Drei Dinge zeichneten Bruno Labbadia früh aus: Torinstinkt, Ehrgeiz, Disziplin. “Der HSV darf sich auf ihn freuen“, sagt sein Ziehvater Georg Linnert.

Hamburg/Weiterstadt. "Mein Mann schläft", sagt Waltraud Linnert, "worum geht es denn?" "Um Bruno Labbadia." "Dann wecke ich ihn." "Das müssen Sie nicht." "Um über Bruno zu reden, hat er immer Zeit, Tag und Nacht. Das passt schon."

Georg Linnert ist 71 Jahre alt. Bruno Labbadia (43), der neue Trainer des HSV, bezeichnet ihn als seinen "Ziehvater". "Als Bruno sieben alt Jahre alt war", erzählt Georg Linnert, "ist er zu mir in die Knaben-Mannschaft gekommen. Ich habe ihn begleitet bis in die A-Jugend, bis er 17 war." Von Beginn an habe ihm seine Geradlinigkeit imponiert. "Er wusste genau, was er wollte, er war stets bereit, für seine Ziele alles zu geben. Und er hat in seiner Jugend auf viele Vergnügungen verzichtet, um sie zu erreichen." Daran habe sich auch nichts geändert. Und es ist dieser Charakterzug, auf den beim HSV Sportchef Dietmar Beiersdorfer und der Vorsitzende Bernd Hoffmann ihre Hoffnungen setzen.



Nur wer selbst brennt, heißt es, kann andere entflammen. "Der Bruno brennt. Die Hamburger dürfen sich auf ihn freuen. Er ist der Richtige", weiß Georg Linnert.


Die Linnerts besitzen in Weiterstadt eine Metzgerei und ein Hotel. Weiterstadt ist ein beschaulicher, fast verschlafener Ort mit heute 24 300 Einwohnern, sechs Kilometer nordwestlich von Darmstadt, 20 Kilometer südlich vom Frankfurter Flughafen. Hier wuchs Bruno Labbadia auf. Das macht viele der Menschen in Weiterstadt stolz.


Georg Linnert war selbst ein passabler Fußballspieler, brachte es bis in die Regionalliga. Später kümmerte er sich beim SV 1910 um den Nachwuchs. Dort entdeckte er Bruno Labbadia. "Sein Talent war unverkennbar wie sein Ehrgeiz. Wir haben oft bis in die Dämmerung auf einem Bolzplatz hinterm Bauernhof trainiert. Einmal haben wir eine ganze Woche lang nach der Schule Fallrückzieher geübt. Im nächsten Spiel hat er dann gleich zwei Tore auf diese Art erzielt." Der Bruno, sagt Linnert und gerät dabei ins Schwärmen, "hatte sich früh in den Kopf gesetzt, Fußballprofi zu werden. Und das wurde er ja auch."


Labbadia bestritt zwischen 1984 und 2003 für insgesamt acht Vereine 328 Bundesliga- (103 Tore) und 229 Zweitligaspiele (101 Tore), gewann mit Kaiserslautern (1991) und Bayern München (1994) die deutsche Meisterschaft. Zweimal durfte er für die deutsche Nationalelf stürmen.


Bruno Labbadia ist der Sohn italienischer Einwanderer. Die Familie kam Mitte der 1950er-Jahre aus einem Dorf zwischen Rom und Neapel nach Hessen. Bruno war das jüngste von neun Kindern. "Sein Vater Paulo war selten zu Hause. Der hat rund um die Uhr im Tiefbau geschuftet", erinnert sich sein Freund und langjähriger Mitspieler Dirk Römer. Die Labbadias hatten sich in Weiterstadt ein Haus gebaut, 800 Meter von den Linnerts entfernt. "Ich habe meine Eltern bewundert, dass sie neun Kinder groß gezogen und nebenbei das Haus abbezahlt haben", sagt Bruno Labbadia. "Sie wollten nie von mir unterstützt werden, selbst als ich mein eigenes Geld als Fußballprofi verdiente."


Bei den Labbadias, sagt Römer, sei "immer was los gewesen. Mutter Giovanna hat den ganzen Laden geschmissen. Ich habe bei all dem Stress von ihr nie ein böses Wort gehört. Ich habe mich dort immer wohl gefühlt. Natürlich hatten wir alle wenig Geld. Aber das brauchten wir auch nicht. Diskobesuche und Markenklamotten waren damals nicht angesagt. Die meiste Zeit waren wir draußen und haben Fußball gespielt. Und Bruno hat überall, ob im Training, beim Daddeln oder im Spiel die Tore geschossen, einmal 78 von 125 in einer Saison. Er stand einfach da, wo man stehen musste."


15 Millionen Menschen, fast ein Fünftel der Bevölkerung, haben heute in Deutschland einen Migrationshintergrund, rund acht Millionen von ihnen einen deutschen Pass. Bruno Labbadia erhielt ihn mit 18. Obwohl die meisten seit Jahrzehnten hier leben, ist der Anteil der Schulabbrecher höher und später der der Arbeitslosen und Fabrikarbeiter. Labbadia machte die Mittlere Reife und anschließend eine Ausbildung zum Versicherungskaufmann. "Darauf habe ich in den Gesprächen mit ihm viel Wert gelegt", sagt Linnert. Bruno sei wissbegierig gewesen, "er wollte immer was dazulernen".


Der Bruno, sagt Marco Ries, "ist ein offener Mensch. Der hört sich alles an, er ist bereit, sich mit jedem zu unterhalten." Ries kennt Labbadia seit 35 Jahren. Heute ist er beim SV Weiterstadt Vorsitzender des Spielausschusses. "Jedes Jahr zu Weihnachten besucht uns Bruno. Wir spielen dann ein zünftiges Fußballturnier. Trotz seiner Erfolge hat er die Bodenhaftung nie verloren." Wenn Ries Labbadia beschreiben soll, fällt ihm neben Ehrgeiz, Disziplin auch Sturheit ein "oder besser gesagt, er ist enorm willensstark".


Ob ihm diese Eigenschaft bei seiner vorigen Trainerstation in Leverkusen Probleme bereit habe, mag Georg Linnert nicht einzuschätzen. "Bruno hat mir manchmal erzählt, dass da einer ist, der die Pfeile von hinten schmeißt. Das hat ihm doch sehr zu schaffen gemacht." Den Namen habe Labbadia nie genannt. Gemeint war Bayer-Manager Michael Reschke. "So was darf man mit dem Bruno nicht machen", sagt Linnert, "er hasst es, wenn man sich beim Streit nicht in die Augen schaut."