Die Zwei Torwartlegenden im Duell: Das Abendblatt traf Klaus Thomforde und Richard Golz vor dem Stadtderby zum Sportgespräch.

Hamburg. Richard Golz kommt zu spät zum Treffpunkt im Sports-Diner Champs. Das Torwarttraining mit den HSV-Junioren hatte sich länger hingezogen. Klaus Thomforde grinst: "Das hat was zu bedeuten. Drei Punkte für St. Pauli." Als Golz eintrifft, schnappen sich die früheren Torhüter ein Tippkick und planen schon einmal die Torfolge. "Wir gewinnen 2:1 durch Treffer von Bruns und Ebbers", kündigt Thomforde an. "Die Frage lautet doch nur, ob van Nistelrooy ein oder zwei Tore schießt", kontert Golz und wehrt Thomfordes Schussversuch gekonnt ab.

Abendblatt:

Wo sehen Sie das Derby?

Thomforde:

Ich muss am Wochenende mit den deutschen U-16-Junioren nach Berlin, Richards alter Heimat. Wahrscheinlich haben wir zum Anpfiff sogar Training.

Golz:

Nimmt keiner Rücksicht?

Thomforde:

Kaum.

Golz:

Das ist hart.

Thomforde:

Ja, hart, aber das ist Job.

Golz:

Wobei es wahrscheinlich schlimmere Schicksale gibt, als beim Deutschen Fußballbund zu arbeiten.

Thomforde:

Beim HSV zum Beispiel ...

Können wenigstens Sie das Spiel live verfolgen, Herr Golz?

Golz:

In unserem Stadion. Wir haben mit der zweiten HSV-Mannschaft ein Spiel gegen RB Salzburg, äh, Leipzig, 'tschuldigung. Aber im Prinzip ist das ja auch ein Verein. Im Anschluss an unser Spiel beginnt das Public Viewing, wir schauen uns das Derby zusammen mit den Jungs an.

Auf einer Skala von eins bis zehn, wie wichtig ist das Spiel für beide Klubs?

Thomforde:

Für St. Pauli? Zehn.

Golz:

Dann ist es für den HSV neun. Ich glaube, der HSV hat wichtigere Ziele, als das Derby zu gewinnen. Für den HSV geht es eher um europäischen Fußball. Toll wäre allerdings, wenn der HSV am letzten Spieltag mit einem Sieg über St. Pauli Meister werden könnte. Das wäre das Allergrößte. Dann würde ich elf sagen.

Warum haben Sie die Zehn gewählt, Herr Thomforde?

Thomforde:

Weil es nach 1977 beim ersten echten Heimspiel in der Bundesliga die große Chance gibt, endlich wieder einen Sieg zu landen. Auch bei uns würde niemand so weit gehen und sagen: Zweimal gegen den HSV gewinnen und absteigen. Aber das Spiel endet 2:1 für uns. 100 Jahre St. Pauli, Aufstieg, neues Stadion, jetzt das Derby. Es gibt Dinge, die kann man nicht verhindern, der Sonntag ist so ein Tag ...

Golz:

... irgendwann ist auch mal gut mit der Wunschliste. Für St. Pauli wird's nicht zum Gewinnen reichen.

Was hat der HSV zu befürchten?

Golz:

Im alten Volksparkstadion gab es auch packende Spiele, aber logischerweise hatten wir nie das Gefühl, auswärts zu spielen. Der Heimvorteil am Millerntor erhöht natürlich die Chancen für St. Pauli, schließlich haben sie dort auch schon Bayern München und Werder Bremen geschlagen. In der Vorbereitung wird der Kollege Holger Stanislawski sicher auch solche Spiele ansprechen. Aber er bräuchte wahrscheinlich gar nichts zu sagen. Dieses Duell ist in Sachen Einstellung und Motivation ein Selbstgänger.

Muss man in solch einem Spiel Hass aufbauen, um Bestleistung zu bringen?

Thomforde:

Hass ist definitiv das falsche Wort. Es war Rivalität, du hast dich gepusht, Hass war nicht im Spiel.

Bei einigen Fans entwickelt es sich aber offensichtlich in diese Richtung.

