Der 59-Jährige alte Carl Jarchow wird sich bei der Mitgliederversammlung im Januar nicht als Kandidat aufstellen lassen. Sein Abschied vom Vorstandsjob soll dann im Mai 2015 folgen.

Hamburg Kurz vor dem Gesprächsbeginn im Café des Side-Hotels summt sein Handy. „Oh, meine Chefin, da muss ich mal nachschauen.“ Carl Jarchow ergänzt gut gelaunt: „Nicht meine Frau, sondern meine andere Chefin. Katja Suding.“ Auf eine Antwort muss die Fraktionsvorsitzende der Hamburger FDP aber ein paar Minuten warten, denn Jarchow möchte eine wichtige persönliche Entscheidung begründen: seinen Rückzug vom HSV.

Rückblende. Nach der Zustimmung für die Ausgliederung der Profiabteilung am 25. Mai sah sich der 59-Jährige mit der Frage konfrontiert, wie seine Zukunft im Club aussehen soll. Seit der Eintragung der HSV-AG ins Handelsregister ist der bisherige HSV-Chef nur noch einfaches Vorstandsmitglied und übergangsweise bis Januar auch Präsident des eingetragenen Vereins (e. V.). Angesichts der Fülle an Aufgaben verdrängte es Jarchow zunächst, sich mit der Antwort darauf zu beschäftigen.

„Im Laufe des Herbstes gab es ein Gespräch mit dem neuen Beirat (bestimmt die Präsidiumskandidaten, d. Red.), in dem ich meine grundsätzliche Bereitschaft erklärt habe, mich für die Wahl des Präsidentenamtes zur Verfügung zu stellen“, erinnert sich Jarchow. „Mit der Zeit habe ich jedoch gemerkt, dass ich nicht hundertprozentig vom Weitermachen überzeugt bin. Mir fehlte die richtige Motivation. Mein Bauchgefühl sagte mir: Es ist Zeit, dass es jemand anderes macht.“ Deshalb hat er in dieser Woche dem Beiratsvorsitzenden Eckart Westphalen seinen Entschluss mitgeteilt: „Meine Amtszeit als Präsident endet am 25. Januar, ich höre auf.“ Sein vorläufiges Ende als HSV-Funktionär wird dann am 15. Mai vollzogen, wenn sein Vorstandsvertrag ausläuft: „Ich habe im Sommer ein offenes Gespräch mit dem Aufsichtsratsvorsitzenden (Karl Gernandt, d. Red.) geführt, in dem wir übereingekommen sind, dass mein Vertrag nicht verlängert sind.“

Jarchow erinnert sich noch genau an seine Anfänge 2011. Am 13. März erhielt der frühere HSV-Aufsichtsrat (2001-04) einen Anruf, ob er sich vorstellen könne, kommissarisch Vorstandschef Bernd Hoffmann zu beerben. Drei Tage später war der Machtwechsel vollzogen. Im Juli erhielt Jarchow einen Vertrag bis März 2013, der im Mai 2012 bis 2015 verlängert wurde. „Ich möchte die Zeit nicht missen, aber ja, es waren schwierige vier Jahre. Und keine besonders erfolgreichen Jahre.“

Der Gestaltungsspielraum für Jarchow zu Beginn? Denkbar gering. Der neue Sportchef Frank Arnesen hatte seinen Vertrag schon unterschrieben, fing aber erst im Sommer an. Anders als ihm versprochen worden war, konnte der Däne jedoch nicht auf Shoppingtour gehen, im Gegenteil, die Kosten mussten drastisch runter. Heute weiß man, dass sich die Verpflichtung von Arnesen und seinem Stab als Desaster entpuppte, das den HSV allein an Gehältern über zehn Millionen Euro gekostet hat.

Michael Oenning, Rodolfo Cardoso, Thorsten Fink, Bert van Marwijk, Mirko Slomka und jetzt Joe Zinnbauer – die lange Liste der Trainer sowie die Sportchefwechsel (Arnesen, Oliver Kreuzer, Peter Knäbel) während seiner Amtszeit verdeutlichen das bisher vergebliche Ringen der Führung nach sportlichem Aufschwung. „Natürlich haben wir Fehler gemacht, und ich würde heute einiges anders machen“, stellt sich Jarchow der Verantwortung, „aber aus der Retrospektive ist das immer einfach.“

Aus dem Verfehlen sportlicher Ziele leiteten sich zwangsläufig die Verluste der vergangenen Geschäftsjahre ab, ein Umstand, der ihn selbst am meisten ärgert: „Ganz klar, das Ziel haben wir nicht erreicht.“ Die angepeilte (teilweise) Entschuldung dürfte kurzfristig nur mit strategischen Partnern möglich sein. „Ich bin von der Attraktivität der Marke HSV weiter überzeugt. Ich bin sicher, dass es Firmen und Einzelpersonen geben wird, die Anteile erwerben, wodurch dann Verbindlichkeiten reduziert werden können.“

An Stress nicht zu überbieten war die vergangene Saison, als sich der HSV erst in den Relegationsspielen rettete und parallel die harten Finanzgespräche mit der Deutschen Fußball-Liga für einen möglichen Gang in die Zweite Liga liefen und der Auftrag der Mitgliedschaft zur Ausgliederung umgesetzt werden musste. Dass der Übergang letztlich friedlich vollzogen wurde, ist auch ein Erfolg Jarchows, der zufrieden konstatiert, es habe keine Massenflucht in der Mitgliedschaft gegeben, im Gegenteil, die Basis wächst weiter. Auch an das während seiner Ära angeschobene Projekt HSV-Campus glaubt er – trotz der Finanzierungsproblematik – fest: „Eine zukunftsträchtige und wichtige Entscheidung.“

Nach seinem angekündigten Ausscheiden hofft Jarchow nun, bei der Mitgliederversammlung beruhigend und versachlichend in der Kontroverse um die Präsidentschaftswahl wirken zu können: „Das wäre als möglicher Kandidat schwer geworden, ich leite ja die Versammlung.“ Während der Beirat (nach Hinzuziehen juristischen Beistands) nur einen Kandidaten pro (ehrenamtlichem) Präsidiumsamt zur Abstimmung zu bringen, bildet sich deutlicher Widerstand. In einem offenen Brief auf der Facebook-Seite kritisieren beispielsweise die HSV-Realos, dass diese Auslegung nicht dem Geist der Initiative HSVPlus entspräche. Der Beirat wiederum argumentiert, es handele sich offenbar um einen handwerklichen Fehler in der Umsetzung von HSVPlus. Man müsse sich nach dem aktuellen Status richten, eventuelle Satzungsänderungen könnten erst bei der übernächsten Wahl greifen.

Und Jarchow? Wie es beruflich 2015 mit dem gelernten Außenhandelskaufmann weitergeht, ist derzeit völlig offen, wie er sagt. Fest stehen nur zwei Dinge: dass im März der 60. Geburtstag gebührend zu feiern ist. Und dass er dem HSV in der nahen Zukunft eine bessere sportliche Performance wünscht. Ob er jedoch nach dem 15. Februar noch als Abgeordneter der FDP in der Bürgerschaft sitzt, liegt in den Händen der Wähler. Sein Telefon wird in den kommenden Wochen noch häufiger brummen, wenn Katja Suding eine Nachricht verschickt hat.