Bad Malente. Im Uwe-Seeler-Sportpark bereitet sich das Labbadia-Team bei Fritz-Walter-Wetter auf das Endspiel gegen Schalke vor – ein Hausbesuch.
Auf den letzten Auto-Metern glaubt man unwillkürlich, in der Vergangenheit angekommen zu sein. „SHFV Sportschule“ steht in alten Lettern über dem weiß lackierten, schmiedeeisernen Tor, zu dem neun breite Steinstufen führen. Zwischen den Fugen kämpft sich Unkraut durch. Dann rechts abbiegen, und die enge Teerstraße schlängelt sich die kleine Anhöhe hoch. Hier also soll er hausen, der berühmteste Einwohner von Malente, der von Mittwoch bis Freitag Besuch von den HSV-Profis bekommt, die sich auf das Abstiegsendspiel gegen Schalke vorbereiten werden.
„HSV tankt Hoffnung im Uwe-Seeler-Park“, titelte der Ostholsteiner Anzeiger am Dienstag auf Seite eins. Schon im ersten Absatz heißt es: „Der Geist von Malente soll im Existenzkampf helfen.“ Und auch die Lübecker Nachrichten fragten sich: „Rettet der Geist von Malente den HSV?“ Womit sich für das Abendblatt spontan die Frage stellte: Ist er überhaupt zu Hause wie während der Vorbereitung auf die WM-Titel der deutschen Nationalmannschaft 1974 und 1990?
Spurensuche. Am Eingang wird der Besucher in die Gegenwart zurückgeholt. Moderne Stadionsitze im Empfangsbereich sorgen für Fußballatmosphäre, und schon zeigt sich auch ein großzügiger Restaurant- und Loungebereich. Stehtische mit Hockern sind auf dem dunklen Holzparkett locker vor einer breiten Glasfront angeordnet. Nicht weit hinter der Anlage ist der Kellersee zu sehen. Passt ja.
Letztes öffentliches Training als Erstligist?
„Für die HSV-Spieler ist der idyllische Ort perfekt, um Ruhe zu finden, sich zu entspannen und fokussiert auf die Begegnung gegen Schalke vorzubereiten“, glaubt Geschäftsführer Tobias Kruse, der sich für eine Führung zur Verfügung gestellt hat. Vom eher spartanischen Charme der 70er Jahre (Franz Beckenbauer: „Wenn man drei Wochen hier eingesperrt ist, wird man wahnsinnig“) ist nichts mehr zu sehen oder spüren.
3,5 Millionen Euro wurden in die Renovierung und Erweiterung der Sportschule gesteckt, finanziert durch Eigenmittel des schleswig-holsteinischen Fußballverbandes (SHFV), das Land und ein Darlehen des Deutschen Fußball-Bundes. Zur Einweihung im April 2013 wurde die Anlage „Uwe Seeler-Fußball-Park“ getauft und wirbt seitdem mit dem Zusatz: „Malente macht Meister.“ Längst finden hier nicht nur Trainerlehrgänge statt, sondern auch Seminare von Firmen, Feiern, selbst Kindergeburtstage.
Kruse, ein gebürtiger Husumer, ist stolz auf den neuen Namen. „Er verkörpert für uns Werte, mit denen wir uns identifizieren: Verlässlichkeit, Bescheidenheit, Loyalität.“ Launiges Geschenk an „Uns Uwe“: In Zimmer 38 genießt Seeler ein lebenslanges Nutzungsrecht. Kruse gewährt uns einen Blick. Gepflegt, zweckmäßig wirkt der 16 Quadratmeter große Panorama-Raum mit Blick auf die gepflegten Rasenplätze (einer davon mit Kunstfaser). Es ist eines von 16 Comfortzimmern (sieben Einzel-, neun Doppelzimmer), die der HSV nutzen wird.
In jedem Zimmer hängen Fotos früherer Nationalspielern. Ein Teil der (inklusive Betreuer) 40-köpfigen HSV-Crew logiert im Altbau. Luxus? Den sucht man hier vergeblich bei einer Bettenbreite von einem Meter. Dafür finden sich viele liebevolle Details mit Sportbezug. Wer seine Ruhe haben will, muss ein Schild vor die Tür hängen: „Bitte nicht stürmen!“ Die vier Besprechungsräume tragen den Namen der Endspielorte Bern, München, Rom und Rio.
