HSV-Neuzugang Nicolai Müller trifft am Sonntag auf seinen ehemaligen Club Mainz 05. Vor dem Duell übt er Selbstkritik - auch, wenn Trainer Joe Zinnbauer große Stücke auf den Vater von Zwillingen hält.
Hamburg. Ein gebürtiger Hamburger hat es vorgemacht: Eric Maxim Choupo-Moting trug vergangenes Wochenende mit zwei Vorlagen und einer überragenden Leistung gegen Ex-Club FSV Mainz entscheidend zum 4:1-Sieg seiner Schalker bei. In so manchem HSV-Fan dürfte beim Anblick des in Hamburg ausgebildeten Profis eine große Portion Wehmut aufgekommen sein, denn ein „Choupo“ in dieser Form und mit seinen Fähigkeiten verkörpert genau das, was dem Bundesliga-Dino in dieser Saison fehlt: überraschende Ideen, Durchsetzungsvermögen im Eins-gegen-eins, spielerische Leichtigkeit.
Ein anderer Ex-Mainzer spielt seit dieser Saison in Hamburg und will es seinem Bundesligakollegen aus Gelsenkirchen am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) gleichtun. Dann trifft Nicolai Müller mit dem HSV auf die Rheinhessen, doch anders als Choupo-Moting ist Müller bei seinem neuen Verein noch nicht richtig angekommen. Elf Einsätze, ein Tor, eine Torvorlage. Stark ausbaufähig, das sieht er auch selbst so. „Ich muss mich steigern, klar. Ich versuche mich jetzt jede Woche reinzubeißen und zu verbessern, dann wird auch mal wieder ein Tor rausspringen“, sagte der Offensivspieler am Dienstag selbstkritisch.
Tore wären schön, keine Frage, für ihn, für den HSV. Doch es ist derzeit nicht so, dass Müller nur das Quentchen Glück fehlt, dass er ganz nah dran wäre, bis der Knoten endlich platzt. Zu oft läuft das Spiel an ihm vorbei, den eigenen Anspruch, mit nunmehr 27 Jahren Führungsspieler zu sein, kann der zweifache Nationalspieler in Hamburg (noch) nicht erfüllen.
Dabei war sein Start recht verheißungsvoll. Aufgrund einer hartnäckigen Adduktorenverletzung konnte Müller zwar erst am dritten Spieltag eingreifen und brauchte auch ein paar Partien, um sich reinzufinden. Doch dann taute der Mann mit der Trikotnummer 27 gegen Frankfurt, Dortmund und Hoffenheim auf und zeigte, was er zu leisten im Stande ist. Tempo, Abschlussstärke, gute Ballbehandlung – doch all das ist seitdem wie weggeblasen. „Die Zahlen sind nicht top, das gebe ich zu, doch ich versuche jedes Spiel alles für die Mannschaft zu investieren und muss weiter an mir arbeiten“, verteidigt sich Müller.
Zinnbauer setzt voll auf Müller
Trainer Joe Zinnbauer hält große Stücke auf den Neuzugang. Im Gegensatz zu anderen Großverdienern lief der Vater von Zwillingen in jeder Partie unter dem neuen Coach von Beginn an auf. Auch gegen seine ehemaligen Kollegen ist mit ihm in der Startelf zu rechnen. Müller freut sich offensichtlich auf den Vergleich, bei der Frage nach dem Duell gegen Mainz zogen sich seine Mundwinkel in die Höhe. „Es ist etwas Besonderes, ich bin gespannt darauf, alle wiederzusehen“, sagte Müller, der sein neues Team in die Pflicht nimmt „Mainz hat zwar ein eingespieltes Team, das über fünf Jahre stabil aufgetreten ist, nun aber ein kleines Tief durchlebt. Das müssen wir ausnutzen.“
Dieses Tief, fünf Spiele in Folge ohne Sieg, ließ die Mainzer auf Platz zehn der Tabelle abrutschen, was angesichts des jeden Sommer wiederkehrenden Aderlasses an Top-Spielern immer noch als Erfolg zu werten ist. Manager Christian Heidel hielt auch in der schwierigen Phase zu Saisonbeginn, als sich Mainz sowohl in der Europa-League-Qualifikation als auch im DFB-Pokal blamierte, an Trainer Kasper Hjulmand fest, der dann bis zum achten Spieltag ungeschlagen blieb. Hat Mainz mit dem Verkauf von Müller für eine Ablöse von 4,5 Millionen Euro also alles richtig gemacht? „Wir vermissen ihn hier“, sagt Heidel. „Zusammen mit Choupo-Moting hat er unser Flügelspiel in der letzten Serie geprägt. Doch ich habe volles Verständnis dafür, wenn er sich als junger Familienvater in Hamburg wirtschaftlich absichern möchte. Denn finanziell können wir mit dem HSV nicht ansatzweise mithalten.“
Dass sich Müller sportlich in Hamburg schwertut, ist auch seinem Ex-Boss nicht entgangen. Doch Heidel hält nach wie vor viel von seinem ehemaligen Schützling. „Nicolai ist doch nur der Teil eines Puzzles beim HSV, das noch zusammengesetzt werden muss. Als er aus der 2. Bundesliga zu uns kam, hat er anfangs auch nicht immer überzeugt. Wer glaubt, dass er in Hamburg auf Anhieb 15 Tore schießt, ist falsch gewickelt. Dennoch bleibt Nicolai ein fantastischer Fußballer.“
Das sollte der Gelobte nun schleunigst wieder unter Beweis stellen. Direktor Profifußball Peter Knäbel hatte das letzte Drittel der Saison als „Reifeprüfung“ für seine Mannschaft ausgerufen – und Müller gibt ihm recht. Bei den Spielen, die jetzt vor der Winterpause kommen, würden keine Ausreden mehr gelten. „Die müssen wir alle positiv gestalten.“ Und die von Kamerad Valon Behrami ausgesprochene Kritik, es fehle dem Team an Charakter und Mentalität, will Müller so auch nicht stehen lassen. „Wir haben Charakter und haben das auch schon bewiesen, gegen Leverkusen oder Bremen. Nur müssen wir das jede Woche abrufen.“ Jetzt müssen den Worten nur noch Taten folgen, dann ist diese Diskussion auch ganz schnell wieder vorbei.