Hamburg. Die HSV-Trainer-Sportchef-Lösung als Nachfolge von Joe Zinnbauer sorgt in der Branche für viel Kopfschütteln und große Zweifel.
Peter Knäbel ist urlaubsreif. Das hat Hamburgs neuer Trainer-Sportchef zumindest am Montagmittag bei seinem ersten Auftritt als Nachfolger des am Vorabend freigestellten Joe Zinnbauer ganz offen zugegeben: „Ich wollte eigentlich die Länderspielpause nutzen, um einen Kurzurlaub zu machen“, sagte Knäbel. Doch nach den Ereignissen der vergangenen Tage geht es für den einstigen Wahl-Schweizer statt in die Schweizer Berge nur noch ins 230 Kilometer entfernte Osnabrück. Dort steht an diesem Donnerstag ein Testspiel zwischen dem HSV und dem VfL auf dem Programm. Es ist ein Freundschaftsspiel. Einerseits. Und es ist Knäbels erstes Spiel als Trainer nach 15 Jahren. Andererseits.
„Ich habe mich nicht aufgedrängt“, sagte Knäbel am Montagmittag, als er im überfüllten Presseraum im ersten Stock des Volksparkstadions erklären sollte, warum nun ausgerechnet er, der Direktor Profifußball, den HSV vor dem drohenden Abstieg bewahren soll. „Wir denken, dass Peter die Qualitäten hat“, präzisierte Clubchef Dietmar Beiersdorfer. „Peter ist die für uns beste Option. Wir glauben, dass er die Gabe hat, Menschen zu führen. Er ist inhaltlich und analytisch sehr stark, mutig – und er weiß, worauf es ankommt.“
Worauf es ankommt, das ist spätestens seit dem 0:1 des HSV am vergangenen Freitag mehr als klar: Der HSV ist Drittletzter, hat seit sechs Spielen nicht mehr gewonnen, insgesamt gerade mal 16 Tore geschossen und bedient – mal wieder und mehr denn je – öffentlich das Bild des Chaosclubs. „Für uns alle ist Zinnbauers Entlassung eine Niederlage“, gab auch Beiersdorfer offen zu. Daran hat auch die Entscheidung, Knäbel zum doppelten Peter zu machen, nichts geändert – ganz im Gegenteil. Das Kopfschütteln in der Liga über den strauchelnden Dino ist groß. Doch noch hat Knäbel acht Spiele Zeit, genau das zu verhindern, worauf der HSV seit Jahren mit ungebremster Geschwindigkeit zurast: den Absturz.
Als Trainer bereits auf- und abgestiegen
„Ich gehe mit großen Respekt an diese Aufgabe“, sagte der frühere St. Paulianer, der am frühen Morgen erstmals zur Mannschaft sprach („Es war sehr ruhig im Zelt“), sie anschließend im mobilen Trainingszentrum schwitzen ließ und erst am Nachmittag auf den weiß umzäunten Trainingsplatz bat (siehe Protokoll). Dort stand Knäbel zuletzt als verantwortlicher Chefcoach vor 15 Jahren: damals als Spielertrainer des FC Winterthur. In der Schweizer Provinz bewies Knäbel, dass er absteigen kann (in die dritte Liga), und dass er aufsteigen kann (zurück in die zweite Liga). Nun muss er noch beweisen, dass er auch die Klasse halten kann. Als Sportchef. Und als Trainer.
