Klaus-Michael Kühne ist nicht erst seit seinem HSV-Engagement Hamburgs umstrittenster Investor. An dem nach außen manchmal poltrig auftretenden Multimilliardär scheiden sich die Geister. Eine Annäherung.

Natürlich scheiden sich an so einem die Geister. Klaus-Michael Kühne, Multimilliardär, erfolgreich, ungeduldig, vorlaut, zögerlich, impulsiv, dominant, zurückhaltend, rechthaberisch, schneller als die anderen; verletzend, verletzt, kann aber auch: Humor. Wer nach diesem Spediteur, Stifter, Vorstand, Kunstliebhaber, Kopfkürzermacher, Steuerflüchtling, HSV-Fan, HSV-Retter, HSV-Zerstörer, Freizeitkapitän, Klassenfreund und Klassenfeind fragt, erhält ziemliche viele Antworten.

Am Ende: großes Herz, kalte Schnauze. So in etwa geht das aus. Kein Alleinstellungsmerkmal hier in Hamburg. Vermutlich auch nicht in der Schweiz. Hoch oben über Zürichs See steht sein Haus, das rechnet sich auf jeden Fall. Sein Herz aber schlägt hier. Für Elbe, Alster, Hamburg, Hafen, HSV. Die Elbphilharmonie. Kunst, Kultur und Festival. Hapag-Lloyd. Das rechnet sich alles nicht. Dafür steht man dann in der Zeitung. Also hier. Das finden sicher auch wieder nicht alle gut.

Es ist also nicht ganz so leicht mit diesem Kühne, dessen Namen spätestens seitdem er seiner alten Jugendliebe HSV den Hof macht mit dickem Portemonnaie, fast alle kennen, in Blankenese wie in Barmbek. Kühne, körperlich noch nie zu übersehen, ist inzwischen gelegentlich auch gut zu hören. Kreuzer, Slomka, Jarchow und dazu auch noch den van der Vaart. Alle raus. Als wär’ man gerade bei „Mensch, ärgere dich nicht“. „Mittelmaß gefällt mir nicht“, sagt Kühne dazu forsch. „Ich strebe nach Perfektion.“

Scholz: „Die Zusammenarbeit mit Herrn Kühne ist gut“

Beim Hamburger Senat tauchen sie ganz gerne kurz mal ab, wenn man nach der Bedeutung dieses halb verlorenen Sohnes für seine Hansestadt fragt. Man würde, teilt ein Senatoren-Sprecher freundlich mit, ganz gern erst einmal das Umfeld kennen, in dem ein solches Zitat denn erscheinen solle.

Nicht, dass es da gerade um Kühnes Wohnsitz im stets verdächtigen Kanton Schwyz geht, und der gute Herr Senator lobt dann gleich im nächsten Satz den wie immer enormen Einsatz Kühnes für das jüngste Harbour Front Festival. Für den Hochschulstandort Hamburg. Für unseren Ruf als Tor zur Welt. Eine Milliarde für Hapag-Lloyd. Das war ja auch nicht ohne.

Immerhin Olaf Scholz, der Bürgermeister, braucht zwar ein Weilchen, formuliert, drechselt, stimmt ab, präsentiert am Ende aber doch ein ganz schön großes Lob mit feinem Hintersinn: „Die Zusammenarbeit mit Herrn Kühne, einem echten Hamburger Unternehmer mit hanseatischer Gesinnung, war und ist gut und kooperativ. Es ist beruhigend zu sehen, dass wir als Gesellschafter bei Hapag-Lloyd zu den gleichen Entscheidungen darüber gekommen sind, was zu tun ist.“

„Viel geleistet, aber kein einfacher Mensch“

Kühne, auch das ein fast offenes Geheimnis, wäre auf diesem, aus seiner Sicht viel zu langen Weg zu diesen „gleichen Entscheidungen“, fast der unternehmerische Kragen geplatzt. Ole von Beust, längst befreit von allen Bürgermeister-Zwängen, drückt es dann auch etwas klarer aus: „Klaus-Michael Kühne“, sagt von Beust, „hat viel geleistet für Hamburg und den HSV – aber er ist kein einfacher Mensch.“ Das würden sicher auch noch ein paar andere unterschreiben.

Andererseits: Wenn er da so sitzt auf einem schlichten beigen Ledersofa, in einem ebenfalls schlichten, sehr nüchternen Besprechungszimmer, in dem er seine Gäste im Schweizer Heimat-Exil mit kurzem Handschlag begrüßt, dann ist Kühne alles andere als kompliziert. Man stellt Fragen, er antwortet. Bereitwillig, direkt, auch selbstkritisch. Für vieles braucht er noch nicht einmal Fragen. Das sagt er lieber gleich von selbst. Kühne ist 77 Jahre alt mittlerweile, aber er ist immer noch sehr schnell.

Was für ein Kind waren Sie? Verwöhntes Einzelkind. Wer hat Sie mehr verwöhnt? Die Mutter, der Vater, beide? Die Mutter. Der Vater sei recht streng gewesen, konservativ, aber zu den Nazis kein Wort. Immer sehr darauf erpicht, den kleinen Klaus-Michael zügig als seinen Nachfolger zu positionieren. So sei er „zu früh in Verantwortung gekommen“. Sagt Kühne über Kühne und macht auch wenig Hehl daraus, dass er das im Nachhinein bedauert.

