Trotz Mini-Etats beeindruckt der kommende HSV-Gegner die Bundesliga: Starkes Pressing, Angriffe über die Außen und dabei schwer ausrechenbar. Das sind die Erfolgsrezepte von Weinzierl und Reuter.

Hamburg. Eigentlich war es wie vor jeder Saison, seit dem FC Augsburg 2010/11 der Aufstieg in die Bundesliga geglückt war. Auch vor dieser Spielzeit galten die Schwaben bei Wettanbietern als ganz heißer Tipp, was den Wiederabstieg angeht – obwohl sie in der vergangenen Serie mit Platz acht sogar bis zum Ende an den internationalen Rängen geschnuppert hatten. Doch mit Kevin Vogt, André Hahn und dem zum HSV gewechselten Matthias Ostrzolek mussten die Augsburger in der Sommerpause gleich drei wichtige Profis abgeben. Als Ersatz kamen weitgehend unbekannte Akteure hinzu. Die ersten drei Pflichtspiele gingen verloren, vermeintliche Experten sahen sich bestätigt: Dieses Jahr geht es bergab. Doch nur zehn Spieltage später stehen die Augsburger so gut da wie noch nie zuvor in der Bundesligageschichte – Platz sechs, der zur Teilnahme an der Europa League berechtigen würde. „Wir wissen, dass dies eine Momentaufnahme ist. Für den FC Augsburg ist es ein Erfolg, wenn wir auch in dieser Saison drei Teams hinter uns lassen“, stapelt Manager Stefan Reuter jedoch weiter tief.

Wer sich vor dem Bundesligaduell mit dem HSV am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky und Liveticker bei abendblatt.de) dem Phänomen FC Augsburg nähern will, wird immer wieder mit einer Grundtugend konfrontiert: Bescheidenheit. Nicht nur im Verein selbst, auch das Umfeld formuliert selten Ansprüche, die über ein gesundes Maß hinausgehen. Moderatorenlegende Waldemar Hartmann, einst Stadionsprecher und Kneipenbesitzer in der Fuggerstadt, beschrieb die Gefühlslage der Anhänger direkt nach dem Aufstieg im Jahr 2011 so: „Da dreht keiner durch und denkt, jetzt schießen sie die Bundesliga kaputt. Sondern eher: ‚Mei, hoffentlich bleiben’s zwei Jahr drin.‘ Nur besonders verwegene und unerschrockene Schwaben werden den Optimismus gnadenlos auf die Spitze treiben: ‚Vielleicht läuft’s ja super, und sie halten’s sogar drei Jahr.‘“

Der Club hat es in der Tat drei Jahre gehalten, und auch nach dem vierten Jahr wird der FCA vermutlich weiter in der deutschen Eliteklasse zu finden sein. Für Ostrzolek, der zwei Jahre in Augsburg spielte und dem dort der Durchbruch gelang, kein Wunder. Trainer Markus Weinzierl lasse seit zwei Jahren mit dem gleichen System spielen, das Team habe dies verinnerlicht und sich einfach gut entwickelt. „Gerade zu Hause agieren sie sehr offensiv und aggressiv, wir müssen am Sonnabend viel Wert auf unsere Defensivarbeit legen“, warnt der Neuzugang der Hamburger.

Der Coach scheint tatsächlich großen Anteil am Erfolg der Augsburger zu haben. Er hat einen Plan im Kopf, wie er sich Fußball grundlegend vorstellt, und von diesem weicht der 39-Jährige nur ungern ab. Starkes Pressing, Angriffe über die Außen, dabei aber schwer ausrechenbar bleiben. Die Mannschaft lebt vom Teamgeist, Stinkstiefel gibt es nicht. Ebenso wenig den Starspieler, den es auszuschalten gilt, um die Aufgabe zu vereinfachen. Und Spielern wie Tobias Werner und Jan-Ingwer Callsen-Bracker, denen kaum jemand den Durchbruch in der Bundesliga zugetraut hätten, verhalf Weinzierl zu einer beeindruckenden Entwicklung.

Transfers mehr Top als Flop

Doch auch im Umfeld passt es zusammen. Der Club ist schlank aufgestellt, neben dem Coach und Vorstandsboss Walther Seinsch hat nur noch Reuter etwas zu sagen. Und liefert zusammen mit Chefscout Stefan Schwarz gute Arbeit ab. Nach langwierigen Verhandlungen luchste er dem HSV fast drei Millionen Euro Ablöse für Ostrzolek aus der Tasche und zauberte nur wenige Tage danach mit Abdul Rahman Baba von der SpVgg Greuther Fürth einen Ersatz aus dem Hut, der beim „kicker“ als zweitbester Außenverteidiger der Liga geführt wird. Auch unter den weiteren Transfers sind mehr Tops als Flops zu finden. „Wir arbeiten in diesem Bereich täglich sehr akribisch. Wichtig ist vor allem, dass das Mannschaftsgefüge passt“, erklärt Reuter, dessen Lizenzspieleretat knapp 20 Millionen Euro aufweist – rund 30 Millionen weniger als der des HSV.

Vor allem Ostrzolek wird nun viel daran liegen, seinen ehemaligen Kameraden zu beweisen, dass der Wechsel zum HSV kein Rückschritt in seiner Karriere war. Endlich mal wieder zwei Siege in Serie, was dem Bundesliga-Dino zuletzt im April 2013 gelang, das wär’s. Doch Weinzierl prophezeit seinem Ex-Schützling genau das Gegenteil: „Matthias hatte erheblichen Anteil an unserem Aufschwung in den vergangen zwei Jahren. Jetzt hat er sich aber für den HSV entschieden. Nach dem Spiel, wenn wir gewonnen haben, geben wir ihm ein paar nette Worte mit.“