Hamburg. Der ehemalige Mainzer Coach ist für Beiersdorfer und Gernandt der letzte Trumpf. Doch vorher muss Knäbel den Klassenerhalt schaffen.

Von der glorreichen Vergangenheit des HSV war am Montagmorgen nicht mehr viel übrig geblieben. Mladen Petric war nicht mehr da, auch Mehdi Mahdavikia und Timothee Atouba waren bereits abgereist. Und natürlich waren auch die Reste der großen David-Jarolim-Verabschiedung im Stadion längst beseitigt, als es im Hier und Jetzt rund um den Volkspark weniger um das Gestern als vielmehr um das Morgen des HSV ging. Und spätestens seit diesem Wochenende hat die Zukunft des Clubs auch ganz offiziell einen Namen: Thomas Tuchel.

„Der HSV wäre bereit, ein Konzept mit Thomas Tuchel zu gehen. Das wäre sicherlich eine Option, die wir sehr intensiv und sehr detailliert für uns durchdekliniert haben“, hatte Aufsichtsratschef Karl Gernandt in einer unmissverständlichen Offenheit dem „NDR-Sportclub“ gesagt. Das gegenseitige Interesse zwischen dem HSV und Tuchel war zwar nicht neu, die öffentliche Bekanntgabe dagegen schon. Auch Clubchef Dietmar Beiersdorfer gab ungewohnt direkt zu: „Es ist bekannt, dass wir Gespräche hatten.“ Und wie das Abendblatt nun erfuhr, ging es in diesen Gesprächen sehr viel detaillierter zur Sache als bislang angenommen. So ist bereits klar, dass im Falle einer immer wahrscheinlicher werdenden Einigung Tuchel die Möglichkeit gegeben wird, einen eigenen Stab mit nach Hamburg zu bringen. Definitiv dazugehören würde sein früherer Co-Trainer Arno Michels. „Wir werden unseren Weg gemeinsam weitergehen und neue Ideen und Überlegungen in unsere Arbeit einfließen lassen“, hatte Michels gerade erst in einem Interview mit dem Onlineportal „Spox“ angekündigt.

HSV ist Tuchels Art bekannt

Nachdem das Paket Tuchel im vergangenen September besonders HSV-Geldgeber Klaus-Michael Kühne noch zu teuer war, hat sich die Meinung der Verantwortlichen nun geändert. „Tuchel kostet viel Geld. Aber wenn er es wert ist, ist er nicht teuer“, sagte Gernandt. In den Verhandlungen vor einem halben Jahr soll der Wunschtrainer dem Vernehmen nach für sich und seinen Stab insgesamt fünf Millionen Euro gefordert haben. „Klaus-Michael Kühne, Alexander Otto und ein dritter Investor sind bereit, ordentliche Beträge auf den Tisch zu legen“, so Gernandt im NDR. Und auch Tuchels Image als herausragender, aber nicht ganz pflegeleichter Trainer stört in Hamburg offenbar niemanden. Im „Kicker“ hatte Mainz’ früherer Torhüter Heinz Müller seinen Ex-Trainer schwer attackiert: „Tuchel war ein Diktator. Was er mit mir gemacht hat, war Mobbing hoch zehn“, hatte der einst von Tuchel aussortierte Keeper geschimpft.

Den HSV-Verantwortlichen ist Tuchels nicht ganz einfacher Führungsstil bekannt. Doch das stört sie nicht – im Gegenteil. Beiersdorfer und Gernandt sind längst zu der Gewissheit gekommen, dass Tuchel eine Art letzter Trumpf ist, den HSV noch zu retten. Das Problem: Bevor Tuchel den HSV tatsächlich in eine bessere Zukunft führen könnte, muss zunächst die Gegenwart gesichert werden.

Knäbels Zukunft bei Abstieg unsicher

„Ich bin mir der Schwere der Aufgabe bewusst“, hatte Manager Peter Knäbel gesagt, als er sich in der vergangenen Woche bereit erklärt hatte, in Personalunion auch als Trainer das Vakuum bis zum Sommer zu überbrücken. Gelingt die Rettung allerdings nicht, droht der Super-GAU. Tuchel würde sich kaum die Zweite Liga antun, und auch Knäbels Verbleib wäre trotz Beiersdorfers Treueschwur unsicher. „Wenn Peter derjenige ist, der die Uhr im Stadion abstellt, wird sein Gesicht mit einer solchen Niederlage zusammengebracht. Es wird schwer, wieder positive Stahlkraft rauszuholen“, hatte Gernandt gesagt. Eine sehr direkte Aussage, die aber vor allem HSV-Chef Beiersdorfer sehr geärgert hat.

Keinen Zweifel daran, dass Knäbel die „Mission impossible“ meistern kann, hat einer der wenigen, die den Trainer-Manager tatsächlich als Coach kennen. „Man hat sehr schnell gemerkt, dass Peter ein gewisses Talent fürs Coaching hatte“, sagt Axel Thoma, der vor 15 Jahren Knäbels Co-Trainer beim FC Winterthur war. Knäbel und Thoma fingen im Sommer 1998 gemeinsam als Spielertrainer beim Schweizer Absteiger an, nachdem der ganze Club in der Sommerpause zuvor auf links gedreht worden war. „Es wurde so ziemlich alles geändert, was man ändern kann“, sagt Thoma im Gespräch mit dem Abendblatt. „Im Nachhinein denke ich, dass Peter nur deswegen kein Trainer geblieben ist, weil er durch sein strategisches und konzeptionelles Denken eher als Sportdirektor geeignet war.“ Im Klartext: Knäbel war zu schlau. „Seine Ausbildung als Trainer hat ihm in seinem späteren Job als Sportdirektor aber sicher geholfen. Und die kurzfristige Doppelbelastung dürfte nun kein Problem sein. Wenn einer hin und her in seinen Jobs wechseln kann, dann der Peter“, sagt Thoma, der heute als Sportlicher Leiter beim Grasshopper Club Zürich arbeitet.

Diplomarbeit über Kinderfußball

Knäbel sei zunächst extrem durch die deutsche Trainerausbildung und erst später von der Schweizer Schule geprägt gewesen. Als der frühere St. Paulianer in Winterthur anfing, hatte Knäbel nur die deutsche A-Lizenz. Erst während seiner Zeit als Co-Trainer machte er dann parallel die Fußballlehrerlizenz in der Schweiz bei Trainerlegende Dany Ryser und schloss mit Bestnote ab. Das Thema seiner Diplomarbeit: Spielsysteme im Kinderfußball.

In den kommenden Wochen wird sich Knäbel allerdings verstärkt sehr erwachsenen Problemen beim HSV widmen müssen. Kann er diese lösen, wäre nicht nur die Gegenwart gesichert. Im Falle des Klassenerhalt würde der HSV nicht nur von einer glorreichen Vergangenheit träumen, sondern auch von einer hoffnungsvollen Zukunft. Mit Knäbel. Und mit Tuchel.

Der HSV nimmt erneut am Telekom Cup teil. Die siebte Cup-Auflage findet am 12. Juli in Mönchengladbach statt. Mit dabei sind neben dem HSV und Gladbach auch Bayern und ein weiterer Bundesligist.