Der HSV-Aufsichtsrat macht vor Mitgliederversammlung am15. Januar sechs zentrale Vorwürfe gegen Ex-Chef Bernd Hoffmann öffentlich.

Hamburg. Am Sonntag erwartet den HSV eine turbulente Mitgliederversammlung im CCH. Als erstem Vorstandsvorsitzenden der HSV-Geschichte droht Ex-HSV-Chef Bernd Hoffmann, die Entlastung der Mitglieder verwehrt zu bleiben. "Die Mitglieder haben das Recht, detailliert über das vergangene Geschäftsjahr informiert zu werden. Wenn es da Nachfragen gibt, werden sie beantwortet werden", kündigte Hoffmanns Nachfolger Carl Jarchow eine Aufarbeitung der Amtszeit seines Vorgängers im Abendblatt-Interview bereits an. Um Transparenz zu gewähren und den am Sonntag anwesenden Mitgliedern eine bessere Vorbereitungsmöglichkeit zu geben, veröffentlichte Aufsichtsratschef Ernst-Otto Rieckhoff vorab Auszüge aus seinem mündlichen Bericht. Abendblatt.de dokumentiert die sechs umstrittenen Punkte:

Nach der Amtsübernahme am 15.3.2011 hatte der aktuelle Vorstand ein berechtigtes Interesse, eine klare Abgrenzung zwischen den Aktivitäten des alten und neuen Vorstands vorzunehmen. Dazu beauftragte er eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Diese bewertete in ihrem Bericht einige vom alten Vorstand mit Dienstleistungsunternehmen und Mitarbeitern geschlossene Verträge als „auffällig“.

Anhand der verfügbaren Dokumente konnte zunächst nicht festgestellt werden, ob den Zahlungen des HSV angemessene Leistungen gegenüber standen und ob die zum Teil nötigen Gremienbeschlüsse vorlagen. Da notwendige juristische Bewertungen für diese Vorgänge fehlten, beauftragte der neue Vorstand eine angesehene Kanzlei für Personalrecht mit einer solchen Analyse. Hier kam man zu dem Schluss, dass die Zuständigkeit für weitere Untersuchungen beim Aufsichtsrat liege, denn die Satzung wie auch die Rechtsprechung verpflichte den Aufsichtsrat, das Bestehen von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern eigenverantwortlich und ohne eigenes Ermessen zu prüfen und im Falle überwiegender Erfolgsaussichten grundsätzlich zu verfolgen. Folgerichtig beauftragte der Aufsichtsrat die besagte Kanzlei mit der Aufklärung offener Fragen. Nach ausführlichen Vertragsprüfungen, Sichtungen und Suche nach vorhandenen Unterlagen und Gesprächen mit Repräsentanten und Mitarbeitern des Vereins verblieben nach Feststellungen der Juristen offene Fragen zu sechs Verträgen.

Da keine ausreichende Klarheit über sämtliche Zahlungen bestand, wurde den ehemaligen Vorständen Katja Kraus und Bernd Hoffmann ein umfangreicher Fragenkatalog zugeleitet. Beide ehemaligen Vorstände haben danach anwaltlich zu den einzelnen Verträgen Stellung bezogen. Die erteilten Auskünfte wiederum zogen weitere Recherchen nach sich. Um die Haftungsfragen abschließend zu klären, hatte der Aufsichtsrat schon vorher beschlossen, die Antworten nochmals juristisch bewerten zu lassen. In seiner Sitzung vom 13.12.2011 fasste der Aufsichtsrat hierzu einen Beschluss, auf den wir später zurückkommen werden. Zuvor wollen wir im Überblick aufzeigen, um was es bei den fraglichen sechs Verträgen ging.

Fall 1:

Mit zwei Spielerberatungsagenturen sind Vergleichsvereinbarungen getroffen worden. Hintergrund waren agenturseitig beanspruchte Vermittlungshonorare. Dies erscheint ungewöhnlich, da der betreffende Spielertransfer als Voraussetzung für ein Vermittlungshonorar nicht zustande gekommen war. Nach unseren Recherchen kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Vergleichszahlungen auf den Empfehlungen eigener Anwälte beruhten und mit dem Restrisiko einer erfolgreichen Inanspruchnahme des HSV durch die betreffenden Agenturen begründet wurden. In dieser Situation fehlen hinreichende Anhaltspunkte für eine Haftung der Vorstände.

Fall 2:

Es wurden überwiegend für das erste Halbjahr 2010 an eine Sportagentur monatliche Honorare gezahlt, deren Angemessenheit aus Sicht des Aufsichtsrats schwer zu beurteilen ist. Parallel bestehen Zweifel an der Angemessenheit einer zusätzlich gezahlten Lizenzentschädigung. Eine schriftliche Vereinbarung lag der Zusammenarbeit nicht von Anfang an zugrunde, sondern wurde mit der Agentur erst im Oktober 2010, also nach Beendigung der Geschäftsbeziehungen geschlossen. Dem Vertragsabschluss lag weder ein schriftlicher Vorstandsbeschluss noch ein nach Juristenmeinung nötiger Aufsichtsrats-Beschluss zugrunde. Nach aktuellem Kenntnisstand sehen unsere Juristen keine überwiegenden Erfolgsaussichten, die ehemaligen Vorstände im Hinblick auf die gezahlten monatlichen Pauschalbeträge erfolgversprechend in Regress zu nehmen.

