HSV-Trainer Thorsten Fink baut im Heimspiel am Sonntag gegen den VfL Wolfsburg wieder auf den lettischen Stürmer Artjoms Rudnevs.

Hamburg. Da konnte sich auch HSV-Trainer Thorsten Fink ein gequältes Lächeln nicht verkneifen: Nach einer Flanke im Training wollte Artjoms Rudnevs den Ball direkt aufs Tor schießen, traf die Kugel aber derart, dass er sie lediglich perfekt stoppte. Beim Abschlussspiel Stammelf gegen Reserve bewies der Angreifer dann aber wieder seinen Torriecher und erzielte schon nach wenigen Minuten den ersten Treffer. Mal Weltklasse, mal Kreisklasse - so kann man die Leistungen des lettischen Neuzugangs auch über die Saison gesehen durchaus einordnen. Torhüter René Adler sagte unlängst scherzhaft, dass "Rudi", wie der Stürmer fast nur genannt wird, selbst nicht so genau wüsste, wo er eigentlich hinschießt - das dann aber sehr erfolgreich. Denn ohne Frage sind elf Tore für einen Neuzugang aus der polnischen Liga, dem ein Eingewöhnungsprozess in Deutschlands höchster Spielklasse zugestanden werden muss, ein sehr ordentlicher Wert.

Nun darf Rudnevs sein Können nach drei Spielen, in denen er nur eingewechselt wurde, gegen den VfL Wolfsburg am Sonntag (17.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) wieder in der ersten Elf demonstrieren. "Die Pause hat ihm gutgetan, er wirkt frischer als zuvor", begründet Fink seine Maßnahme. Bisher verpasste der Angreifer, der mit 35,4 km/h immer noch der am schnellsten gemessene Bundesligaspieler der Saison ist, nicht eine einzige Partie - und durfte immerhin 18-mal die 90 Minuten durchspielen. Neben dem hohen Tempo zeichnet ihn vor allem großer Wille aus. Rudnevs ist immer in Bewegung und zeigt sich auch im Luftkampf stark verbessert. Seine 21 Kopfbälle auf des Gegners Tor sind immerhin der fünftbeste Wert der Liga. Doch die technischen Mängel sind weiterhin unübersehbar. Nicht zuletzt deshalb forderte Fink diese Woche einen neuen Stürmer, der "den Ball auch mal halten und zum Mitspieler ablegen kann". So ein Spielertyp fehlt dem HSV in der Offensive in der Tat. Sportchef Frank Arnesen hat den Wunsch erhört und schaut sich bereits um. "Klar habe ich schon jemanden im Auge, das ist schließlich mein Job", verriet der Däne mit einem Schmunzeln - Namen waren ihm jedoch kaum zu entlocken. Immerhin bestätigte er das Interesse an seinem Landsmann Andreas Cornelius vom FC Kopenhagen. Der 20-jährige bullige Stürmer würde mit seinen 1,93 Metern genau ins Raster passen, und die Auftritte in dieser Saison, die ihm schon zu vier Einsätzen in der Nationalmannschaft verhalfen, unterdrücken auch Arnesens Zweifel. "Cornelius spielt erst seit diesem Jahr auf hohem Niveau, war vorher in den Jugendnationalmannschaften Dänemarks kein Thema. Da muss man eigentlich noch ein wenig abwarten." Das größte Problem dürfte jedoch die geforderte Ablöse werden: "Er wird zwischen sieben und neun Millionen Euro kosten, das können wir uns momentan einfach nicht leisten", erklärt Arnesen.

Gegen Wolfsburg ist ohnehin erst mal Rudnevs gefragt, um die maue Bilanz aus den vergangenen Heimspielen zu verbessern: In den letzten sechs Partien vor eigenem Publikum erzielten die Hamburger gerade einmal vier Treffer. Und auch die Statistik gegen die "Wölfe" sieht nicht vielversprechender aus: Der letzte Heimsieg ist sechs Jahre her, und in den vergangenen sechs Begegnungen gegen den VfL erzielte der HSV nie mehr als einen Treffer. Arnesen ist sich der mauen Offensivvorstellung bewusst und fordert mehr Engagement: "Wir müssen zeigen, dass wir zu Hause spielen und die gleiche Einstellung an den Tag legen wie die ersten 30 Minuten gegen Fortuna Düsseldorf."

Fink bleibt bei diesem Vorhaben seinem Konzept mit nur einer Spitze treu, obwohl aller Voraussicht nach nur ein Sieg die Hoffnungen auf das Erreichen der Europa League aufrechterhalten würde. Die fünft- und sechstplatzierten Frankfurt und Freiburg spielen zu Hause gegen Düsseldorf und Augsburg - zwei Heimsiege würden da nicht überraschen. Und in diesem Fall wäre der gelobte Platz sechs bei einem Ausrutscher des HSV nur noch theoretisch möglich. Dennoch rückt der bisherige Stoßstürmer Heung Min Son für Rudnevs ins Mittelfeld, vermutlich auf die linke Seite. Petr Jiracek kommt dafür über rechts, um die Kreise von Wolfsburgs Spielmacher Diego einzuengen, den es vermehrt über die linke Seite zieht. "Mir ist egal, wo ich spiele", sagt Linksfuß Jiracek. "In der tschechischen Nationalmannschaft habe ich auch auf der rechten Seite gute Spiele gemacht."

Unter Umständen ist der HSV-Coach noch zu zwei weiteren Umstellungen gezwungen: Michael Mancienne fällt mit ziemlicher Sicherheit aus, ihn belasten muskuläre Probleme an beiden Oberschenkeln. Für ihn würde Slobodan Rajkovic verteidigen. Und auch der Einsatz von Marcell Jansen steht auf der Kippe. Nachdem ihm am Donnerstag Rückenbeschwerden zugesetzt hatten, fehlte er am Freitag mit Magen-Darm-Problemen. Doch nicht etwa der nach seiner Kapselverletzung wiedergenesene Dennis Aogo würde Jansen hinten links ersetzen, sondern Zhi Gin Lam, der in der Rückrunde bei den Profis noch gar nicht zum Einsatz kam. "Aogo hat sich in letzter Zeit nicht unbedingt aufgedrängt", rüffelte Fink den ehemaligen Nationalspieler.

Die Gäste haben dagegen kaum Personalsorgen. "Wir möchten am Sonntag der Spielverderber sein und fühlen uns in dieser Rolle gut aufgehoben", sagt VfL-Trainer Dieter Hecking. Den HSV sieht er dabei aber keinesfalls so schlecht, wie es für ihn in der öffentlichen Wahrnehmung bisweilen den Anschein hat: "Ich finde, man tut den Hamburgern derzeit ein bisschen Unrecht. Sie haben im letzten Jahr eine sehr schwierige Saison gemeistert und befinden sich jetzt voll auf Kurs, was das Erreichen des eigentlichen Saisonziels, eines einstelligen Tabellenplatzes, betrifft." Doch nach dem Verlauf dieser Saison würde Heckings Gegenüber Fink beim Erreichen dieses Ziels am Ende wohl auch nur gequält lächeln.