Der 17-Jährige hat überraschend einen Platz in der Innenverteidigung erobert. HSV-Sportchef Kreuzer glaubt, dass das Cardoso-Intermezzo entscheidend für Tahs Aufschwung war.

Hamburg. Auf Jonathan Tah wartet eine ungewohnt trainingsintensive Woche. Was nicht daran liegt, dass das mutmaßlich größte Talent des HSV beim 2:2 in Frankfurt viel falsch gemacht hätte und nun verstärkt an seinen Fehlern arbeiten müsste. Der 17-Jährige, der an der Stadtteilschule am Heidberg sein Fachabitur machen will, hat zwei Wochen Herbstferien und kann deshalb nicht nur wie sonst die Einheiten am Nachmittag mitmachen. Nein, ganz im Gegenteil: Tah machte sein wohl bestes Spiel und bewies endgültig, dass er trotz seiner späten Geburt bereits bundesligatauglich ist.

Der 1,92-Meter-Mann gewann 72 Prozent seiner Zweikämpfe, verübte nur ein Foul und schaffte es sogar in die Elf des Tages der ARD-„Sportschau“. In der Tat zeigte sich Tah gegen die Frankfurter Angreifer sehr aggressiv am Mann und war auch in Kopfballduellen kaum zu überwinden. Erstaunlich für einen so jungen Profi ist vor allem seine Ruhe am Ball, mit der er auch unter Druck schwierige Situationen spielerisch zu lösen versucht.

Nervös zeigt sich der U17-Nationalspieler eigentlich nur, wenn die Mikrofone überhand nehmen, dessen Besitzer permanent Statements von ihm verlangen. Beantworten will er diese zunächst einmal nicht, der Verein will ihn langsam an die Öffentlichkeitsarbeit heranführen. HSV-Sportchef Oliver Kreuzer ist auf jeden Fall auch ohne ständiger Medienpräsenz von der Entwicklung seines „Juwels“ angetan: „Er ist vom Kopf her einfach weiter als seine Altersgenossen, von der Statur her sowieso. Entscheidend ist jedoch die Handlungsschnelligkeit, die ihm erlaubt, jetzt schon höher als Regionalliga zu spielen.“ Dabei glaubt Kreuzer auch, dass das kurze Intermezzo von Rodolfo Cardoso als Trainer entscheidend für Tahs letzten Aufschwung war. Dieser hatte ihn gegen Werder erstmals von Beginn an gebracht und auch gegen Fürth im Pokal an ihm festgehalten. „Hätte Sobiech gegen Fürth gespielt, dann hätte van Marwijk wohl auch auf Lasse gesetzt“, vermutet der Sportchef.

Die Entwicklung ging sogar schneller, als seine ersten Förderer es ihm und er sich selbst zugetraut hätten. Ex-Sportchef Frank Arnesen hatte Tahs Vertrag im Januar trotz der Angebote aller großen englischen Clubs bis 2016 verlängert und ihm damals die Perspektive erörtert, ab dem Sommer mit den Profis trainieren zu dürfen. Den sehr bodenständigen Tah schien das zu überzeugen. „Ich komme aus Hamburg, mir gefällt es hier. Meine Familie und Freunde sind hier. Es hätte keinen Sinn gemacht, woanders hinzugehen“, sagte er damals. Einsätze in der Bundesliga bezeichnete Tah als langfristiges Ziel.

Trotz großen Lobes („Er ist das größte Abwehrtalent Deutschlands“) trat Arnesen damals aber auch ein wenig auf die Euphoriebremse, weil er, als er die ersten Male im älteren Jahrgang eingesetzt wurde, Fehler nicht mehr nur über seine körperlichen Voraussetzungen kompensieren konnte. Doch der Hamburger, der einen ivorischen Vater und eine deutsche Mutter hat, scheint immens schnell dazuzulernen.

Kindergärtnerin entdeckte Tahs Talent

Entdeckt wurde das Talent des Innenverteidigers schon in frühen Kindertagen. Seine Kindergärtnerin, Christiane Harms, Schwester des HSV-Jugendkoordinators Sebastian Harms, erkannte schon vor vierzehn Jahren dessen Beweglichkeit und Körperbeherrschung. Sie rief ihren Bruder an, um ihm von dem Dreijährigen zu erzählen, der es einmal zum Profi schaffen könnte. Keine zehn Jahre später holte der HSV das Talent tatsächlich aus Altona zum HSV.

Dort ist Tah nun vollends angekommen. Dennoch geht an seiner Schule alles den gewohnten Gang. Von Autogrammjägern würde er nich belagert werden, sagt Sportkoordinator Stefan Wolgast. Obwohl Tah unlängst zugegeben hatte, zu Hause seine Unterschrift extra geübt zu haben, damit sie auch „schön aussehe“. Und Tahs Rektor hat immerhin alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass er dienstags keinen Unterricht hat, um außerhalb der Ferien nicht so viele Trainingseinheiten zu verpassen. Als „Eliteschule des Fußballs“ wird am Heidberg auf die Bedürfnisse des Spielers Rücksicht genommen. So würden auch 5000-Meter-Läufe im Sportunterricht nicht unbedingt dann angesetzt, wenn Tah am Abend noch eine anstrengende Einheit vor sich hat. Nur müsse er am Ende nicht nur im Sport, sondern auch in anderen Fächern seine Leistung bringen. „Natürlich ist die Belastung, beides zu vereinbaren, immens groß. Doch Jonathan ist nicht der Typ, der alles andere Schleifen lässt – da haben wir ganz andere Kandidaten“, erklärt Wolgast, der sich dennoch nicht ganz sicher ist, ob Tah seine Schulkarriere nicht bald der Profikarriere ganz unterordnen wird. Immerhin schreibt er auf seiner Facebook-Seite auf die Frage, was er auf keinen Fall auf eine einsame Insel mitnehmen würde: „Lehrer“. Doch der Jungprofi bleibt eisern: „Ich will noch ein Jahr zur Schule gehen und mein Fachabitur machen.“