Ein Auszug aus dem neuen Abendblatt-Buch über den Hamburger SV: Manfred Kaltz legte eine Bilderbuchkarriere hin.
Hamburg. Ein Verein, eine Stadt, immer dabei – seit Gründung der Bundesliga gewann der HSV Titel und überstand sportliche und wirtschaftliche Krisen. Das Abendblatt war stets ein treuer und kritischer Begleiter und präsentiert daher nun das Buch „HSV – Ein Verein. Eine Stadt. Immer dabei.“ Auf 504 Seiten erinnert es an Tore, Triumphe und Talfahrten, Protagonisten von damals erinnern sich. Ergänzt durch die außergewöhnlichen Bilderstrecken des Hamburger Fotografen Thomas Metelmann ist so ein umfangreiches Nachschlagewerk für Fans und Freunde des Vereins entstanden.
Hier ein Auszug aus dem Kapitel über den erfolgreichsten HSV-Spieler aller Zeiten, Manfred Kaltz, geschrieben von Abendblatt-Autor Dieter Matz.
War es sein Sturkopf? War es Abenteuerlust? Oder war es sein Durchsetzungsvermögen, mit dem er in der ganzen Welt für Furore gesorgt hat, wenn er 90 Minuten lang unwiderstehlich von hinten nach vorne marschierte? Als der große Manfred Kaltz fast noch ein Kind war, da tat er etwas sehr Bemerkenswertes: Weil der damalige Jugendleiter des TuS Altrip, für den Kaltz als Knabe und Heranwachsender spielte, seinen Wechsel zum HSV öffentlich gemacht hatte, entschied der 17-jährige Abwehrspieler: „Ich gehe mit.“ Da allerdings hatten auch seine Eltern noch ein kleines Wörtchen mitzureden – dachten sie jedenfalls. Als Kaltz das „Nein“ von Mama und Papa gehört hatte, schaltete er seinen Dickkopf ein: „Ich gehe mit Gerhard Heid nach Hamburg, oder ich höre mit dem Fußball auf.“ Da gaben die Eltern nach. Offenbar wussten sie, dass sie ein fußballerisches Juwel großgezogen hatten, das noch so viel vor sich hatte: Heid kam 1970 aus der Pfalz an die Elbe, aber den jungen Kaltz hatte er nicht mitgelotst – der kam aus freien Stücken mit. Und startete beim HSV eine sensationelle Karriere.
„Banane Manni, ich Kopf – Tor.“ So beschreibt das Hamburger Kopfball-Ungeheuer Horst Hrubesch noch heute das Rezept, mit dem der HSV selbst die härtesten Gegner besiegte. Kaltz hat für zwei gespielt: Verteidiger und Rechtsaußen. Hinten räumte er eisenhart und eiskalt ab, vorne trugen seine Flanken das Prädikat „Weltklasse“ und erlangten Weltruhm, er wurde zum „Erfinder“ der Bananenflanken ernannt. Darauf aber hatte bereits ein anderer Hamburger das Copyright: Gert „Charly“ Dörfel. Der HSV-Linksaußen bestand lange Zeit darauf, die „Bananen“ erfunden zu haben – doch 2013, bei einem Treffen im Hause Dörfel, beschlossen beide Legenden: „Manni erfand die Bananen von rechts, Charly die Bananen von links. Zwei Hamburger auf jeden Fall.“
In seiner ersten Saison als Bundesliga-Profi absolvierte Manfred Kaltz gleich 31 Spiele. Für die Jungen war er Vorbild, für die „älteren Herren“ im HSV-Team das größte Talent seit vielen Jahren. Mitspieler Harry Bähre erinnert sich: „Manni sah aus wie ein Milchbubi, und in einem unserer ersten Trainingsduelle langte ich mal so kräftig zu, dass er am Boden lag und sich vor Schmerzen krümmte. Gesagt hat er nichts, er stand bald auf, schüttelte sich kurz und spielte weiter, als wäre nichts passiert. Eine Woche später aber lag ich dann an dieser Stelle – Manni hatte nicht vergessen und sich bei Gelegenheit gerächt. Da wusste ich, dass er einen ganz großen Weg vor sich hatte.“
Kaltz wurde der erfolgreichste HSV-Spieler aller Zeiten. Er ging als Elfmeter-König und als fleißiger Eigentorschütze in die Geschichte ein – und auch als „Schweiger“. „Das hat irgendein Blödmann mal in der Zeitung geschrieben, ich habe es gelesen, habe mich geärgert – und mich in den folgenden Jahren daran gehalten“, sagt er rückblickend. Es ist eine Erklärung, es ist seine Erklärung, aber es gibt auch Zeitzeugen, die durchaus vom „großen Schwätzer“ namens Manfred Kaltz berichten können. Allen voran sein ehemaliger Verteidigerkollege Tobias Homp. Beide logierten bei Auswärtsspielen stets in einem Hotelzimmer. Homp: „In den ersten zwei Jahren hat Manni kein einziges Wort mit mir gesprochen, nicht einmal ein ‚Gute Nacht‘ oder ein ‚Guten Morgen‘ gab es. Dann aber sprach er doch plötzlich mit mir, und ich wusste gar nicht, warum, ich wusste nicht, wie mir geschah. Was war geschehen? Ich habe es nie ergründet.“
Und es ist trotz allem so nebensächlich, denn mit Manfred Kaltz kam der Erfolg zum HSV. Die Europapokal-Gewinner von 1983 waren eine verschworene Gemeinschaft. „Wenn wir spielten, dann standen immer elf Winnertypen auf dem Rasen“, sagt HSV-Kapitän Horst Hrubesch über diese Zeit. Manfred Kaltz formuliert es ähnlich: „Wir waren alle Nationalspieler, wir wollten alles und immer gewinnen, egal um was es auch ging, wir waren regelrecht erfolgsbesessen. Und jeder war auch für den anderen da, wir waren ein Super-Team – bei Tag und Nacht.“
Wenn er über seine Trainer spricht, die ihn einst beim HSV formten, gerät Kaltz regelrecht ins Schwärmen: „Klaus Ochs war sehr wichtig für mich, er ließ mich spielen. Kuno Klötzer war ein hervorragender Fachmann. Von Branko Zebec habe ich am meisten gelernt, der war taktisch sensationell und hat uns Disziplin beigebracht – und er hat an Ernst Happel eine fertige Mannschaft übergeben, mit der man dann Erfolge feiern konnte. Auch Happel hatte die Truppe bestens im Griff.“ Ganz nebenbei: Ein Kaltz-Motto könnte auch heute noch (für den HSV) gelten: „Es geht auch ohne großes Trara, es müssen nicht immer große Sprüche geklopft werden – es müssen nur alle mitziehen.“
„HSV – Ein Verein. Eine Stadt. Immer dabei“, 504 Seiten, 34,95 €, erhältlich unter www.abendblatt.de/shop, telefonisch unter 040/347-26566 und im Buchhandel