aussortierten sollen es also richten. Zunächst Westermann und Kacar, am Montag dann voraussichtlich van der Vaart, Rajkovic und Ilicevic. „Viele von uns waren am Boden, wir waren weg, mussten zur zweiten Mannschaft. Aber keiner hat sich hängen lassen, wir haben weiter gekämpft – und ich hoffe, dass wir dafür jetzt belohnt werden“, sagte Kacar, der mit dem Auto am Montag nach Karlsruhe nachreisen und seine Kollegen von der Tribüne aus anfeuern will. „Besonders für Ivo freue ich mich sehr. Auch er war weg vom Fenster, war aussortiert. Und am Donnerstag hat er gezeigt, warum er es eben doch verdient, beim HSV zu spielen.“
Ob es dieser HSV allerdings auch verdient, in der kommenden Saison noch in der Ersten Bundesliga zu spielen, wird sich erst am Montagabend zeigen. Die Ausgangslage vor dem zweiten Akt des Relegationsdramas ist relativ simpel: „Wenn wir gewinnen, dann bleiben wir erstklassig“, sagte Labbadia, der aber unerwähnt ließ, dass im Falle der Fälle auch ein Unentschieden mit mindestens zwei Toren reichen würde. Bei einer Niederlage oder einem 0:0 würde der KSC aufsteigen, bei einem 1:1 würde eine Verlängerung und eventuell sogar ein Elfmeterschießen drohen. „Diese Option müssen wir im Hinterkopf haben“, sagte der Trainer, der gegebenenfalls den platzierten Schuss aus elf Metern im Abschlusstraining am Sonntagnachmittag üben lassen will.
Wohl zu spät ist es, rechtzeitig vor dem letzten Finale der Saison noch einen durchdachten Spielaufbau einzustudieren. Auf den hatten die HSV-Anhänger nicht nur am Donnerstag in der Partie gegen den KSC vergeblich gewartet. Zwar hatten die Hamburger mehr Ballbesitz, mehr Schüsse aufs Tor, mehr Ecken, mehr Flanken und auch eine bessere Passquote. Doch Labbadias Team konnte mit all den theoretischen Vorteilen ganz praktisch nichts anfangen. Der HSV spielte uninspiriert, ohne Plan und fand gegen die bestens organisierte Deckung des KSC kaum Mittel. „Am Ende müssen wir mit so einem lauwarmen Gefühl leben“, sagte Sportchef Peter Knäbel kurz nach dem Abpfiff. Kalt wegen der Gesamtleistung, heiß wegen des hoffnungstiftenden Tores durch Ilicevic.
Nach 34 überwiegend schwachen Spielen in dieser Bundesligasaison und einer ganz und gar nicht besseren Relegationszugabe kann man es drehen und wenden, wie man will: Für viele scheint dieser HSV vor dem Rückspiel in Karlsruhe fast chancenlos. Doch genau das ist die Chance, wahrscheinlich die einzige. „Die Jungs werden ihre Chance nutzen. Ich bin mir da absolut sicher“, sagt Gojko Kacar. Das Verblüffende: Der Serbe meinte das wirklich ernst.