Der 18-jährige Verteidiger spricht erstmals über die Affäre um seinen veröffentlichten Vertrag und seinen Neustart beim HSV. Durch das Schicksal eines Freundes ist Tah gewarnt.
Foshan. Allein diese Stimme. Wer bei einem Gespräch mit Jonathan Tah die Augen schließt, käme nie auf die Idee kommen, einem Jungprofi des HSV gegenüberzusitzen. Sein Timbre erinnert an einen entspannt brummenden Achtzylinderschlitten. Nur sein jugendliches Lächeln verrät sein wahres Alter.
Exakt 18 Jahre, vier Monate und 27 Tage alt ist Tah, als er sich für ein Foto auf einem Sessel mitten in der Lobby des Hilton Foshan fallen lässt, die Adiletten abstreift und barfuß posiert, kurz darauf auch in einem der Aufzüge. Dass er im Mittelpunkt des Interesses steht, scheint ihm egal zu sein, er lässt die Blicke förmlich an sich abprallen.
Die Geschichte von Jonathan Tah hat gerade erst begonnen. Was er in seiner ersten Profisaison alles erlebt hat, könnte allerdings ein ganzes Buch füllen. 17 Jahre, fünf Monate und 23 Tage war er jung, als der bullige Innenverteidiger beim 0:1 gegen Hertha zu seiner Bundesliga-Premiere kam. Jünger war noch kein Spieler seit 1963. Und los ging die wilde Fahrt.
Wie ein Komet schoss der 1,92 Meter große Tah in der öffentlichen Wahrnehmung nach oben. Was für eine Story! Gerade eben von Trainer Thorsten Fink von den U19-Junioren zu den Profis geholt, entwickelte sich der gebürtige Hamburger mit ivorischen Wurzeln sofort zum Stammspieler.
„Es war ein schönes Gefühl, plötzlich auf der Straße erkannt zu werden“, erinnert sich Tah. „Hey Jona, können wir ein Foto machen?“, fragten seine Fans. Man konnte. Rückblickend sei das für ihn die extremste Phase gewesen, glaubt er. Alles hatte sich geändert, auch im Heidberg-Gymnasium.
Der HSV hatte schon längst das Potenzial seines unbekümmerten Fußball-Juwels erkannt und passte den Vertrag im Dezember dem Karriereverlauf an, mit einer Laufzeit bis 2018 und besseren Konditionen. Ein kluger Schachzug, da Tah alle Anlagen besitzt, um einmal Deutschland im A-Team zu vertreten. Und Levin Öztunali, Uwe Seelers Enkel, hatte man ja schon an Bayer Leverkusen verloren.
HSV reagierte richtig
Umso härter war der Aufschlag Anfang Februar. Sein Vertrag wurde an die Medien lanciert, auch an das Abendblatt. Ein Skandal, schwer zu verkraften für einen 17-Jährigen. Im Verdacht stand damals sein in Frankreich lebender Vater.
Der HSV reagierte richtig, schottete den Youngster ab, bis jetzt in China die Zeit auch für einen öffentlichen Schlussstrich war. „Es war eine schwierige Zeit, aber jetzt ist alles in Ordnung, ich habe mit dem Thema komplett abgeschlossen“, sagt Tah, und seine Achtzylinderstimme surrt dabei gemächlich weiter.
Er erzählt, wie ihm sein Umfeld enorm geholfen hat. Die Familie und Freunde waren es auch, die ihn stets erdeten: „Ich bin bescheiden aufgewachsen, bei mir bestand nie die Gefahr des Abhebens, die es im Profifußball ja durchaus gibt.“ Aber die hohen Verdienstmöglichkeiten hätten ihn nie angetrieben: „Ich spiele Fußball aus Leidenschaft, nicht für Geld. Ohne Fußball kann ich nicht leben.“
Demzufolge durchlebte Tah in der Rückrunde eine schwere Zeit. Nach dem 19. Spieltag (kurz darauf kamen die Vertragsdetails in die Öffentlichkeit) verlor der Defensivspezialist seinen Stammplatz. Finks Nachfolger Bert van Marwijk setzte auf Erfahrung im Kampf um den Klassenerhalt, während Tah häufig die Schulbank für seinen Abschluss drückte. „Es war schwer, sich im Abstiegskampf zu zeigen.“ Zwischenzeitlich übte er sogar eine Etage tiefer, mit den Amateuren. Erst unter Mirko Slomka kehrte Tah am 33. Spieltag (1:4 gegen Bayern) wieder zurück.
In der großen Pause der Profis konnte er durchatmen. Die Schule ist Vergangenheit, das Fachabitur ist geschafft, wenn auch knapp, wie er zugibt. Stolz kann er zu Recht darauf sein, es durchgezogen zu haben: „Sonst wären die vergangenen zwei Jahre umsonst gewesen. Überragend!“, strahlt er. Auch die berufliche Betreuung ist längst geregelt. Rechtsanwalt Mark Nowak ist sein Berater, Lee Washington sein Manager. Der wiederum ist der Vater des ehemaligen HSV-Amateurs Quinton, 19, inzwischen bei Victoria. Wie privilegiert man als Profi ist und wie schnell Träume von einer großen Fußballkarriere (vorerst) platzen können, zeigt das Beispiel des Tah-Kumpels.
Vor einem Jahr, während seiner ersten Profi-Vorbereitung, genoss er noch Welpenschutz, auch wenn Tah das selbst nie in Anspruch nehmen würde. „Ich will als normaler Bundesligaspieler behandelt werden, nicht als 18-Jähriger.“ Aber er weiß auch: „Für die anderen bin ich immer noch der Junge.“ Kein Wunder, er ist ja noch immer mit der Jüngste im Kader.
Dass es für Tah auch ohne leistungshemmende Nebengeräusche und die Schule nicht einfach wird, ist klar, bekanntlich sucht der HSV noch einen Innenverteidiger. „Ich weiß, dass ich starke Konkurrenz habe, aber ich kann versprechen, dass ich mich zeigen werde, um eine Chance beim Trainer zu bekommen.“ Welche Überschrift er am Ende der Saison gern über sich lesen würde? Ihm fällt spontan nichts Passendes ein, aber es scheint sicher, dass es eine sportliche sein wird. Oder wie wäre es sonst mit einem Satz, den er selbst während der halben Stunde benutzt: „Ich bin wieder ganz der Alte.“