Golz:

Neben der traditionellen Rivalität gab es bei den letzten Derbys immer nicht ganz so schöne Situationen, wenn zum Beispiel Böller zwischen den Blocks hin- und herflogen. Ich glaube aber auch, dass in unserer Gesellschaft insgesamt die Aggressionsschwelle gesunken ist. Autofahren in Hamburg macht auch nicht immer Spaß. Außerdem war Fußball schon immer ein wenig feuriger. Wenn Sie nach Gelsenkirchen fahren, erleben Sie das gleiche Programm, nur mit anderen Farben.

Thomforde:

Die Leute sollten sich mehr darauf besinnen, froh darüber zu sein, zwei Bundesligateams in der Stadt zu haben, in Deutschland als Fußballhauptstadt führend zu sein, anstatt sich auf die Hassschiene einer Minderheit zu fokussieren.

Wo liegt für Sie die Grenze zwischen Hass und gesunder Rivalität?

Thomforde:

Ganz einfach: Nach dem Abpfiff muss die Rivalität zu Ende sein. Wir haben früher einmal unentschieden gespielt und uns danach auf dem Rasen spontan zu einer gemeinsamen Welle zusammengefunden. Diese Aktion war eindrucksvoll, ich bin heute noch stolz darauf, trotz der teilweise heftigen Kritik aus dem eigenen Fanlager. Das war es mir wert. Damit wollte ich ausdrücken, bis zu den 90 Minuten und keinen Schritt weiter.

Herr Golz, Sie haben 1997 leidvoll erfahren, wie ernst den HSV-Fans das Derby ist. Ihren Fehler in der 90. Minute, der zum 2:2-Ausgleich führte, haben Ihnen viele Anhänger nicht verziehen.

Golz:

Zumindest hat es eine ganze Weile gedauert. Natürlich war das das schlimmste vorstellbare Szenario, aber es entwickelte sich damals auch eine gewisse Eigendynamik. Die Saison ging unappetitlich zu Ende, zwei Spieltage vor Saisonende flog der damalige Trainer Felix Magath raus. Aber es stimmt schon, das Spiel hat dazu beigetragen.

Können Sie diese Fanwut rückblickend verstehen und akzeptieren?

Golz:

Womöglich kompensieren sie andere Dinge damit und steigern sich in etwas hinein. Für viele Menschen ist Fußball mehr als ein Hobby, eine Ersatzreligion. Solch eine Fanliebe ist im positiven Sinne etwas Tolles, dann sind alle euphorisiert. Umgekehrt schlagen die Emotionen in die andere Richtung aus. Man sagt, Emotionen gehören zum Fußball, aber man muss diese Extreme nicht immer gut finden.

Thomforde:

Ich habe damals keine Schadenfreude empfunden, eher Mitgefühl. Ich habe es auch miterlebt, wie es ist, im eigenen Stadion ausgepfiffen zu werden. Einige Leute suchen sich einen Sündenbock für ihre kleineren Scharmützel, die sie unter der Woche ausgetragen haben, nach dem Motto: Ich hatte ja eigentlich recht, aber einer hat nicht mitgespielt.

Golz:

Wir sehen ja auch bei den Schiedsrichtern, wie mit ihnen umgegangen wird, wie sie beschimpft werden. Das geht bei einfachen Sachen los.

Herr Thomforde, wäre es für Sie infrage gekommen, zum HSV zu wechseln?

Thomforde:

Als Spieler nicht, das war auch gar kein Thema.

Und bei Ihnen, Herr Golz, vielleicht über den Umweg Freiburg?

Golz:

Nein. Ich habe zwar nie einen Hehl daraus gemacht, dass ich für St. Pauli gewisse Sympathien hege, was damals ja nicht unbedingt strafmildernd wirkte. Ich bin froh, dass St. Pauli da ist, weil es deshalb diese besondere Situation in Hamburg gibt. Aber mein Verein ist der HSV.

Was hat der HSV, was St. Pauli fehlt?

Thomforde:

Wenn ich an Spieler wie Petric, van Nistelrooy, Mathijsen oder Rost denke, das ist schon Qualität, die St. Pauli ein bisschen fehlt.