Der HSV hat die komplette Anlage mit seinen 56 Betten angemietet. Eine Prüfung für Kinder- und Jugendtrainer, die ursprünglich am Mittwoch hier geplant war, musste auf das unweit gelegene Gelände des Landessportbundes verlegt werden. Der Wellness-Bereich ist klein, aber fein: eine finnische, eine Bio-Sauna, ein Ruheraum.
Wenn Bruno Labbadia in der Abgeschiedenheit der holsteinischen Schweiz seine taktischen Übungen durchführen wird, haben nur wenige Nachbarn die Chance, einen Blick zu erhaschen: Auf einer Wiese tummeln sich Pferde, Häuser begrenzen die Anlage auf der anderen Seite, hinter dem Sportpark-Komplex beginnt der Wald.
HSV verliert Abstiegskrimi gegen Stuttgart
Klaus Jespersen ist so etwas wie das Urgestein der Sportschule: seit 32 Jahren arbeitet der heutige Jugend- und Bildungsreferent schon in Malente. „1986, als Franz Beckenbauer die Nationalmannschaft auf die WM in Mexiko vorbereitete, hatten wir nur ein zentrales Telefon im ganzen Haus. 1990 gab es zwar schon Handys, nützte den Spielern aber nichts.“ Funkloch.
Noch ganz genau erinnert sich Jes-persen an Zimmer 13, das von Lothar Matthäus und Andreas Brehme bewohnt war. Während sich woanders die dreckigen Trainingsklamotten zu Bergen türmten, war hier alles penibel sortiert, sogar mit Plastikfolie unter den Schuhen an der Heizung.
Berühmtheit erlangte Malente aber vor der WM 1974, als der „Geist von Malente“ nach der 0:1-Niederlage im Gruppenspiel gegen die DDR geboren wurde. Die Spieler saßen bis spät in der Nacht in der Küche, zechten und sangen gemeinsam. „Wir haben ,Nun Brüder, eine gute Nacht‘ angestimmt“, erinnert sich Berti Vogts.
Die Gemeinde pflegt ihr Markenzeichen bis heute. Ende der 70er-Jahre illustrierte der Künstler Dieter Rose ein Motiv mit einem Geist in den Farben der Deutschland-Fahne, der über dem See Fußball spielt. Vor der WM 2006 überreichte Bürgermeister Michael Koch mit dem Verbands-Vizepräsidenten Hans-Ludwig Meyer in Frankfurt eine Kunstplastik als Glücksbringer in der DFB-Zentrale. „Die Bahn hat uns damals sogar einen Sitzplatz für die Geist-Figur gesponsert“, erinnert sich Koch schmunzelnd, der das Bürgermeister-Amt noch immer bekleidet. Dass er als gebürtiger Hamburger dem HSV die Daumen drückt im Abstiegskampf? Ehrensache.
Koch weiß aber auch um die Werbewirkung, sollte der Bundesliga-Dino nach dem Kurz-Trainingslager die Klasse halten. Schließlich wäre für die heilenden Kräfte des beliebten Kurortes (380.000 Übernachtungen jährlich) ein weiterer Beleg gefunden. „Der Geist verkörpert eine ganze Menge: Mannschaftsgeist, Energie, Zusammenhalt“, so Koch.
Bleibt die Frage: Wo könnten Lasogga & Co. während ihres Aufenthaltes den Geist spüren? Vielleicht in der Bibliothek, ein Relikt aus alten Tagen. Über den getäfelten Wänden hängen die Vereinswappen der Region, in den Regalen stapeln sich Fußballbücher, die von Glanztaten bei WM- und EM-Endrunden berichten. In dem circa 15 Quadratmeter kleinen Raum saßen Franz Beckenbauer, Günter Netzer und all die anderen Fußballgranden früher zusammen, ohne Handy, ohne Twitter, nur mit ein, zwei Weißbier, wie man sich heute noch erinnert. Ein Hauch von 1954 dürfte auch über den Uwe-Seeler-Fußballpark wehen. Für heute sind 13 Grad und Regenschauer in Malente angesagt. Fritz-Walter-Wetter.