Fall 3:

Im Oktober 2010 beauftragte der Vorstand PR-Beraterleistungen. Dieser Beauftragung an eine Agentur lagen weder ein Aufsichtsrats- noch ein schriftlicher Vorstandsbeschluss zugrunde, obwohl der vermeintliche Gegenstand der Tätigkeit auch Angelegenheiten des Aufsichtsrats betraf. Für den Aufsichtsrat steht nicht fest, ob den Zahlungen an die Agentur auch angemessene Gegenleistungen gegenüber gestanden haben; allerdings ist dies auch nicht ausgeschlossen. Aussagefähige schriftliche Leistungsnachweise liegen nicht vor, weil diese aufgrund der Vertraulichkeit des Mandats von den Vertragspartnern angeblich ausdrücklich nicht gewollt wurden. Im Ergebnis halten unsere Juristen die erfolgreiche Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen die beiden ehemaligen Vorstände für nicht überwiegend wahrscheinlich.

Fall 4:

Ein ehemaliger Mitarbeiter des HSV erhielt vergleichsweise hohe jährliche Prämien, die ab dem zweiten Jahr seiner Tätigkeit teilweise monatlich vorab und jedes Jahr in voller Höhe ausgezahlt wurden. Da die Prämie nach dem Anstellungsvertrag von einer Steigerung des Deckungsbeitrages in den von dem Mitarbeiter verantworteten Bereichen abhängig war, die Deckungsbeiträge in einzelnen Jahren aber rückläufig waren, erscheint die Auszahlung der vollen Prämie für jedes einzelne Jahr der Beschäftigung bei zusammenfassender Betrachtung als nicht gerechtfertigt. Daraus lassen sich zwar nach Einschätzung unserer Juristen hinreichende Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung ableiten, eine Inanspruchnahme wäre jedoch wegen eventuell anderer - unbekannter - prämienfähiger Zahlungsmotive und der nicht feststehenden Höhe eines Schadens mit einem Risiko verbunden.

Fall 5:

In dem Zeitraum von November 2003 bis September 2008 bestand mit einem Unternehmen eine Beratervereinbarung über ein verstetigtes monatliches Honorar. Darüber hinaus zahlte der HSV an das Unternehmen zusätzliche Prämien für die Herstellung von Kontakten in die Hamburger Wirtschaft. Ob bzw. welche Gegenleistungen das Unternehmen für einzelne dieser Prämien erbracht hat, ist in Ermangelung aussagefähiger schriftlicher Dokumente wie Verträge, Protokolle oder Tätigkeitsnachweise aus Sicht unserer Juristen nicht hinreichend belegt und ließe sich allenfalls durch die Befragung der betreffenden Sponsoren klären. Hiervon wird aus Gründen des übergeordneten Vereinswohls abgeraten.

Fall 6:

Für eine sportfachliche Beratungsdienstleistung in 2009 durch eine Agentur zahlte der HSV ein Honorar, wobei auch hier schriftlich dokumentierte Arbeitsergebnisse fehlen. Da hier aber mündlich erbrachte Dienstleistungen behauptet werden, ist es nicht überwiegend wahrscheinlich, dass sich bei einer prozessualen Geltendmachung eine Pflichtverletzung und ein Schaden für den HSV belegen ließen.

Soweit also der Überblick über die untersuchten Fälle. Wir weisen ausdrücklich darauf hin, dass uns bei der Berichterstattung enge juristische Grenzen auferlegt worden sind. Nahezu sämtliche der beschriebenen Verträge enthalten Verschwiegenheitsverpflichtungen für beide Vertragspartner, also auch für den HSV, so dass konkrete Inhalte aus den Verträgen nicht offengelegt werden dürfen. Der Aufsichtsrat als Gremium nimmt diese Verpflichtung, insbesondere vor dem Hintergrund der jüngsten Veröffentlichungen im Hamburger Abendblatt, ernst und wird nicht dagegen verstoßen. Überdies wäre ein wirtschaftlicher Schaden für den HSV nicht ausgeschlossen, wenn potentielle Vertragspartner zukünftig damit rechnen müssten, dass vertrauliche Vertragsdetails an die Öffentlichkeit gelangen.

Unabhängig davon hält es der Aufsichtsrat allgemein für ungewöhnlich, dass wichtige Geschäftsvereinbarungen über Hunderttausende Euro überwiegend mündlich vereinbart und die dazugehörigen Dienstleistungen mündlich und persönlich abgerufen und erbracht wurden.

