Eine Woche nach dem Klassenerhalt sollen die Mitglieder am Sonntag die Ausgliederung beschließen – Ausrüster Adidas verlängert vorzeitig, zahlt sechs Millionen Euro Signing Fee.
Hamburg. Wie er sich so kurz vor dem großen Tag fühle? „Gelassen“, entgegnet Otto Rieckhoff. „Wir haben Kurs gehalten.“ Am Sonntag (11 Uhr) hat nun die Basis das Wort. Es geht um die Abstimmung über HSVPlus, um seine Initiative. 8500 Mitglieder haben sich zur Versammlung registrieren lassen. Im Januar forderten fast 80 Prozent den Vorstand auf, die Ausgliederung vorzubereiten. In die Gruppe der Befürworter reihte sich jetzt auch Franz Beckenbauer ein: „Veränderungen müssen kommen.“ Aber wie groß sind die Chancen, dass Rieckhoff eine Dreiviertelmehrheit erreicht? Wo sind noch offene Fragen? Wie sieht die neue Führung aus, bricht ohne HSVPlus das Chaos aus?
Wie läuft die Versammlung? Die vom Vorstand erstellte Tagesordnung sieht nach den Ehrungen, dem Vorstandsbericht und Anträgen zur Geschäftsordnung unter Punkt acht den Antrag zur „Ausgliederung des Geschäftsbereichs Profifußball“ vor, gefolgt von 53 Anträgen. Dass versucht wird, über eine Änderung der Tagesordnung diese Anträge zu umgehen, gilt als wahrscheinlich, birgt aber die Gefahr in sich, sich juristisch anfechtbar zu machen. Neben den Anträgen zur Fernwahl und der Verkleinerung des jetzigen Aufsichtsrats hat Aufsichtsratschef Jens Meier einen Antrag auf Einzelentlastung gestellt. Fällt er durch, tritt er sofort zurück.
Wer führt künftig den Verein? Der von HSVPlus gewünschte Aufsichtsrat mit Karl Gernandt an der Spitze hatte sich diese Woche vorgestellt. Auch die Vorstellungen für die operative Führung der AG sind weitgehend bekannt: Dietmar Beiersdorfer, noch bis 2015 bei Zenit St. Petersburg unter Vertrag, soll den Vorsitz übernehmen, Joachim Hilke für den nicht sportlichen Bereich (Vermarktung etc.) verantwortlich sein. „Wir werben nicht mit Beiersdorfer“, sagte Rieckhoff am Freitag und betonte, dass noch keine Einigung mit dem ehemaligen Sportchef des HSV erzielt sei. „Aber ja, wir haben Interesse.“ Oliver Kreuzer (noch zwei Jahre Vertrag als Sportchef) würde gerne unter Beiersdorfer als Manager für den Profibereich arbeiten. Oliver Scheel (Vorstand Mitgliederbelange) hat noch einen Vertrag bis Januar 2015, wäre wohl der falsche Mann, um den Übergang zu begleiten.
Vorstandschef Carl Jarchow soll keine Zukunft auf der AG-Seite haben. Immerhin kann er aber den Mitgliedern noch den Abschluss eines hochkarätigen Vertrags präsentieren. So verlängerte Jarchow den bis 2016 laufenden Vertrag mit Ausrüster Adidas vorzeitig (zahlt 2,7 Millionen Euro pro Jahr) und kassierte dafür das stolze Signing Fee in Höhe von sechs Millionen Euro.
Scheitert HSVPlus, müssen Jarchow und Hilke mit ihrer baldigen Entlassung rechnen. Aufsichtsrat Christian Strauß positionierte sich, dass er die Besetzung des Vorstands für nicht zukunftsfähig hält. Weil das Kontrollgremium nach einer Rücktrittswelle auf sechs Mitglieder geschrumpft ist, gibt es fünf neue Kandidaten: Rainer Ferslev (Anwalt), Ralph Hartmann (Unternehmer), Ex-Profi Andreas Merkle, Frank Schäfer (Hafenfacharbeiter) und Holger Urlitzki (Kaufmann). Fällt HSVPlus durch, gilt eine große Mehrheit für eine Verkleinerung des Rats als sicher.
