Nur so konnte der Spielertetat auf rund 50 Millionen Euro steigen. Der HSV-Aufsichtsratschef Karl Gernandt zieht auch ohne Investor ein positives Zwischenfazit. Außerdem ist ein neues Finanzierungsmodell für Stadion und Campus geplant.
Hamburg. Blaue Krawatte, weißes Hemd, schwarzer Anzug – Karl Gernandt wusste, was sich für einen Aufsichtsratsvorsitzenden des HSV gehört. Und auch verbal ließ Gernandt im Stadionrestaurant Raute bei seinem Zwischenfazit als Chefkontrolleur der neuen Aktiengesellschaft keine Zweifel an seinem blau-weiß-schwarzen Herz aufkommen: „Wir sind eine große HSV-Familie. Und insgesamt bin ich über den Verlauf der ersten sechs AG-Monate sehr erfreut“, sagte der 54-Jährige während seiner 90-minütigen Bilanz. „das System mit unseren vier Musketieren (Beiersdorfer, Peters, Knäbel und Zinnbauer, d. Red.) lebt. Der HSV ist auf dem richtigen Weg.“
Wie steinig dieser Weg tatsächlich ist, das gab der studierte Betriebswirt zu, habe ihn dann doch überrascht. Zwar könne er keinen „echten Roadblock“ (Straßenabsperrung) erkennen, wie Gernandt neudeutsch feststellte, aber die Suche nach einem Investor habe er völlig unterschätzt. „Dieses Thema ist viel komplexer, als sich das am Anfang dargestellt hat.“
Die Aussage überraschte insofern, weil vor der Ausgliederung die Suche nach Investoren im Wahlkampf von HSVPlus ein zentrales Thema gewesen war. Von bis zu 100 Millionen Euro hatte HSVPlus-Initiator Otto Rieckhoff geträumt, die durch strategische Partner eingesammelt werden könnten. Obwohl Gernandt bei Nachfragen nach Summen immer ein wenig zurückhaltender geblieben war, hatte er gleichzeitig wenig zurückhaltend mitgeteilt, dass spätestens bis Weihnachten mit erfolgreichen Abschlüssen zu rechnen sei. Überhaupt keinen Zweifel hatte er daran, dass Milliardär Klaus-Michael Kühne, dessen Generalbevollmächtigter er beim Hamburger Logistikunternehmen Kühne und Nagel ist, zum Anteilseigner werden würde. Das „Übergangsdarlehen“ von 25 Millionen Euro würde Kühne sicherlich in AG-Anteile umwandeln, war sich Gernandt auf Abendblatt-Nachfrage (4.8.) sicher.
Fünf Monate später ist der AG-Chefkontrolleur, der bei der Investorensuche auch ein Bankhaus eingeschaltet hat, schlauer: „Ich habe nicht geliefert.“ Warum Kühne keine Clubanteile gezeichnet habe? „Er war mit der Bewertung des Vereins nicht einverstanden.“ Ob ihn die Absage persönlich geschmerzt habe? Langes Schweigen. „Ich verstehe meine Aufgabe so, dass ich mir die Hacken blutig laufe, um eine gesunde Finanzstruktur hinzubekommen. Ich hatte gehofft, dass ich heute weiter wäre. Aber ich laufe weiter.“
Statt blutiger Hacken holte sich Gernandt – um im Bild zu bleiben – zuletzt aber nur eine blutige Nase. So muss Kühnes rechte Hand sogar befürchten, bei der Mitgliederversammlung des HSV e.V. am 25. Januar durch einen Antrag Manfred Ertels zum Rücktritt als Vorsitzender des Aufsichtsrats aufgefordert zu werden. Er selbst hält die Diskussion um einen möglichen Interessenkonflikt durch seine Doppelrolle als AG-Aufsichtsratsvorsitzender und Generalbevollmächtigter Kühnes für überflüssig. „Ich lebe davon, dass ich meine Welten trennen kann“, sagte Gernandt und erklärte: „Ich rate Herrn Kühne nichts mehr. Das hat sich verändert zu der Phase vor meiner Tätigkeit als Aufsichtsratsvorsitzender, als ich die Verträge bei den Deals mit van der Vaart, Guerrero oder Westermann für ihn ausgearbeitet habe.“
Spielertransfers im Winter möglich
Abgeschrieben habe er Kühne als möglichen strategischen Partner noch nicht. Der These, dass Kühnes Absage die Gespräche mit potenziellen Interessenten einfacher machen könnte, widerspricht er nicht. So oder so bräuchte sich niemand Gedanken zu machen, sogar Spielertransfers im Winter seien möglich: „Wir sind sorgenfrei. Anders als im vergangenen Frühjahr benötigen wir dieses Mal auch keine Bürgschaft. Wir haben kein Liquiditätsproblem.“ Konkrete Zahlen zur (noch nicht veröffentlichten) AG-Bilanz wollte Gernandt nicht nennen, aber: „Es sah mauer aus, als man sich das vorstellen wollte.“ Dass der Profietat dennoch auf 50 Millionen Euro steigen konnte, lag auch an einem privaten Darlehensgeber, der ungenannt bleiben möchte und angeblich acht Millionen Euro zuschoss. Zur neuen Saison werde der Etat deutlich sinken, kündigte Gernandt an. Ähnliches hatte er aber auch im Sommer gesagt.
Die Finanzsituation soll sich außerdem durch eine erneute Umschuldung verbessern. So verriet Gernandt, dass der HSV in Gesprächen mit Banken sei, die bis 2019 laufenden Stadionkredite mit dem Finanzierungsbedarf für den Campus zusammenzufassen und ein weiteres Mal zu strecken. Dass der HSV die Probleme nur weiter in die Zukunft schiebt, wollte Gernandt so nicht stehen lassen. „Warum müssen wir überhaupt schuldenfrei sein?“, fragte er provokant, auch mit Verweis auf die gängige Praxis in der Wirtschaft.
Also alles Friede, Freude, Eierkuchen? Nicht ganz. Dass sich mittlerweile etliche prominente HSVPlus-Befürworter abgewandt haben, habe ihn getroffen: „Mich schmerzt am meisten, dass ich nicht verstehe, wo wir einzelne Mitstreiter von HSVPlus auf unserem Weg verloren haben“, so Gernandt. Vom eingeschlagenen Weg bleibt er aber überzeugt: „Wir kriegen das hin.“