HSV-Vorstand Katja Kraus spricht im Abendblatt-Interview über enttäuschte Erwartungen, eigene Fehler und die Suche nach dem neuen Sportchef.

Hamburg. Katja Kraus öffnet die Tür ihrer Eppendorfer Altbauwohnung mit einem Lächeln. Doch obwohl das bittere Saisonende mittlerweile zehn Tage her ist, hat es bei der HSV-Vorstandsfrau noch immer Spuren hinterlassen. Kraus trauert vor allem dem nicht erreichten Heim-Finale der Europa League hinterher, versucht aber gleichzeitig, optimistisch in die Zukunft zu schauen. Eine Saisonaufarbeitung bei Kaffee und Kuchen.

Abendblatt:

Frau Kraus, Sie gelten als ausgewiesene Kommunikationsexpertin. Wie würden Sie das Bild beschreiben, das der HSV derzeit abgibt?

Katja Kraus:

Das öffentliche Bild ist aktuell natürlich stark von den sportlichen Misserfolgen der letzten Wochen geprägt. Und dabei gibt es überhaupt nichts zu beschönigen: Wir haben die Erwartungen nicht erfüllt. Doch trotz aller Enttäuschung ist die Wahrnehmung des Vereins durch die Entwicklung der vergangenen Jahre positiv.

Unsere Wahrnehmung ist, dass der HSV auch strukturell ein verheerendes Bild abgibt. Der Verein hat keinen Trainer, offiziell noch keinen Sportchef und auch die Zukunft von Fast-Sportchef Urs Siegenthaler scheint ungeklärt.

Klare Personalentscheidungen sind das beste Mittel, um schwierigen Situationen und Unsicherheit zu begegnen. Das Gesamtbild ist derzeit nicht gut, und wir haben dazu auch mit fehlender Geschlossenheit und öffentlichen und halböffentlichen Schuldzuweisungen beigetragen. Wenn man in einer Krise ist, wird jeder Fehler sichtbar.

Was war Ihr größter Fehler?

Im Rückblick lassen sich Situationen leichter bewerten, aber vielleicht haben wir uns durch den Drei-Tages-Rhythmus, durch den wir immer unmittelbar vor der nächsten Chance standen, alles zum Guten zu wenden, blenden lassen. Allerdings, am Ende haben uns 14 Minuten gefehlt, um die Saison doch mit dem ersehnten Erfolg zu beenden.

Ist nicht das die größte Fehleinschätzung? Nicht 14 Minuten haben über die Saison entschieden, sondern eine Vielzahl von Fehlentscheidungen.

Ein Finaleinzug und ein möglicher Titel hätten dennoch zu einer anderen Bewertung geführt. Auch wenn er nicht alles überdeckt hätte. Es gab viele Mosaiksteine, die zu der Entwicklung in der Rückrunde geführt haben. Unsere Hoffnung vor einem Jahr war, mit Bruno Labbadia einen Trainer gefunden zu haben, der uns langfristig erhalten bleibt. Auch wenn er den HSV mit viel Herz und Engagement lebte, hat sich dieser Wunsch nicht erfüllt. Nun suchen wir erneut einen Trainer, und selbstverständlich haben wir wieder die Hoffnung, dauerhaft etwas aufzubauen.

Neben einem Trainer braucht der Verein seit gut einer Woche plötzlich auch noch einen neuen Sportchef.

Es sollte immer ein Sportchef verpflichtet werden. Allerdings waren die Kandidaten entweder nicht konsensfähig oder nicht verfügbar. Daraufhin haben wir alle gemeinsam entschieden, die Aufgaben im Team zu lösen, das ab Sommer komplettiert würde. Mit einem starken Trainer, mit einer hochkompetenten Persönlichkeit für die Bereiche Nachwuchs, Scouting und mittelfristige Kaderplanung, mit mir in der formalen Verantwortung für den sportlichen Bereich im Vorstand und mit dem Vorstandsvorsitzenden. Allerdings müssen wir konstatieren, dass es im Verlauf der Rückrunde ein Vakuum gab.

Hätten nicht Sie als Vorstand Sport dieses Vakuum füllen müssen?

Ich habe gerne die inhaltliche Verantwortung übernommen und scheue mich nicht, Entscheidungen zu treffen. Aber ich habe immer betont, dass ich nicht zur Verfügung stehe, Spielverläufe vor Fernsehkameras zu kommentieren.