Kann St. Pauli den HSV überhaupt jemals sportlich einholen?

Thomforde:

Wenn es tatsächlich so weiterginge, das Stadion komplett fertig ist und St. Pauli dann noch in der Ersten Liga spielt, haben sie eine realistische Chance, das hinzubekommen. Davon bin ich überzeugt. Aber bis es so weit ist, vergehen bestimmt noch zehn Jahre.

Golz:

Selbst wenn St. Pauli das Derby gewinnt, sind sie ja nicht die Nummer eins in Hamburg. Und so weit wird es in absehbarer Zukunft auch nicht kommen. Ich glaube nicht, dass St. Pauli sich so entwickelt, dass sie so eine Größe wie der HSV annehmen können. Vielleicht wollen sie das auch gar nicht. Aber wer weiß, Klaus, was in zehn Jahren ist. Vielleicht steigt ja ein russischer Ölprinz bei euch ein. Obwohl das eure Strukturen wohl verhindern würden ...

Einige HSV-Fans nervt es, dass St. Pauli auf der Imagewelle des besonderen, nicht-kommerziellen Klubs mit den kreativen, guten Fans reitet. Sie auch?

Golz:

Das war schon zu meiner aktiven Zeit beim HSV so, dass unsere Fans genervt waren. Dabei ist das ganz normal. Wenn jemand Neues kommt, sind alte, eingefahrene Vereine nicht ganz so trendy in der Wahrnehmung. St. Pauli lebt ja auch von dem Kult. Bei einem Schwergewicht wie dem HSV ist das alles andere als Kult. Wobei man das alles bei St. Pauli relativieren muss. Die sind weit von ihrem Status vor zehn Jahren entfernt, das geht ja auch nicht anders. Du kannst sonst nicht auf Dauer in der Ersten Liga mitspielen. Sie müssen Geld einnehmen, versuchen, das Image hoch zu halten, sich an die anderen Vereine annähern, um wirtschaftlich mitzuhalten.

Ist St. Pauli für Sie noch der etwas andere Verein?

Thomforde:

Ein gewisser Kult mit dem nötigen Schuss Selbstironie lebt noch immer. Fakt ist: Früher hatten wir eine Toilette, die man noch nicht mal abschließen konnte. Teilweise haben wir auf einem Schulsportplatz trainiert und mussten die Kabinen verlassen, weil der Schulunterricht Vorrang hatte. Das war, sagen wir mal, nicht mehr so ganz zeitgemäß. Eine Weiterentwicklung war deshalb notwendig. Trotzdem sehe ich beim Stadion schon Unterschiede. Die Außenansicht der Südtribüne gefällt mir in ihrem englischen Stil, man hat einige Utensilien aus dem alten Stadion verarbeitet.

Welches Image hat der HSV für Sie?

Thomforde:

Der HSV ist ein Bundesliga-Dino-Verein mit einer Uhr im Stadion, die vielleicht mal abläuft ...

Würde Sie das freuen?

Thomforde:

Nein, mich würde es freuen, wenn wir weiter die Fußballhauptstadt bleiben und wir ein friedliches Derby erleben, in dem der Fußball gewonnen hat, mit einem 4:3 für St. Pauli oder von mir aus einem 4:4.

Was fehlt dem HSV, was St. Pauli hat?

Golz:

Gar nichts. Wirklich. Der Verein hat sich schon verändert in den vergangenen zehn Jahren und denkt viel weiter über den Tellerrand hinaus, als man es vielleicht so wahrnimmt. Der HSV ist ein moderner Klub, das Image hat sich enorm entwickelt. St. Pauli ist eine andere Nische, ein anderer Markt. Beide Vereine haben ihre Existenzberechtigung. Der HSV ist ein Großverein, der das Image des Kultigen gar nicht bedienen kann. Deshalb sollte er es gar nicht versuchen.

Thomforde:

Moment, mir fällt was ein, wofür wir ein bisschen beneidet werden: Die Lage des Stadions. Der HSV hat natürlich ein fantastisches Stadion, keine Frage. Aber der Rothenbaum war schon eine andere Nummer.