Seit der HSV-Trainer Thorsten Fink im Oktober sein Amt antrat, ging es nur bergauf. Jetzt kämpfen er und sein Team gegen den Abwärtstrend.

Hamburg. Heute darf Thorsten Fink in München für einen Abend in eine andere, für den HSV einige Galaxien entfernte Fußballwelt abtauchen. Jene glitzernde Welt, die er als Spieler des FC Bayern und als Trainer des FC Basel genießen durfte: die Königsklasse.

Die Realität beim HSV sieht weniger berauschend aus: Finks Mannschaft steht in der Bundesliga-Heimtabelle mit nur elf Punkten auf Rang 18 und hat in der Rückrunde mit 18 Gegentoren so viele Treffer hinnehmen müssen wie keine andere Mannschaft. Dank der Auswärtsstärke in den vergangenen Monaten, dort belegt das Team immerhin Platz sechs, schien der HSV einen Mittelfeldplatz sicher zu haben. Doch jetzt, nach dem 1:3 gegen Schalke und nur einem Punkt aus den vier vergangenen Spielen, gilt es zu konstatieren, dass der im Oktober verpflichtete Trainer seine erste Ergebniskrise durchlebt.

"Ruhig bleiben", "Alles gemeinsam angehen", "Videostudium, Einzelgespräche, gute Trainingsarbeit", das waren gestern trotzig vorgetragene Formulierungen von Fink. Der 44-Jährige verwies darauf, dass die Situation in dieser Saison schon weitaus schwieriger gewesen sei und man schließlich in der Rückrunde bereits gegen die Top fünf der Liga antreten musste. Da seien acht Punkte aus den vergangenen acht Spielen eine ordentliche Punkteausbeute, aber: "Das reicht nicht, um nicht abzusteigen."

+++ Der HSV und das Sorgenbarometer +++

Seine Fähigkeit, die Mannschaft zu motivieren und anzustacheln, hat Fink schon mehrfach bewiesen. Doch im Bemühen, die verjüngte Mannschaft weiterzuentwickeln, stagniert seine Arbeit sichtlich. Von Fortschritt keine Spur. Zudem muss Fink ausgerechnet jetzt, wo die Phase der Spiele gegen direkte Konkurrenz beginnt, ständig umbauen.

Auch gegen Freiburg am Sonnabend wird Dennis Aogo (Wade) fehlen. Sein Ersatz Marcell Jansen musste sich wegen einer Sprunggelenksverletzung einer Kernspintomografie unterziehen. Sollte auch er ausfallen, müssten entweder Michael Mancienne oder Slobodan Rajkovic einspringen. Nicht gerade eine optimale Besetzung bei Finks System mit den bei Ballbesitz weit vorne postierten Außenverteidigern. Dass auch Heiko Westermann (fünfte Verwarnung) fehlt, passt ins Bild.

Trefflich diskutieren ließe sich, ob der HSV derzeit mehr defensive oder offensive Probleme hat. Dass der formstarke Paolo Guerrero als Ballfänger und -verarbeiter vermisst wird, war logisch. Dass Fink auch dafür sorgen muss, Mladen Petric wieder in Gang zu bringen, war in dieser Dramatik nicht zu erwarten. Ebenso wenig vermochte er bisher, die Blockaden bei Ivo Ilicevic und Heung Min Son zu lösen.

Fink war sichtlich bemüht, Souveränität auszustrahlen, doch einige Worte verrieten, dass er sich ernsthaft Gedanken macht. Als er gestern von Stürmer Marcus Berg sprach, schien er sich fast über sich selbst zu erschrecken, als er die Zaghaftigkeit des Schweden in den Zweikämpfen monierte und sagte, so etwas sei im "Abstiegsk..., ja, Abstiegskampf" schwierig.

Als Fink beim HSV begann, konnte es nur aufwärtsgehen, jetzt muss er mit seinen Spielern das Erreichte verteidigen, mental ein gewaltiger Unterschied. Zudem könnten die vielen erzwungenen Wechsel in der Aufstellung destabilisierend wirken. Wie gegen Schalke, als sich Lücken zwischen den Mannschaftsteilen auftaten wie unter dem ehemaligen Trainer Michael Oenning. Dass es Fink bisher nicht gelungen ist, die zu hohe Fehlerquote abzustellen, die zu den extremen Leistungsschwankungen beiträgt, ist eine weitere Erkenntnis. Fast paradox, dass mit Jaroslav Drobny ein HSV-Profi den positivsten Trend aufweist, auf dessen Position der Klub kommende Saison mit René Adler plant.

Niemand beim HSV ist in dieser Phase so gefordert wie Fink. Er muss aufpassen, dass das naive Auftreten seiner Spieler nicht in Unsicherheit umschlägt, gerade bei den Jüngeren. Und er muss für eine bessere Balance im Team beim Umschalten zwischen Angriff und Verteidigung sorgen, und zwar in beide Richtungen. Fink verwies lieber auf die falsche Positionierung bei Standards und prangerte an, seine Spieler müssten sich cleverer verhalten, auch mal taktisch Foul spielen. Fast schien es, als habe der stets so selbstbewusst auftretende HSV-Coach Bedenken, ob sein Team die nötige Härte besitze, um sich aus der Gefahrenzone zu befreien. Aber nur fast. "Mit einem Sieg gegen Freiburg können wir acht Punkte davonziehen", kam wieder sein Optimismus durch. Doch dafür muss auch der Heimkomplex besiegt werden.