Wohin mit der Raute? Zu einem großen Streitthema hat sich die Frage entwickelt, ob das Logo des HSV auf die AG-Seite wandern soll oder nicht. HSVPlus verweist darauf, dass laut Auskunft des Bundeszentralamts für Steuern bei einem Verbleib der Raute im e.V. erhebliche stille Reserven „gehoben“ werden müssten; die Rede ist von einem größeren zweistelligen Millionenbeitrag.
Während Rieckhoff kein Problem darin sieht, dass der e.V. die Markennutzung nach einem Übergang der Raute auf die AG neu beantragen müsste („Das hat Bayern auch so gemacht“), befürchten Kritiker, dass das HSV-Logo mit allen Rechten dem Verein entzogen wird und womöglich an Dritte verkauft werden könnte. Ablehnend steht auch Scheel diesem Punkt gegenüber: „Die Raute ist die Lebensversicherung des Vereins und sollte dort bleiben.“
Übernehmen Investoren den Club? Erklärtes Ziel von HSVPlus ist es, sich für strategische Partner zu öffnen. Gesichert ist nur, dass sich Klaus-Michael Kühne mit 25 Millionen Euro beteiligt. Interessant: Bei einem Abstieg stand der Unternehmer mit einer Zehn-Millionen-Bürgschaft für die Lizenzerteilung bereit, die aber nicht zum Tragen kam. Dem Vernehmen nach hätte sich Kühne aber als Gegenleistung Transferrechte an Hakan Calhanoglu gesichert (in der Intention, den Spieler auf jeden Fall zu halten) sowie eine Beteiligung am Stadion, die später in Anteile abgeändert hätten werden sollen. Auch Vermarkter Sportfive soll einen Kauf von Clubanteilen prüfen. Kühne hatte immer betont, nicht alleiniger Partner sein zu wollen.
Kritiker eines Investorenmodells behaupten, dass der HSV über genügend Geld verfüge, es nur nicht sinnvoll eingesetzt werde. Ex-Profi Frank Rost warnt davor, den Club zu „verramschen“. Vertreter der HSV-Allianz (um Aufsichtsrat Jürgen Hunke) monierten auch, dass laut Ausgliederungsentwurf ein Anteilsverkauf von bis zu 33 Prozent ohne Zustimmung der Mitgliedschaft möglich sei und womöglich Renditejäger Einfluss auf Entscheidungen nehmen könnten. Rieckhoff widerspricht dieser Darstellung. So könne das Grundkapital in der Sport AG (3,5 Millionen Euro) durch eine Kapitalerhöhung um 1,75 Millionen Euro (33 Prozent) aufgestockt werden, dennoch greife die Satzungsvorschrift im e.V.: Eine Beteiligung von mehr als 24,9 Prozent bedürfe der Zustimmung der Mitgliederversammlung.
Während Unternehmer Eugen Block kritisiert, dass es Mitgliedern nicht möglich sei, Aktien zu erwerben, heißt es auf HSVPlus-Seite, dass gerade die Herausgabe von vinkulierten Namensaktien den Einstieg beispielsweise von Hedgefonds verhindern würden.
Werden Mitglieder entmündigt? Während HSVPlus von einer repräsentativen Demokratie spricht, weist Vorstand Oliver Scheel darauf hin: „Man fährt die Mitgliedermitbestimmung von 100 auf fünf Prozent zurück.“ Bisher wählten die Mitglieder den Aufsichtsrat (acht in der Versammlung, drei in den Abteilungen) sowie ein Vorstandsmitglied für Mitgliederbelange direkt. In der neuen Struktur wählen die Mitglieder das Präsidium des e.V. nach dem Vorschlag eines Beirats/Wahlausschuss. Dieser besteht aus dem Ehrenratsvorsitzenden (von allen Mitgliedern gewählt) sowie je einem Vertreter der Förderer und der Amateure (nur in den Abteilungen gewählt). Zwei weitere Mitglieder werden von diesen drei Personen kooptiert. Einfluss auf die AG können die Mitglieder künftig nur noch über das e.V.-Präsidium nehmen, das identisch mit der Hauptversammlung der AG ist (solange es keine Anteilseigner gibt). Dieses Organ bestellt, nach Zustimmung des Beirats, den AG-Aufsichtsrat.
