Der Klubboss will “alle Möglichkeiten prüfen“ und stellt derweil klar, dass Oenning den HSV auch auf das Nordderby bei Bremen vorbereiten soll.

Hamburg. Trainerdiskussion, Führungsdebatte, Torwartproblem - beim Hamburger SV häufen sich nach dem 3:4 (1:1) gegen den 1. FC Köln und das damit verbundene Abrutschen auf den letzten Tabellenplatz der Fußball-Bundesliga die Problemzonen. Doch in der Vorstandsetage des "Dinos" ist man gewillt, keine neuen Baustellen zu öffnen - oder zumindest die bestehenden so klein wie möglich zu halten.

Trainer Michael Oenning jedenfalls steht für Klubboss Carl-Edgar Jarchow auch nach dem saisonübergreifend zwölften sieglosen HSV-Spiel in Serie weiterhin nicht zur Debatte. Der Coach werde auch im kommenden Spiel bei Werder Bremen auf der Bank sitzen, sagte Jarchow am Abend nach dem Köln-Desaster.

Bei Liga total! sagte Jarchow auf die Nachfrage, wie der HSV auf die "Oenning raus“-Rufe reagieren werde: "Damit gehen wir sehr offensiv um und werden von unserer Seite darüber gar keine Diskussion führen! Es ist jetzt nicht die Frage des Trainers, es ist jetzt die Frage der Analyse dieses Spiels und der Spiele vorher. Da haben wir zwei Wochen Zeit - und die werden wir nutzen.“

Zum verpatzten Saisonstart mit nur einem Punkt sagte der Vorstandsvorsitzende: "Die Spieler sind ja überwiegend sehr junge Spieler, die noch nicht das Selbstvertrauen gewinnen konnten, was man einfach braucht, um so ein Spiel über die Runden bringen zu können. Da fehlen einfach noch die Erfolgserlebnisse.“

Möglich, dass noch ein erfahrener Spieler zum HSV stößt. Jarchow kündigte an, dass die Hamburger vor Ablauf der Wechselfrist am kommenden Mittwoch wohl noch einmal auf dem Transfermarkt tätig werden. "Wir müssen uns sicher noch einmal umschauen und sind dabei, alle Möglichkeiten zu prüfen“, sagte der HSV-Boss: "Die finanziellen Reserven sind aber nicht da. Wir müssten jemanden abgeben, um jemanden zu holen.“ Als erster Kandidat für einen Verkauf gilt Eljero Elia. Der niederländische Vize-Weltmeister steht bei Juventus Turin auf dem Wunschzettel. Bis zu zehn Millionen Euro könnte ein Transfer Elias in Hamburgs Kassen spülen. Ob der weitgehend leergefegte Markt jedoch noch eine wirkliche Verstärkung für den HSV hergibt, scheint fraglich.

Das Wort Krise wird in Hamburg offenbar nicht gern bemüht. Und trotz der erneuten Niederlage skandierten die Fans nach dem Spiel auch für den Coach.

Das Kellerduell gegen Köln sollte der große Befreiungsschlag für den HSV werden - und wurde vom Ergebnis her ein Desaster. Trotz einer weitgehend starken Offensiv-Leistung und der 3:2-Führung bis zur 84. Minute ging die Partie gegen die zuvor ebenfalls sieglosen Kölner verloren. Die Gegentore 13 und 14 (84./88.) besiegelten Hamburgs dritte Niederlage im vierten Spiel. Der HSV steht am Tiefpunkt.

"Wir haben einen großen Aufwand betrieben und toll gespielt“, sagte Oenning, "nur wir haben das Ergebnis nicht ins Ziel gebracht.“ Dabei hätte der Trainer, der nur das erste seiner zwölf Spiele als Trainer bei den Hamburgern gewinnen konnte, auf einen Sieg schwören können. "Nach dem 3:2 hatte ich nie das Gefühl, dass wir das Spiel noch verlieren könnten.“ Das Wort Abstiegskampf kam ihm am Samstagabend nicht über die Lippen.

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Das Schrillen der Alarmglocken - selbst die Spieler scheinen sich der prekären Situation noch nicht bewusst. "Wir haben bei den Gegentoren große Fehler gemacht“, sagte Nationalspieler Dennis Aogo selbstkritisch. Angesprochen auf das Thema Abstiegskampf wiegelte der Abwehrspieler allerdings ab. "Davon sprechen wir nicht.“ Zu groß sei das Potzenzial in der Mannschaft.

Zweifelsohne sind gute Ansätze vorhanden. Gefährliche Standards, Mladen Petric als Torjäger, Sons tolles Tor zum 3:2 - in der Defensive rumpelt es aber gewaltig. Da nützt es wenig, wenn Oenning seine wieder einmal durchgewürfelte Innenverteidigung mit Neuzugang Slobodan Rajkovic und Kapitän Heiko Westermann lobt ("Die beiden haben einen sehr stabilen Eindruck gemacht.“). Vier Gegentore sind einfach zu viel. Zumal Keeper Jaroslav Drobny beim 3:4 wiederholt patzte. Schon beim 2:2 gegen Aufsteiger Hertha BSC Berlin hatte ein Fehler des Tschechen in der Schlussphase zwei Punkte gekostet.

Richtig gut gelaunt war indes Kölns Trainer Stale Solbakken. Seinen markigen Worten vor der Partie ("Wer Angst hat, verliert“) ließ sein Team Taten folgen. "Wir waren mental stärker und hatten am Ende ein bisschen mehr Glück“, sagte der Norweger. Von Glück allein zu sprechen, wäre jedoch untertrieben.

Solbakken selbst hatte entscheidenden Anteil am Erfolg. Mit seinen drei Einwechslungen bewies er ein goldenen Händchen. Lukas Podolski, der die erste Halbzeit wegen den Folgen einer Grippe von der Bank aus verfolgte, bereitete mit seinem ersten Ballkontakt die zwischenzeitliche 2:1-Führung vor. Der erst 20-Jährige Christian Clemens und der Kanadier Kevin McKenna drehten nach einem 2:3-Rückstand mit ihren Toren am Ende das Spiel.

Während Solbakken mit neuer Gelassenheit in die Länderspielpause geht, wird die Luft für sein Hamburger Pendant langsam dünn. Denn sollte Oenning beim Nordderby in Bremen am 10. September erneut verlieren, wackelt sein Stuhl gewaltig. Trotz der Huldigungen der Fans. Und trotz zunächst erfolgter Job-Garantie.

Die Statistik

Hamburg: Drobny - Diekmeier, Westermann, Rajkovic, Aogo - Jarolim, Tesche - Son (75. Elia), Skjelbred, Jansen - Petric (81. Guerrero). - Trainer: Oenning

Köln: Varvodic - Brecko, Sereno, Geromel, Andrezinho (68. Clemens) - Lanig, Riether - Chihi, Peszko (46. Podolski) - Novakovic, Jajalo (85. McKenna). - Trainer: Solbakken

Schiedsrichter: Florian Meyer (Burgdorf)

Tore: 1:0 Petric (11., Foulelfmeter), 1:1 Chihi (21.), 1:2 Novakovic (49.), 2:2 Rajkovic (59.), 3:2 Son (62.), 3:3 Clemens (84.), 3:4 McKenna (88.)

Zuschauer: 51.289

Beste Spieler: Chihi, Riether - Tesche

Gelbe Karten: Aogo (3) - Brecko (2), Novakovic, Riether

Torschüsse: 16:7

Ecken: 5:4

Ballbesitz: 58:42 Prozent

Fouls: 19:21

(sid/abendblatt.de)