Auf den diversen Reiche-Leute-Listen sehr weit vorn

Betriebswirtschaft oder Jura, so etwas hätte er gern noch studiert nach Abitur und Banklehre. Und wenn man ihn jetzt anschaut und dabei vielleicht doch mal seinen Blick hinter der großen schwarzen Brille erwischt, dann kann man ahnen, dass es ihm bei seinem verpassten Studium vielleicht nicht ausschließlich aufs Lernen angekommen wäre. Dass er sich gerne auch noch ein bisschen anderweitig ausgetobt hätte, statt immer gleich zu funktionieren schon in jenen jungen Jahren. Kein Gedanke damals, nur der Pflicht so ganz bewusst.

Mit 26 Jahren war er persönlich haftender Gesellschafter im Unternehmen seines Vaters, mit 29 Jahren Vorstandsvorsitzender von Kühne + Nagel. Immer unterwegs, aus der mittelständischen norddeutschen Spedition formt er einen international aufgestellten Logistikkonzern mit heute 60.000 Mitarbeitern und 20 Milliarden Euro Umsatz.

Es klappt nicht immer alles auf Anhieb, es läuft auch nicht immer glücklich. Aber, das ist seine Lebenserfahrung, wenn man aus seinen Fehlern Konsequenzen zieht, noch mehr arbeitet und, falls nötig, auch das Führungspersonal durchtauscht, gegen alle Sentimentalität, die diesem Mann zumindest heutzutage auch auf der Nase geschrieben steht, dann kommt man jener angestrebten „Perfektion“ am Ende ganz schön nah.

Kühne rangiert auf den diversen Reiche-Leute-Listen sehr weit vorn, Platz sieben in Deutschland; Platz 140 weltweit, so in der Größenordnung und aller Vorsicht, mit der derartige Statistiken zu lesen sind. Es gibt jedenfalls nicht viele Spediteure auf dieser Erde, die mit ihren Lastwagen am Ende so viel Schotter zusammengefahren haben. Der Preis: immer auf Achse. Flugzeug, Flugzeug, noch ein Hotel, Büro, Arbeitstier, Tag und Nacht, Konferenzen, keine Gefühle, nur Ergebnisse. 50 Jahre Chef sind immer auch 50 Jahre Einsamkeit.

Hochschulprojekte, Medizinprojekte, Kultur und Kunst

Man kann also ganz gut verstehen, wenn sich so einer jetzt, nach dieser Zeit, das Ende hoffentlich noch weit, aber eben doch immer in Sicht, nach etwas anderem sehnt. Wenn er mit Ehefrau Christine, die er 1989 geheiratet hat, Mallorca genießt oder das blaue Wasser der Ägäis, das er gerade zwei Wochen lang mit der Motoryacht zerteilt hat. Auch hier, das Haus im winzigen Dörfchen Schindellegi, das an manchen Julitagen sogar echtes Schietwetter zu bieten hat. Ein paar Ecken weiter liegt Kühnes Konzernzentrale, sein kleines Büro, aus dem heraus er akribisch seine Stiftung führt.

Hochschulprojekte, Medizinprojekte, Kultur, Kunst. Was einer so machen muss, wenn er sehr viel Geld hat, aber keine Kinder, denen man es am Ende übergeben kann. Und Hamburg natürlich. Diese fast noch neue Sehnsucht. Seine alte Stadt hängt hier vielfach an den Wänden.

Vor zehn Jahren so etwa, erzählt Klaus-Michael Kühne, habe er Hamburg quasi wieder entdeckt nach all diesen furchtbar fernen Jahren. Ein edler Fundort jener Sehnsüchte, die ihm in den vergangenen 40, 50 Jahren vermutlich unter lauter Zahlenkolonnen und Expansionsplänen verschüttgegangen sind. Jugend, Heimat, Anerkennung. Applaus, Freundschaft, Glück. Und die Meisterschale natürlich, der Jubel auf dem Rathausmarkt, von dem in Hamburg ja alle immer träumen, wenn es nur 1:0 steht.

Van der Vaart, Kühnes einstiger Lieblingsfußballer

Vermutlich war es also fast zu viel verlangt von Klaus-Michael Kühne, diesem gnadenlos erfolgreichen älteren Herrn, der so viel erreicht hat in seinem Leben, auf Anhieb zu verstehen, dass man das andere alles nicht erzwingen kann von heute auf morgen. Nicht mit Geld, auch nicht mit diesem riesengroßen Willen, mit Entscheidungsfähigkeit und noch mehr Energie. Auch nicht mit Rafael van der Vaart, seinem einstigen Lieblingsfußballer. Und schon gar nicht mit Ungeduld und Zeitungsinterviews.