Wie sicher sind die Amateursportler? Das Budget des Breitensports beträgt derzeit 1,6 Millionen Euro, aber nur rund 1,2 Millionen Euro sind durch Einnahmen gedeckt. Heißt: Mit 400.000 Euro musste bisher der Profibereich diese Abteilungen subventionieren. Die Anlage in Norderstedt verursacht jedes Jahr rund eine Million Euro Kosten. In der neuen Konstruktion würde der e.V. ausschließlich von den Einnahmen der Abteilung Förderer/Supporters Club (drei Millionen Euro Beiträge und Handel) profitieren. Doch was passiert, wenn die Mitgliedszahlen drastisch sinken?
Der Amateurvorstand positionierte sich zwar für eine Ausgliederung, möchte aber den Fortbestand des Sportbetriebs gewährleistet sehen und verschickte ein Schreiben an die 6000 Sporttreibenden mit dem Appell, der geplanten Fassung nicht zuzustimmen. „Zu viele Fragen konnten in der Kürze der Zeit nicht vollständig beantwortet werden.“ Und: „Notwendige Änderungen müssen in einen neuen Antrag eingearbeitet und zu einem späteren Zeitpunkt zur Abstimmung gebracht werden.“ Rieckhoff kann die Sorgen nicht verstehen: „In der e.V.-Struktur sind die Abteilungen finanziell in großer Gefahr. Der Universalsportverein soll genauso bleiben wie Ochsenzoll.“
Großes Thema ist auch die Gemeinnützigkeit. Während die HSVPlus-Seite warnt, dass nach mehreren Geschäftsjahren mit Verlust die Aberkennung dieser Gemeinnützigkeit droht, warnen die Rechnungsprüfer Reimund Slany und Klaus Manal: „Der gemeinnützige Bereich hat aus Mitgliedseinnahmen und Spenden deutliche Überschüsse erwirtschaftet. Nach dem Übertrag des liquiden Vermögens sollen nur 141.717 Euro beim e.V. verbleiben. Ein aus unserer Sicht viel zu niedriger Betrag!“ Steuerrechtliche Risiken würden entstehen.
Was passiert mit dem Supporters Club? Die 1993 gegründete Fanvertretung wuchs mit den Jahren auf über 56.000 Mitglieder an. Die Führung steht der geplanten Ausgliederung äußerst kritisch gegenüber. Christian Reichert, Mitglied der Abteilungsleitung, sagt für den Fall der Umsetzung „das Ende des Supporters Clubs“ voraus. Bei den Supporters und den Ultragruppierungen geht die Angst um, dass in einer AG, wo das Konzept der Gewinnoptimierung gilt, zum Beispiel Auswärtstickets teurer würden, wenn sie mit Busreisen gekoppelt werden. Zudem könnte die Zahl der 300 ehrenamtlichen Helfer drastisch zurückgehen, nach dem Motto: Man wolle nicht mit kostenloser Arbeit die Gewinne von strategischen Partnern erhöhen.
Weil Publikationen jeglicher Art von der AG künftig abgesegnet werden müssen, drohe außerdem die Gefahr, dass eine aktive, kritische Beteiligung der Basis nicht mehr möglich sein könnte. Der Vorstand reagierte mit einem offenen Brief an die Abteilung (unterzeichnet von Jarchow und Scheel) und unterstrich, dass die inhaltliche Arbeit weiterhin eigenverantwortlich und in enger Abstimmung mit der Abteilung erfolgen soll. Auch Rieckhoff sagt: „Wir wären ja verrückt, würden wir die Rechte der Fans beschneiden. Wir alle wissen, was sie gerade zuletzt geleistet haben.“ Doch eine schriftliche Vereinbarung blieb aus – und Jarchow sowie Scheel wären bei einer Umsetzung von HSVPlus nicht mehr im Amt.
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