HSV-Stadionsprecher Lotto King Karl über das Spiel gegen Bayern München, seine Fußballhymne und die Sorge vor einem Abstieg in die Zweite Liga.

Hamburg. „Ich muss das nicht so lange machen. Sagen wir, bis wir Meister sind – also bis nächstes Jahr.“ Gesagt hat das Lotto King Karl einige Wochen nach seinem ersten Auftritt als Stadionsprecher zu Beginn der Saison 2004/05, damals noch für Radio Hamburg mit Marek Erhardt. Die HSV-Profis, unter ihnen Martin Pieckenhagen, Emile Mpenza oder Bernardo Romeo, verloren 0:2 gegen Bayern München. Aber der Musiker erhielt mit seinen flotten Sprüchen („Gutes Spiel, Jungs – mit dem falschen Ergebnis“) gute Noten nach seiner Premiere.

Fast zehn Jahre später wartet der HSV bekanntlich noch immer auf seinen siebten deutschen Meistertitel. So wird sich der heute 47-Jährige auch vor dem letzten Bundesliga-Heimspiel, zufällig wieder gegen den deutschen Rekordmeister, mit Carsten Pape vor der Nordtribüne auf elf Meter Höhe hieven lassen, um dann „Hamburg, meine Perle“ zu singen. Eine wacklige und gefährliche Angelegenheit, denn ein schwankendes Mikrofon könne schnell zum Verlust der Vorderzähne führen. Aber das Erlebnis, vor dieser schwarz-weiß-blauen Menschenwand singen zu dürfen, er mit dem Tamburin, Pape mit der Gitarre, sei unbeschreiblich, einmalig.

Wenn dann der Schiedsrichter die Partie anpfeift, wird „LKK“ mit seinem NDR-Kollegen Dirk Böge, mit dem er seit der Saison 2008/09 die Stadionshow moderiert, neben der Ersatzbank mitfiebern. „Ich hoffe, dass die HSV-Fans ihr Team so laut unterstützen und schreien, bis der Kehlkopf den eigenen Planeten umkreist.“

Lotto ist kein Spinner, kein realitätsfremder Fantast. Er weiß, dass die Macht der Fans an der Spielfeldgrenze endet. Und ja, auch ihn beschäftigt der drohende Abstieg, der Gedanke, dass das 865. Heimspiel des HSV in der Bundesliga seit 1963 womöglich für einige Zeit das letzte sein wird. „Man hat wirklich Sorgen, ich habe in den vergangenen Wochen viel mehr Gespräche, auch mit Fanclubs, geführt als sonst. Aber wenn ich am Sonnabend meine Tasche packe und in den Volkspark fahre, gilt das Motto: Das ist der Tag, an dem wir an unserer Situation etwas ändern können. Im positiven Sinne.“

Seine Liebe zum HSV stuft Lotto King Karl selbst als „am Rande der Therapiebedürftigkeit“ ein. An das Abschiedsspiel für Uwe Seeler 1972, zu dem ihn sein Vater mitnahm, erinnert sich der Barmbeker kaum („Ich fand das nur komisch, dass alle gejubelt haben, obwohl der HSV verloren hat“), aber der raue Charme der Westtribüne nahm ihn als Kind schnell gefangen, seit 1973 geht er regelmäßig zu den Spielen. „Den HSV verbinde ich mit Heimat. Meine Freunde haben früher die Autos der Spieler fotografiert und die Daten darunter fein säuberlich notiert.“ Fast Lichtjahre scheint das her, als das Internet noch nicht die gewünschten Informationen blitzschnell ausspuckte.

Dass sein Song den Status HSV-Hymne erlangt hat, war in dieser Form nicht geplant. Lotto weiß noch genau, wie er sich mit Frank Itt im Keller von Thorsten Heintzsch traf und wie schwer es ihnen fiel, die Fußballversion seines Lieds „Hamburg, meine Perle“ zu erstellen. Für den Verein nahmen er und seine Barmbek Dreamboys ein „HSV-Album“ auf. Vor allem wegen der Leverkusen-Zeile gab es Diskussionen mit den Bandmitgliedern. Aber die anfänglichen Probleme waren schnell vergessen: Als Lotto im September 2001 seine „Fußballperle“ erstmals vorstellte, war das Echo der Fans gewaltig.

Selbst als der Song noch als Konserve aus den Lautsprechern dröhnte, sang die Kurve laut mit, besonders die witzig-provozierend gemeinte Zeile „Wenn du aus Cottbus kommst, kommst du eigentlich aus Polen“ – was nicht nur das Abendblatt, sondern besonders den damaligen Vorsitzenden Werner Hackmann 2002 so irritierte, dass dieser anordnete, die Passage zu ändern. Wütende Fanproteste waren die Folge, Alternativen wie „Bist du ein Fan von Dieter Bohlen“ wurden verworfen. Gegen die Bayern wird Lotto also wie immer an entsprechender Stelle „Wenn du woher auch immer kommst“ singen, gefolgt von der tausendfachen Antwort der Nordtribüne: „Kommst du eigentlich aus Polen.“ Kult eben.

Zehn Jahre hatte der HSV die Lizenz für das „HSV-Album“, seitdem wird es im freien Handel verkauft. Lotto vertreibt seine Musik mit seinem eigenen Label Northcoast Records, weil weder Ariola noch Polydor an ihn glaubten. Ein gravierender Fehler. „Hamburg, meine Fußballperle“ war der Startschuss für seine bundesweit erfolgreiche Karriere. Bei keinem seiner Konzerte darf dieses mehrfach mit Gold dekorierte Lied fehlen, auch nicht in München, wo man neidisch auf die Gänsehautatmosphäre blickte, nach dem Motto: In Hamburg ist in den zehn Minuten vor dem Anpfiff mehr Stimmung als bei uns während des Spiels. Launig erzählt Lotto, wie Pape und er mal zum Geburtstag des früheren „Focus“-Chefs Helmut Markwort im VIP-Bereich der Allianz-Arena aufgetreten sind. Sie, die Rebellen, singen „auf diesem Todesstern vor dem Imperator, wirklich skurril“, grinst er. Mit Imperator war der damalige Ministerpräsident Edmund Stoiber gemeint. Auch Bayern-Boss Uli Hoeneß applaudierte dem Duo: „Ich gratuliere Ihnen zu diesem tollen Lied.“

Der HSV, seine Hymne und die Bundesliga – und das soll nach diesen 90 Minuten plus Nachspielzeit am Sonnabend vorbei sein? Eigentlich undenkbar, obwohl Lotto das Unheil kommen sah. „Ich hatte mich schon bei der Saisoneröffnung gewundert, als Trainer Thorsten Fink versprach, ein Europacup-Platz werde auf jeden Fall erreicht.“ In der Summe seien zu wenig Treffer bei den Transfers gelungen, und auch die Mahnung von Ex-Trainer Armin Veh („Der Club braucht eine Philosophie“) habe sich bewahrheitet. „Egal, was auch passiert, man wird sich überlegen müssen, was sich ändern muss beim HSV“, hofft Lotto.

Apropos ändern. Damit keine Unklarheiten aufkommen: Natürlich würde Lotto auch in Liga zwei weitermachen, mit unverändertem Text. Seine Zuneigung zum HSV sei unerschütterlich: „Ich gebe ja auch nicht meine Arme irgendwo ab. Jegliche Form von Exorzismus hat keine Chance.“ Braucht es auch gar nicht, wenn es nach ihm ginge. „Guardiola hat die einmalige Chance, Klopps BVB zum haushohen Favoriten im Pokalfinale zu machen. Die Chance darf er sich nicht entgehen lassen.“