Das zusammen kann im besseren Fall und bei etwas geschickterem Kommunikationsmanagement vielleicht helfen. Was man aber auch braucht, mehr braucht für solch ein nicht kalkulierbares, nicht in Zahlen und Daten und Container zu verpackendes Glück, sind: Kompromissfähigkeit, Empathie, die Kraft zuzuhören, Verbündete des Herzens, alles das, was man unterwegs nur ganz selten findet. Aber im Grunde weiß Kühne das ja längst.

Er erzählt inzwischen gern, und ohne jeden Anflug seiner großen Ungeduld von jenen alten Tagen. Von den 50er-Jahren, als seine Eltern von der Eppendorfer Ludolfstraße an die Bellevue umzogen, ins neu gebaute Haus des Spediteurs Alfred Kühne. Von der Heinrich-Hertz-Oberschule am Stadtpark, wo er eine Zeit lang mit Wolf Biermann zur Schule ging, damals fast schon Klassenfeind und Freund zugleich.

Heute trifft man sich gerne wieder; Gemeinsamkeit entdecken, Zusammengehörigkeit, warme Herzen, obwohl es so viel gab, was diese beiden trennte. Stand und Stadtteil, Körpergröße und Charakter, Schulnote, Politik und Lebensweg. „Wir beurteilen Menschen nicht danach, was aus ihnen gemacht wurde“, zitiert Biermann den Philosophen Jean Paul Sartre, „sondern danach, was die Menschen aus dem gemacht haben, was man aus ihnen gemacht hat.“

Kühne hörte auf bourgeoisen Vater

Aus Kühne hat man erst einmal einen Bankkaufmann gemacht. Er ging nach dem Abitur bei Münchmeyer in die Lehre, wie es sich eben gehörte für die besseren Söhne. Echte Pfeffersackschule. Kein Sport. Nur der HSV: Im Garten an der Alster konnte er bei Westwind den Torjubel am Rothenbaum hören. Uwe Seeler, die Dörfel-Brüder, die roten Hosen, die Raute, die Sonntage auf der Stehtribüne, die alten Kumpels von der Bank.

Das blieb ja alles zurück in Hamburg mit Vaters Entscheidung. Alfred Kühne fürchtete nach Willy Brandts Wahlsieg um sein Lebenswerk und entschied, den Sitz des in Bremen gegründeten Unternehmens sicherheitshalber in die Schweiz zu verlegen. Man konnte ja nicht so genau wissen, was die Sozis vorhatten mit dem Land. Ob sie am Ende nicht doch den Genossen im Osten nacheifern würden mit ihrer Enteignungspolitik. Und hatten nicht die Behörden in Bremen mit ihrer aus Sicht der Kühnes allzu unternehmerfeindlichen Auslegung des Steuerrechts schon gezeigt, wohin der sozialdemokratische Nachkriegshase lief?

Klaus-Michael Kühne gehörte nicht zu jenen Söhnen, die die manchmal einsamen Entscheidungen ihrer bourgeoisen Väter lange hinterfragten. Kühne, seit 1966 Vorstandsvorsitzender im väterlichen Unternehmen, setzte stattdessen um. Er trug die Umsiedlung nach Schindellegi mit in aller Konsequenz, trotz aller Nachteile, die für ihn damit verbunden waren.

Fixierung auf Deutschland hätte Internationalisierung behindert

Noch heute sagt er: „Wenn wir damals nicht in die Schweiz gegangen wären, hätte das Unternehmen niemals den Erfolg haben können, den wir schließlich gehabt haben.“ Die alte Fixierung auf Deutschland hätte der Internationalisierung entgegengestanden, sie mindestens behindert. Mit dem Vorwurf, ein Steuerflüchtling zu sein, müsse er deshalb leben. „Aus einer gewissen Perspektive betrachtet, stimmt es ja auch irgendwie.“

Einmal als richtig erkannte Entscheidungen umsetzen, selbst wenn es im ersten Moment wehtut und im zweiten immer noch. Auch das ist so eine Lebenslehre, die Klaus-Michael Kühne mitgebracht hat in sein spätes Sehnsuchtstal. Die er im Zweifel „herzerfrischend frech“ (Biermann) auch auf andere anwendet. Die man also kennen muss, wenn man verstehen will, warum dieser im Grunde sensible, alte Elefant, der eigentlich Gutes, am besten eben Perfektes bewirken will für seine alte Heimatstadt, mal wieder durch die einschlägigen Hamburger Porzellanmanufakturen poltert.

Zehn Jahre, sagt er jetzt beim Abschied und lacht dabei ein leises Lachen, eher ein wenig in sich hinein, so als klopfe er in seinem Inneren auf Holz. Zehn Jahre. So lange werde es wohl mindestens dauern, bis der HSV wieder um Meisterschaft und Champions-League mitspielen könne. Selbst wenn außer ihm, wonach er sich eben auch sehnt, endlich noch ein paar andere wohlhabende Hamburger in den HSV und den Traum vom großen Triumph investieren. Das klingt, gemessen an den Tönen der vergangenen Wochen und Monate, fast schon nach Zurückhaltung. Nach dem Versuch, sich vielleicht doch noch ein wenig in Geduld zu fassen. Aber das kann natürlich auch täuschen.