Im zweiten Relegationsspiel benötigt der HSV einen Sieg oder mindestens ein 1:1-Remis, um doch noch die Klasse zu halten. Doch die Leistung im Hinspiel macht wenig Hoffnung.
Fürth. Es war mucksmäuschenstill in der Trolli-Arena, als am Sonntag um 19.44 Uhr der Pfiff des Schiedsrichters erklang und Heiko Westermann zum entscheidenden Strafstoß antrat. Die 2500 fränkischen Fans fassten sich auf der 63 Jahre alten Haupttribüne, ein Zeugnis von längst vergangenen Fußballtagen, an die Hände. 120 Minuten lang war es weder der SpVgg Greuther Fürth noch dem HSV gelungen, einen Treffer zu erzielen, weder in den 90 Minuten der regulären Spielzeit, noch in der Verlängerung. Es war ein hektisches, ein hartes Spiel auf niedrigem Niveau gewesen, mit zunehmender Nervosität auf beiden Seiten, aber ohne große Chancen. Jetzt hing das Schicksal am Fuß von Westermann. Die vier Schützen des HSV – Rafael van der Vaart, Hakan Calhanoglu, Milan Badelj und Marcell Jansen – waren alle vom Punkt gescheitert, Pierre-Michel Lasogga war längst mit Muskelproblemen draußen. Glück für die Hamburger: Auch den Fürthern hatten die Nerven geflattert, alle fünf waren ebenfalls am überragenden Torwart Jaroslav Drobny gescheitert, zuletzt Stürmer Ilir Azemi. Westermann trat an, schoss, doch der Verteidiger trat in den Boden und traf deshalb den Ball nicht richtig. Vom rechten Pfosten sprang die Kugel zum linken Innenpfosten, von dort trudelte der Ball gerade so ins Netz. Geschafft! Grenzenloser Jubel der 1800 mitgereisten Hamburger Fans nach dem Verbleib in der Bundesliga.
Dass diese Ereignisabfolge im zweiten, entscheidenden Relegationsspiel am Sonntag (17 Uhr, ARD, Sky, Liveticker im Abendblatt) tatsächlich so eintrifft, ist natürlich unwahrscheinlich, aber sie würde sich perfekt in die bisherige Saison einfügen. Wer nach 34+1 Spielen noch immer die Chance auf den Klassenerhalt besitzt, kann sich nur bei allen überirdischen Kräften für die Menge an Glück bedanken, mit der der Club förmlich überschüttet wurde.
Am Morgen nach dem so dürftigen Hinspiel jedoch deutete wenig bis nichts auf sich ankündigende große Taten hin, im Gegenteil. Kurzzeitig flackerte Aufregung auf, weil sich die Bundesliga-Uhr in der Nacht auf den Freitag abgeschaltet hatte – was aus Energiespargründen an jedem Tag um 23.30 Uhr bis sechs Uhr morgens passiert. Aber es passte zur Symbolik des Überlebenskampfes beim HSV in der Liga.
In den Fugen der Pflastersteine vor dem Parkplatz schimmerte noch immer matt das aufgesprühte Blau. In der Farbenlehre heißt es, Blau eigne sich hervorragend, um inneren und äußeren Frieden zu finden, um Stress und Hektik abzubauen. Genau darum ging es am Freitagmorgen für die am Donnerstagabend noch so angespannten Profis. Fußballtennis für die Reservisten, Balljonglieren für die Stammspieler. Es wurde gescherzt, gelacht. Als die Profis nach der halbstündigen, regenerativen Einheit den Platz verließen, gab es noch ein paar Fotos und Autogramme für die wenigen Fans. Keine neuen Solidaritätsbekundungen, eher Katerstimmung nach einem schlecht bekömmlichen 0:0. Und auch ein Hauch von Abschied.
Dominant, zielstrebig, entschlossen, so sollte sich der HSV vor den eigenen Fans präsentieren. „Leider konnten wir diese Dinge nicht umsetzen“, sagte Sportchef Oliver Kreuzer mit einem Tag Abstand. Bei der Videoanalyse am Morgen habe sich noch einmal deutlich gezeigt, wie viel Raum man den Fürthern gelassen hatte, die Abstände zwischen Abwehr, Mittelfeld und Angriff seien viel zu groß gewesen. „Aber das 0:0 ist kein tragisches Resultat. Wir bleiben optimistisch. Wir stehen jetzt in einem Endspiel, wie in einem Champions-League-Finale.“
In Hamburg hält man sich, was soll man auch sonst tun, an jedem Strohhalm fest. „Wir benötigen ein Auswärtstor“, sagten Trainer Mirko Slomka und die Spieler unisono in dem Wissen, dass gemäß der Relegationsarithmetik ein 1:1 zum Klassenerhalt reichen würde.
Warum aber ausgerechnet in Fürth die eklatante Auswärtsschwäche der Hamburger enden soll, dafür gibt es keine plausiblen Anhaltspunkte. Gegen die Fürther, die in der Imtech-Arena ihren Ruf als laufstärkstes Team der Zweiten Liga eindrucksvoll bestätigten, kamen die körperlichen Defizite der HSV-Profis auch eindrucksvoll zu Vorschein.
Fast noch besorgniserregender ist jedoch, dass die Mannschaft um ihren – erneut leistungsmäßig abfallenden – Kapitän Rafael van der Vaart es wieder einmal nicht schaffte, die Anspannung in den Griff zu bekommen. Denn dass sie zumindest 50, 60 Minuten in der Lage ist, läuferisch mitzuhalten, zeigte das Team vor einer Woche in Mainz. „In der ersten Halbzeit war der Druck da, das spürte man“, gab van der Vaart zu. Folgerichtig sprach der frühere HSV-Torwart Uli Stein im Fernsehen entsetzt von einer „leblosen Mannschaft“. Ein Wunder wäre es zwar nicht, würde der HSV die Rettung in letzter Minute noch schaffen. Aber es wäre sehr verwunderlich, würden die Hamburger – unabhängig vom Ausgang – das Endspiel in Fürth nicht zu einem Finale der Qualen machen für die 1800 Fans, die wie die ganze Saison über ihr Team fantastisch unterstützen. Es ist an der Zeit, dass es vorbei ist. So oder so. Wären die 90 Minuten von Fürth die letzten als Erstligist nach fast 51 Jahren und 155.700 Bundesliga-Minuten, käme dies nur einem Vollzug gleich. Und die Bundesligauhr bliebe, zwei Minuten Nachspielzeit eingerechnet, nach 50 Jahren, 267 Tagen, zwei Stunden und 47 Minuten am Sonntag stehen. Nicht, weil Energie gespart werden muss. Sondern weil seit Jahren schon viel zu wenig Energie in diesem HSV steckt.