Die Bilanz der Hamburger ist desaströs. Nach einer genauen Analyse entsteht aber ein anderes Bild: Der Letzte spielt sogar gut – für seine Verhältnisse.
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Hamburg. Zum fröhlichen Anstoßen war Dietmar Beiersdorfer am 127. Ehrentag des HSV nun wahrlich nicht zumute. Während die Spieler, die sämtliche Geburtstagsfeierlichkeiten am Tag zuvor beim 1:2 gegen Frankfurt zunichte gemacht hatten, noch ausliefen, ließ der Vorstandsvorsitzende des HSV am Morgen danach das mittlerweile schon übliche posttraumatische Fragengewitter über sich ergehen. Ganz ohne Sekt, dafür aber mit reichlich Katerstimmung. Die Situation sei natürlich schwierig, Punktemäßig seien alle sehr enttäuscht und selbstverständlich müsse man auch in dieser Woche wieder viel sprechen, so Beiersdorfer, aber die Mannschaft habe gekämpft. Immerhin.
Es waren die gleichen oder zumindest ähnliche Worte, die der HSV-Chef in den vergangenen Wochen schon so häufig gebraucht hatte. Und Beiersdorfers altbekannte Mantra-Botschaft war klar: Die Situation sei ernst, aber keinesfalls hoffnungslos. „Es wäre völlig falsch, zu sagen, dass es für uns nur noch ums Überleben geht.“
Nach einem ersten Blick auf die oberflächlichen Daten und Fakten mag man geneigt sein, Beiersdorfer umgehend zu widersprechen. Nur ein Tor, zwei Punkte, schon wieder nur Platz 18. Worum soll es denn bitte schön sonst gehen außer ums nackte Überleben?
Erst ein zweiter, sehr viel genauerer Blick auf das große Ganze scheint Beiersdorfers Thesen zu stützten. Eine vom Abendblatt in Auftrag gegebene Datenanalyse von Deltatre bestätigt jedenfalls den subjektiven Eindruck, dass der HSV zwar Tabellenletzter ist, aber gar nicht wie ein Schlusslicht spielt.
Hauptproblem bleibt
Tatsächlich haben sich die Hamburger nach der schlechtesten Saison ihrer Vereinsgeschichte in nahezu allen relevanten Statistiken im Vergleich zur vergangenen Spielzeit verbessert. Der HSV kassiert weniger Gegentore (1,3 statt 2,2), lässt weniger Großchancen zu (1,5 statt 2), gewinnt mehr Defensivzweikämpfe (55 statt 49 Prozent), hat mehr Spielanteile (51 statt 49 Prozent), schlägt mehr Flanken (14 statt 12) und spielt auch deutlich weniger lange Bälle (31 statt 59). Von der Spielanlage her sind also nach Gesamtinvestitionen im Sommer von knapp 30 Millionen Euro durchaus ordentliche Voraussetzungen gegeben, wobei das Hauptproblem des HSV trotz aller Ausgaben nicht wegzudiskutieren ist: Es fehlen die Tore.
„Wir haben noch immer keinen Modus gefunden, ein Tor zu erzielen“, gibt Beiersdorfer auch am Tag nach dem ersten Saisontreffer durch Nicolai Müller zu. Matthias Ostrzolek, Dennis Diekmeier und Co. schlugen zwar ligaweit die meisten Flanken (84) und die viertmeisten Ecken (36), ohne dass aber auch nur eine der Flanken etwas eingebracht hätte. Ähnlich wie in der vergangenen Saison, als sich nur Absteiger Nürnberg (25) noch weniger Großchancen als der HSV (31) herausspielen konnte, bleiben auch in dieser Spielzeit die sogenannten Hundertprozentigen Mangelware. In sechs Spielen konnte sich Hamburgs Offensive gerade mal fünf Großchancen erarbeiten. Der Unterschied zur vergangenen Saison: Der HSV nutzte die wenigen Chancen mit einer Erfolgsquote von 65 Prozent damals immerhin ziemlich gut. In diesem Jahr brach der HSV den Negativrekord.
Schnelle Hamburger
„Es geht nicht um irgendwelche Rekorde oder Zahlen, sondern darum, wie wir möglichst schnell aus dieser Negativspirale herauskommen“, sagt Beiersdorfer, der trotz der Ergebniskrise sein Vertrauen in Joe Zinnbauer, den er bei dessen Präsentation als Bis-auf-Weiteres-Trainer bezeichnet hatte, nach der vierten Saisonniederlage demonstrativ erneuert hat. „Unser Coach hat bislang einen sehr guten Job gemacht. Joe gibt der Mannschaft Power, ist leidenschaftlich. Alles, was er macht, hat Hand und Fuß“, sagte der HSV-Chef, „die Mannschaft hat sich endlich wieder als Mannschaft präsentiert.“ Und auch diese Einschätzung wird durch Daten und Fakten untermauert. Mit einer Laufstrecke von 116 Kilometern pro Spiel liegen die Hamburger im Ligaschnitt, herausragend ist sogar das Tempo. Mit 235 Sprints pro Spiel ist der in der vergangenen Saison so langsame HSV nun ligaweit auf dem dritten Rang.
Nur das Tempo aus der Krise bleibt ausbaufähig. „Wir dürfen nicht denken, dass wir einfach so weitermachen und dass dann irgendwann der Erfolg automatisch zurückkommt“, warnt Beiersdorfer, der sich besonders durch die Verpflichtung von Peter Knäbel als Direktor Profifußball nicht nur eine langfristige, sondern auch eine kurzfristige Entlastung verspricht. „Peter soll im Hier und Jetzt Input geben. Er hat die inhaltliche Kompetenz, dem Trainer und der Mannschaft Feedback zu geben, und er weiß genau, wo es Bedarf bei der Feinjustierung gibt und wo noch gar nichts justiert ist“, sagt Beiersdorfer. „Peter soll ganz nah an der Mannschaft sein. Er soll aus einem langsamen Prozess einen schnelleren machen.“
Bereits an diesem Mittwoch tritt der bisherige technische Direktor der Schweiz seinen neuen Job in Hamburg an. Dabei gehört der gesamte Profibereich von nun an zu seinem Verantwortungsbereich. Knäbel ist für die Bundesligamannschaft genauso wie für das Scouting und die Sichtung verantwortlich. „Unser Set-up wird langsam vollständig“, sagt Beiersdorfer, „es ist wichtig, dass wir weiterhin an die Rahmenbedingungen, die wir geschaffen haben und die wir noch schaffen, glauben.“
Gelingt das, gebe es auch mal wieder einen echten Grund zum Anstoßen.