Nachdem das alles in einer sehr breiten und tiefen Abwägung innerhalb des Aufsichtsrats auch in Abstimmung mit der anwaltlichen Begleitung bewertet worden ist, hat der Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 13.12.2011 sinngemäß festgestellt und beschlossen:

Der Aufsichtsrat hat sämtliche notwendigen und zumutbaren Ermittlungen und Aufklärungsmaßnahmen durchgeführt. Die Zweifel an der Angemessenheit und Höhe der an Dienstleistungsunternehmen in den beschriebenen Fällen gezahlten Honorare bzw. an Mitarbeiter gezahlten Prämien konnten nach umfangreichen Aufklärungsaktivitäten nicht ausgeräumt werden.

Das Verhalten der ehemaligen Vorstände Katja Kraus und Bernd Hoffmann erscheint nicht in allen Aspekten angemessen und dem Vereinsinteresse zuträglich.

Gleichzeitig bestehen beträchtliche Risiken im Falle einer gerichtlichen Inanspruchnahme der beiden ehemaligen Vorstände. Deshalb sieht der Aufsichtsrat rechtmäßig davon ab, Regressansprüche geltend zu machen.

Diese Entscheidung gilt auch für die Aspekte, in denen es nach der juristischen Abwägung hinreichende Anhaltspunkte für eine Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen geben könnte. Der Grund: Der Aufsichtsrat betrachtet entgegenstehende gewichtige Vereinsinteressen als höheres Gut. Dazu gehört eine Prozessdauer mit unkalkulierbaren Kosten gegenüber eventuellen, aber nicht bezifferbaren Ansprüchen, dazu gehören auch das Ansehen des Vereins in der Öffentlichkeit oder negative Auswirkungen auf die geschäftliche Tätigkeit. Eventuell später auftretende neue Erkenntnisse bleiben hiervon natürlich unberührt. Soweit der juristische Teil.

Aus gegebenem Anlass wegen diverser Presseveröffentlichungen stellen wir eindeutig klar, dass zu keinem Zeitpunkt jemand im Aufsichtsrat die angemessene Aufklärung insgesamt oder die der Mitgliedschaft verhindern oder gar vertuschen wollte. Auch die Darstellung im Hamburger Abendblatt vom 3.Januar, wonach der Aufsichtsrat mit 6:6 Stimmen entschied, keine Schadensersatzansprüche gegen Bernd Hoffmann zu stellen ist falsch! Richtig ist, dass kein einziger der 12 Kollegen dafür plädierte, Ansprüche zu stellen. Ja, es gab ein Abstimmungsergebnis von 6:6, das betraf aber zwei unterschiedliche Beschlussvorlagen, die sich nicht im Gesamtergebnis, sondern nur in der Tiefe der Kommunikation unterschieden haben. Mit großer Mehrheit wurde daraus dann entschieden, eine weitestgehende Information zu geben, die allerdings sämtlichen juristischen Aspekten zu unterwerfen war, genau so, wie wir es hier vortragen.

Der Aufsichtsrat will die Diskussion sachlich und unaufgeregt führen, die erfolgte emotionale Aufladung durch skrupellos gezielte Indiskretionen im Vorwege der Versammlung verurteilen wir und lehnen jegliche Verantwortung dafür ab. Dem Aufsichtsrat geht es hier um Aufklärung, nicht um eine Abrechnung. Das muss auch aus Respekt angesichts von unbestreitbaren Verdiensten in der achtjährigen Amtszeit von Katja Kraus und Bernd Hoffmann so gesehen werden.

Bitte seien Sie versichert, dass der Aufsichtsrat seinen Kontrollpflichten gegenüber den beiden ehemaligen Vorstandsmitgliedern vollumfänglich nachgekommen ist und die Vertragsbeziehungen sorgfältig geprüft hat. Sämtliche hierauf bezogenen Entscheidungen des Aufsichtsrats wurden unter sorgfältiger Abwägung zwischen den juristischen Gesichtspunkten und auch den Interessen des HSV getroffen. Die gesamte Analyse hat auch aus Juristensicht keinerlei Anhaltspunkte für Verfehlungen des Aufsichtsrats ergeben.

Soviel zu dem Thema, was den Aufsichtsrat in den letzten Monaten maßgeblich beschäftigt hat. Mit dieser abschließenden Darstellung und einer Diskussion hierüber am Sonntag erwarten wir, dieses viel zu lange dauernde Kapitel abzuschließen. Es ist nicht mehr länger zu verantworten, weiterhin Zeit, Geld und Ressourcen des Vereins in dieser Angelegenheit aufzuwenden.

Was lernen wir aus diesem Vorgang?

Der Aufsichtsrat wird Konsequenzen aus den gewonnenen Erkenntnissen ziehen. Wir werden uns beschäftigen mit der Ausweitung der Kontrollbefugnisse des Aufsichtsrats auf die Tochtergesellschaften, wobei auch die Konzernstruktur auf den Prüfstand kommen wird sowie mit der Aufgabenerweiterung für die Wirtschaftsprüfer hinsichtlich von Satzungskonformitäten.

Die Mitglieder des Aufsichtsrats sind fest entschlossen, aus den Vorkommnissen der Vergangenheit zu lernen und es besser zu machen. Ich bitte Sie für die vor uns liegenden Aufgaben alle um Ihr Vertrauen und um ihre Unterstützung.

Für den Aufsichtsrat, Otto Rieckhoff

Quelle: hsv.de