„Die Rollen von Sportchef und Trainer sind grundverschieden. Aus meiner Sicht geht Peter Knäbel ein riesiges Risiko ein“, sagt Frank Arnesen, der genau dieses Risiko vor dreieinhalb Jahren eingegangen ist. Der damalige Sportchef sprang für ein Spiel gegen den SC Freiburg ein, weil sich der HSV und der FC Basel noch nicht auf einen sofortigen Wechsel von Thorsten Fink geeinigt hatten. „Mir haben damals viele Leute abgeraten. Ich wusste, dass es riskant ist. Aber anders als im Fall von Peter wusste ich auch, dass es wohl nur für ein Spiel sein muss“, sagt Arnesen, der zugibt, dass ihn die Entscheidung des HSV überrascht habe. „Ehrlich gesagt wusste ich gar nicht, dass Knäbel mal Trainer war. Aber das ist lange her. Auch bei mir war es lange her. Ich hoffe, dass Peter weiß, welches extrem große Risiko er eingeht.“ Das hofft auch Holger Hieronymus, der in der Saison 2000/2001 als Sportdirektor für zwei Spiele (eine Niederlage und ein Remis) einsprang: „Es ist eine besondere Situation, ein schwieriges Unterfangen. Wir reden über zwei Funktionen, die parallel ausgeübt werden. Um beide richtig auszuführen, müsste der Tag ein paar Stunden mehr haben.“
Erstes Training unter Knäbel
Doch obwohl in Hamburg die Uhren anders zu ticken scheinen, hat auch hier der Tag nur 24 Stunden. Deswegen will HSV-Chef Beiersdorfer, der ab Sommer weiter auf die große Lösung mit Thomas Tuchel setzt („Ich unterhalte mich öfter mit ihm. Das ist aber nichts Neues“), Knäbel vorerst bei seiner Manageraufgabe unterstützen. „Wir haben die glückliche Konstellation, dass unser Vorstandschef den Job schon mal gemacht hat“, sagte Knäbel, der eigentlich verstärkt die Kaderplanung für Liga eins und auch zwei vorantreiben müsste. Immerhin soll daran festgehalten werden, innerhalb der Länderspielpause über die bald vertraglosen Spieler (van der Vaart, Westermann, Jansen, Kacar, Rajkovic, Ilicevic) zu entscheiden: „Bei diesem Fahrplan bleiben wir“, so Knäbel, der den passenden Co-Trainer noch sucht.
Große Skepsis innerhalb des Teams
Gespannt darf man aber vor allem sein, ob der eher sachlich-nüchterne Manager die Spieler auch emotional motivieren kann. Innerhalb des Teams war die Skepsis am Tag nach dem Trainerbeben jedenfalls groß, auch wenn dies offiziell keiner laut sagen wollte. Die Gefahr, die notwendige Managerdistanz zu den Spielern nun als Trainer zu verlieren, sieht Holger Hieronymus allerdings nicht: „Man bleibt der Vorgesetzte der Spieler, da ist per se eine gewisse Distanz vorhanden. Und egal ob man Trainer oder Manager ist, spricht man mit erfahrenen Spielern, deren Meinung einem wichtig sind.“
Der Live-Blog vom Montag zum Nachlesen
Wichtiger als je zuvor dürfte für Manager-Trainer Knäbel nun sein, wie sehr Clubchef Beiersdorfer ihm den Rücken stärkt, selbst wenn es nach den Spielen gegen Leverkusen, Wolfsburg und in Bremen zum erwarteten Fehlstart kommt. „Peter Knäbel wird auch im nächsten Jahr Direktor Profifußball beim HSV sein“, sagte Beiersdorfer, der auf Nachfrage, ob dieses Bekenntnis auch bei einem durchaus möglichen Abstieg in Liga zwei gelte, den Satz einfach mantraartig wiederholte. Ob Knäbel aber tatsächlich nach einer misslungenen Rettermission als Sportchef bleiben dürfte, muss zumindest einmal hinterfragt werden. Was gut gemeinte Bekenntnisse im Profifußball wert sind, weiß Knäbel selbst am besten. „Joe ist auch am Ende der Saison noch HSV-Trainer – davon bin ich überzeugt“, hatte Knäbel vor nicht einmal neun Wochen der „Sportbild“ gesagt.
Für Knäbels Vorvorgänger Arnesen ist die Konstellation ohnehin simpel: „Wenn du gewinnst, hast du am Ende alles richtig gemacht“, sagt der Däne, der noch am vergangenen Freitag in Hamburg war. „Wenn du aber verlierst, dann hast du alles falsch gemacht.“ Sein Ein-Spiel-Ausflug auf die Trainerbank in Freiburg endete übrigens erfolgreich: der HSV gewann 2:1 – und Arnesen ist bis heute der statistisch erfolgreichste HSV-Trainer aller Zeiten.