Dieses öffentliche Gesicht scheint nun mit Nico-Jan Hoogma gefunden zu sein. Aber was hat ein neuer Sportchef noch zu sagen, wenn Urs Siegenthaler weiterhin über Scouting, Nachwuchsarbeit und vor allem Kaderplanung bestimmen darf?

Diese Frage will und wird der Aufsichtsrat beantworten. Ich bin überzeugt, dass eine stimmige Konstellation den HSV weiter nach vorne bringen wird.

Glauben Sie nicht, dass es zu Kompetenzstreitereien kommen kann, wenn nicht klar ist, wer den Nachfolger von Jerome Boateng verpflichtet darf?

Es geht doch nicht darum, wer als Letzter irgendetwas entscheiden darf. Sondern viel mehr darum, größtmögliche Kompetenzen für den HSV zu gewinnen, um gute Spieler rechtzeitig zu entdecken, an den HSV zu binden und hier weiterzuentwickeln.

Allerdings fehlt noch immer ein Trainer. Zuletzt hat Urs Siegenthaler betont, diesen suchen zu wollen. Das dürfte aus Südafrika schwierig zu realisieren sein.

Wir kennen den Markt ganz gut und haben uns bereits auf eine überschaubare Kandidatenliste verständigt.

Solange aber kein Trainer da ist, dürfte die Kaderplanung ruhen. Oder würden Sie auch Spieler kaufen, wenn noch kein neuer Trainer verpflichtet ist?

Wir haben uns mit der Verpflichtung Urs Siegenthalers auf eine grundsätzliche Philosophie geeinigt, nach der sich der HSV in den kommenden Jahren ausrichten will.

Wie passt zu dieser Philosophie, nach der verstärkt auf die Charakterstärke von Spielern geachtet werden soll, dass man nun den auslaufenden Vertrag von Paolo Guerrero verlängern wollte?

Paolo Guerrero hatte in diesem Jahr Probleme und, womöglich als Folgeerscheinung, auch einen unentschuldbaren Aussetzer, aber er hat keinen schlechten Charakter. Entscheidend ist, dass die Mischung stimmt.

War es ein Fehler, die Charakterfrage öffentlich in den Vordergrund zu stellen?

Nein. Der Geist einer Mannschaft ist ausschlaggebend für den Erfolg. Wir haben viele herausragende Einzelspieler, aber das Team muss als Einheit funktionieren.

Hat es in der vergangenen Saison ein Charakterproblem in der Mannschaft gegeben?

Wir haben keine schlechten Charaktere in der Mannschaft. Aber in diesem Jahr gab es zu viele Profis, die ihr eigenes Interesse über das Interesse der Gruppe gestellt haben. Das müssen wir in der kommenden Saison ändern.

Zum Ende der Saison wurde die Enttäuschung auf den Vorstand, also auch auf Sie, zentriert. Gab es mal einen Moment, als Sie sich überlegt haben, dass Sie sich das nicht mehr antun wollen?

Es gab Momente, die sehr schwer waren in den letzten Wochen. Aber ich weiß, dass es neben guten auch schlechte Phasen gibt. Diese Aufgabe ist nun mal extrem von Emotionen geprägt, aber das macht sie auch aus.

Der Protest richtete sich in erster Linie an Bernd Hoffmann. Könnten Sie "Kraus raus"-Plakate genauso gut wegstecken wie Hoffmann die Transparente gegen seine Person?

Für mich macht es keinen Unterschied, ob auf den Bannern "Hoffmann raus", "Vorstand raus" oder "Kraus raus" steht. Das tut weh. Als Vorstandsvorsitzender ist man im Fokus der Öffentlichkeit. Bernd Hoffmann steht für die positive Entwicklung des Vereins in den vergangenen Jahren. Und gleichermaßen wird die Enttäuschung der letzten Wochen an ihm festgemacht. Er hat sich immer gestellt, aber es hat ihn sehr getroffen. Aber am schmerzhaftesten war, dass wir am 12. Mai nicht auf dem Platz stehen und in unserm Stadion diesen Pokal gewinnen konnten.

Haben Sie an Rücktritt gedacht?

Nein. Das ist eine fantastische Aufgabe und ich bin Sportlerin, ich bin auch nicht aus dem Tor gelaufen, wenn der Druck stark wurde.