Heute will der HSV beim Tabellenführer in Dortmund (20.30 Uhr hier im Liveticker) siegen - und langfristig Jürgen Klopps Konzept kopieren.

Dortmund/Hamburg. Dortmunds Trainer Jürgen Klopp hat das Training bereits vor 20 Minuten beendet. Den Großteil der Mannschaft stört das aber genauso wenig wie den Großteil der Zuschauer, die ihre Regenschirme noch längst nicht eingepackt haben und lieber den Dortmunder Profis beim "Wer kann den Ball am längsten hochhalten?" zuschauen. Helmut, 61, ist besonders vom 18-jährigen Mario Götze begeistert. "Der kann mit dem Ball jonglieren", schwärmt der Frührentner, der fast bei jedem Training mitten im Industriegebiet in Dortmund-Brackel an der Adi-Preißler-Allee zuschaut. Überhaupt gefällt dem jahrelangen Borussen-Anhänger, was er in dieser Saison zu sehen bekommt. "So einen Fußball gab es zuletzt in Dortmund, als der Ricken noch jung war", sagt Helmut, der natürlich auch heute Abend (20.30 Uhr/Sky und Abendblatt-Liveticker) beim Spiel gegen den HSV auf der Südtribüne die Daumen drücken wird.

Als Lars Ricken, der heute für die Borussia als Nachwuchskoordinator arbeitet, noch jung war, wurde der BVB zweimal deutscher Meister (1995 und 1996), gewann die Champions League (1997) und holte auch noch den Weltpokal (1997) an den Borsigplatz. Doch wie es so häufig bei großen Erfolgen ist, wurden im Anschluss große Fehler gemacht. Dortmund sprengte sämtliche Transferrekorde, konnte aber nur noch einmal, 2002, an die großen Erfolge anknüpfen. Drei Jahre nach der Meisterschaft trudelte der einstige Vorzeigeklub der Insolvenz entgegen, an der er nur knapp vorbeischrammte. Sportchef Michael Zorc gehörte schon damals zu den Verantwortlichen, ist aber heute immer noch im Amt. "Wir haben aus den Fehlern gelernt. Jetzt wollen wir mit intensiver Jugendarbeit größtmöglichen Erfolg haben, um kein Risiko einzugehen", sagte Zorc dem "Focus".

Zorcs Worte klingen ähnlich wie die Aussagen der Hamburger Verantwortlichen in dieser Saison. So kündigte HSV-Sportchef Bastian Reinhardt unlängst an, zukünftig vermehrt auf die eigene Jugend zu setzen und "den Ablösewahnsinn nicht mehr mitzumachen". Ein Wunsch, den Bernd Hoffmann schon seit Jahren verfolgt. Immer wieder drängte der HSV-Chef darauf, das in den vergangenen Jahren nur mäßig erfolgreiche Nachwuchskonzept zu überarbeiten. Eine Anregung, die auch mitentscheidend für den Streit und das Ende Dietmar Beiersdorfers als Sportchef beim HSV war. Seit dieser Saison kümmert sich der Schweizer Paul Meier um den Nachwuchs - und soll in Zukunft für ähnliche Erfolge sorgen wie das Vorbild Borussia. Gleich neun Spieler aus der eigenen Jugend stattete Klopp, der im Sommer 2008 kurz vor einer Vertragsunterschrift beim HSV stand, aber am Veto Beiersdorfers scheiterte, mit einem Profivertrag aus. Geht es nach Hoffmann, soll der HSV nun mit zweijähriger Verspätung Klopps Weg kopieren und so Kosten sparen.

Der HSV hat seit 2009/10 dreimal so viel ausgegeben wie der BVB

Tatsächlich scheint Borussias erzwungenes Jugendkonzept spätestens seit anderthalb Jahren voll aufzugehen. Damals verpasste Dortmund am letzten Spieltag in letzter Minute den Einzug in die Europa League, weil Hamburgs Piotr Trochowski doch noch zum entscheidenden 3:2-Sieg in Frankfurt traf. Die Folge: Der HSV qualifizierte sich für den internationalen Wettbewerb, Dortmund hatte wieder kein Geld für teure Neuzugänge zur Verfügung. Während der HSV in den folgenden beiden Jahren rund 45 Millionen Euro für neues Personal ausgab, investierte der BVB nur knapp ein Drittel davon. Zum Nulltarif wurde aus der eigenen Jugend Mario Götze geholt, der vor dieser Saison auch vom HSV heiß umworben war, sich aber trotz eines "sehr lukrativen Angebots" (Hoffmann) für einen Verbleib in Dortmund entschied. Und da Götze neben Edelfan Helmut auch Bundestrainer Joachim Löw beeindruckte, wurde der Youngster gestern erstmals für die Nationalelf nominiert.

Während der HSV gezwungenermaßen auf erfahrene Spieler setzt, ist man in Dortmund stolz auf den jüngsten Kader der Vereinsgeschichte (23,9 Jahre). Und das Borussia-Projekt "Jugend forscht" hat sich mit Tabellenplatz eins sportlich, aber auch wirtschaftlich längst ausgezahlt. Mit Gesamtausgaben von 34 Millionen Euro rangiert der Klub auf Platz neun der Gehaltsrangliste, gibt rund elf Millionen Euro weniger für seine Profis als der HSV aus. "Bis 2011 wollen wir auf Augenhöhe mit den Klubs Werder, HSV, Schalke und Stuttgart sein", hatte BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke, der seit seinem Amtsantritt 2005 rund 125 Millionen Euro Schulden abgebaut hat, auf der Hauptversammlung 2006 angekündigt - und hat schon jetzt Wort gehalten.

Helmut ist sich jedenfalls sicher, dass es im kommenden Sommer auf dem Borsigplatz wieder etwas zu feiern gibt: "Da können sich die Hamburger dann auch angucken, wie das geht."