Der HSV-Training erneuert nach der 1:3-Niederlage in München seine Grundsatzkritik an seinen Profis. HSV-Vorstand stärkt dem Coach den Rücken.
München/Hamburg. Die Stimmung an Bord der Maschine LH2082 von München nach Hamburg hätte am späten Sonnabend kaum besser sein können. Es wurde gescherzt und gelacht, zwei Stewardessen verteilten Spekulatiuskekse, und hier und da wurde sich auch ein Feierabendbierchen gegönnt. Keine Frage, ein Großteil der weit gereisten HSV-Anhänger, die bei der Anreise in die bajuwarische Fußballmetropole noch mit dem Schlimmsten gerechnet hatten, war mit der respektablen 1:3-Niederlage des HSV in München mehr als zufrieden. Nur die Profis selbst, die sich überwiegend unter überdimensionalen Kopfhörern und hinter ihren iPads und iPods versteckten, schienen nicht so richtig zu wissen, was sie von ihrem Betriebsausflug nach München zu halten hatten. „Wir haben auf die Kritik des Trainers reagiert“, sagte etwa Torschütze Pierre-Michel Lasogga, um schnell hinterherzuschieben, dass er trotz seines neunten Saisontreffers natürlich traurig über den verpassten Punktgewinn sei.
„Ich habe den Spielern vor der Partie gesagt, dass ich im Nachhinein auf keinen Fall erklären will, dass in München mehr drin gewesen wäre“, sagte Trainer Bert van Marwijk, „aber es war mehr drin.“ Ein Unentschieden zum Beispiel, an das aber kaum ein Hamburger während der vorangegangenen 93 Minuten zu glauben gewagt hatte. „Als Mannschaft muss man die absolute Überzeugung haben, mindestens einen Punkt zu holen. Die hat aber gefehlt“, sagte der enttäuschte Niederländer, „und das ärgert mich.“
Wirklich versöhnt war van Marwijk, der am Donnerstag die eigene Mannschaft mit einem verbalen Rundumschlag kritisiert hatte, also nicht. Sein Team, dem vor der Partie wirklich niemand ein Erfolgserlebnis zugetraut und dem Wettanbieter Tipico die fast schon unverschämte Siegquote von 25:1 zugeteilt hatte, spielte gegen einen biederen Rekordmeister überraschend gut, aber eben nicht gut genug. 75 zu 25 Prozent Ballbesitz war nur ein Beleg dafür, dass der HSV die Opferrolle bereitwillig annahm. Van Marwijks Mannschaft verteidigte taktisch insgesamt sehr überzeugend, musste sich aber den Vorwurf gefallen lassen, zu mutlos im Spiel nach vorne agiert zu haben.
Zwar schoss alleine Lasogga gleich sechsmal auf das Münchner Tor, wobei lediglich ein einziger Torschuss für echte Gefahr sorgte – und dann auch zum Ehrentreffer führte (87.). Dass aber gleich zwei von den drei Münchner Toren irregulär waren, wollte kein Hamburger als Entschuldigung anführen. Vor dem Führungstreffer hatte Torschütze Mario Mandzukic Gegenspieler Jonathan Tah aus dem Weg (42.) geschubst, vor dem zweiten Tor durch Mario Götze stand er im Abseits (52.). Dass der Münchner Sieg dennoch verdient war, daran zweifelte niemand.
„Das Schlimmste ist, dass sich aus irgendwelchen Gründen bei uns eine gewisse Zufriedenheit breitgemacht hat“, kritisierte Marcell Jansen, der sich darüber ärgerte, dass bereits die verhinderte Blamage als Erfolg gewertet wurde. Über eine Niederlage könne er sich nicht freuen, sagte der Linksverteidiger, der nach dem Abpfiff den Blick nach vorne riskierte: „Jetzt sind wir in einer Drucksituation, dass wir gegen Mainz einen Dreier holen müssen. Viel weiter nach unten geht es ja nicht mehr.“
Tatsächlich könnte der Abstand auf die Abstiegsränge bei einer Heimniederlage gegen Mainz auf zwei Punkte schmelzen. Einen dann folgenden Abstiegskampf in der Rückrunde befürchtet van Marwijk allerdings nicht. Insgesamt sei er mit der Entwicklung noch immer zufrieden, sagte der Holländer, der nur mit der Niederlage seines Teams in der Vorwoche weiterhin haderte. „Hätten wir vor einer Woche so gespielt wie heute gegen die Bayern, dann hätten wir die drei Punkte geholt“, sagte der 61 Jahre alte Perfektionist, der das auch bei der Mannschaftsweihnachtsfeier am Sonntagabend in Stocks Fischrestaurant in Poppenbüttel angesprochen haben dürfte.
Die Unterstützung der Vereinsführung darf sich van Marwijk bei seiner langwierigen Mission, den Spielern die nötige Mentalität einzuimpfen, gewiss sein. „Meine Rückendeckung hat er hundertprozentig. Er hat ja recht“, sagte HSV-Chef Carl Jarchow, der sich gegen die im Schongang auftretenden Münchner mehr erhofft hatte: „Man hatte das Gefühl, dass die Bayern nicht so richtig bei der Sache waren.“ Da der HSV daraus aber kein Kapital schlagen konnte, stellte Sportchef Oliver Kreuzer den Charakter seiner Profis gar grundsätzlich in Frage. Die Mannschaft müsse lernen, Woche für Woche am Limit zu spielen. „Das muss in die Köpfe rein. Wir müssen über Leidenschaft und Engagement kommen“, sagte Kreuzer, der in dieser Hinsicht sogar Vereine wie Freiburg und Braunschweig im Vorteil sieht: „Wir dürfen nicht glauben, wir sind der große HSV.“