Nach dem Ausscheiden im Halbfinale der Europa League beim FC Fulham steht der HSV vor dem Trümmerhaufen einer verkorksten Saison.
Hamburg. Es war eine Szene, wie man sie nicht besser hätte inszenieren können: Bernd Hoffmann, Vorstandsvorsitzender des Hamburger Sportvereins, wühlte sich nach dem tragischen Aus im Halbfinale der Europa League beim FC Fulham durch die Masse der vor dem Stadion wartenden Medienvertreter, um dann doch stoppen zu müssen. Just in diesem Moment fing es in London an zu regnen, unmittelbar neben dem HSV-Boss lag ein großer Haufen Pferdekot. "Das ist ein Schock. Diese Niederlage ist bitter für jeden, der mit diesem Verein zittert", sagte der sichtlich angeschlagene Hoffmann: "Ein Traum, den wir zwei Jahre gehabt haben, ist zerplatzt".
Wenige Minuten zuvor hatten die Hamburger Profis die große Chance verspielt, das Finale im heimischen Stadion am 12. Mai zu erreichen und den HSV erstmals seit 1983 wieder in ein europäisches Endspiel zu führen. Aus einer 1:0-Führung wurde noch ein 1:2. Dazwischen lagen sieben Minuten, in denen die ansonsten leidenschaftlich kämpfenden Rothosen die Orientierung verloren. Sieben Minuten, in denen die Hanseaten sich um den Lohn einer ganzen Europapokal-Saison brachten.
Nach dem Spiel entlud sich die Enttäuschung: Die mitgereisten Fans skandierten zunächst „Hoffmann raus“, um sich dann Straßenschlägereien mit Fulham-Fans zu liefern. Zé Roberto & Co. saßen nach dem verpassten Heimfinale wie geprügelte Hunde im Craven Cottage fest, weil der Mannschaftsbus wegen der nächtlichen Raufereien nicht zu ihnen durchkam. Noch im Flieger am Freitagmorgen hatte keiner der Profis das 1:2 in London und das wohl besiegelte europäische Aus für das kommende Jahr verkraftet.
Zum zweiten Mal in Folge scheitert Hamburg im Halbfinale eines europäischen Wettbewerbs. Wie schon im Halbfinalrückspiel des Uefapokals in der Vorsaison gegen Werder Bremen schafft es der HSV auch in Fulham nicht, die hervorragende Ausgangslage in einen Erfolg umzumünzen. Spieler, Verantwortliche und vor allem die Fans erleben eine neue große Enttäuschung und müssen weiter auf den ersten Titel seit dem DFB-Pokalsieg 1987 warten. "Da fehlt der letzte Schritt, der letzte Punch", erkannte auch Hoffmann, der nun vor dem Trümmerhaufen steht.
In der Bundesliga sind die Hambuger nach einer tollen Vorrunde auf Platz sieben abgestürzt und haben keine reelle Chance mehr, den für die europäische Teilnahme nötigen sechsten Platz zu erreichen. Mit Bruno Labbadia wurde nach etlichen internen Verstimmungen der sechste Trainer in sieben Jahren verschlissen. Zudem droht die Mannschaft am Ende der Saison auseinanderzubrechen.
Mit Jerome Boateng, der für die festgeschriebene Ablösesumme von 12,5 Millionen Euro zu Manchester City wechselt, steht der erste Abgang bereits fest. Der Wechsel von Zé Roberto nach nur einem Jahr in Hamburg zu Red Bull New York gilt als wahrscheinlich. Dennis Aogo wird zudem vom AC Mailand umworben. Die Zukunft von Paolo Guerrero an der Elbe ist ungewiss, der Peruaner wird den Verein aller Voraussicht nach verlassen. Auch der Verbleib von Piotr Trochowski steht in den Sternen. Es hängt in erster Linie am neuen Trainer, ob der zuletzt oft nicht berücksichtigte Nationalspieler seinen 2011 auslaufenden Vertrag vorzeitig verlängert oder dem HSV den Rücken zuwendet. Guy Demel kann den Verein verlassen, zumindest wollen die Verantwortlichen eine ernsthafte Alternative für den in dieser Saison enttäuschenden Rechtsverteidiger verpflichten.
Fakt ist: Durch die verpasste Qualifikation für die Europa League in der kommenden Spielzeit muss die Führung des Bundesliga-Dinos mit erheblichen wirtschaftlichen Einbußen planen. Neben den fehlenden TV-Einnahmen sowie Erlösen aus dem Ticketverkauf muss der HSV auch auf die Prämien von Sponsoren verzichten, die aufgrund von Vertragsklauseln nicht ausgeschüttet werden.
Auch die Trainersuche hat sich durch das Ausscheiden im Halbfinale nicht erleichtert, ein hochkarätiger Name dürfte angesichts der sportlichen Perspektive in der nächsten Saison nur schwer zu verpflichten sein. Wie es in naher Zukunft im Volkspark weitergeht, entscheidet sich auf einer Sitzung des Aufsichtsrates nach Ende der laufenden Bundesligasaison. "Wir werden uns am 10. Mai zusammensetzen", kündigte Ratschef Horst Becker an und ergänzte: "Auch Bernd Hoffmann wird sich dann erklären müssen". Allerdings will Becker den sportlichen Misserfolg nicht nur an die Person Hoffmann knüpfen. "Der Vorstand schießt keine Tore. Außerdem besteht er nicht nur aus Bernd Hoffmann", sagte Becker.
Hoffmann musste sich unmittelbar nach dem Schlusspfiff im Craven Cottage den Unmut der HSV-Fans anhören. Die Anhänger der Rothosen hatten den Sündenbock für das Ausscheiden schnell gefunden. Mit "Hoffmann raus"-Rufen wurde der Vorstandsvorsitzende aus dem Stadion begleitet. Die Wut der Zuschauer nahm der 47-Jährige - zumindest äußerlich - gelassen zur Kenntnis. "Das ist nicht schön, das sind Emotionen, die raus müssen. Alle, die mit dem HSV gezittert haben, verspüren den gleichen Frust, das will ich nicht überbewerten". Den Abwärtstrend der Hamburger wollte er indes nicht bestätigen: "Der Verein hat eine exzellente Entwicklung genommen, es ist nicht mehr der Verein von vor sieben Jahren. Die Niederlage ist eine sportliche Enttäuschung, die wir leider so hinnehmen müssen, das ist bitter für jeden HSV-Fan, aber es ist eben nur Sport", so Hoffmann.
Kaum verwunderlich, dass Becker und Hoffmann nach der letzten großen Enttäuschung der Saison fast wortgleich zu Durchhalteparolen griffen. „Schalke, Leverkusen und Dortmund haben zuletzt auch nicht international gespielt“, lautete die einheitliche Parole mit anschließendem Verweis auf die Leistungen der betreffenden Klubs in der laufenden Spielzeit. „Davon geht die Welt nicht unter“, meinte Hoffmann und hoffte weiter, dass sein Verein in der Bundesliga doch noch auf den angepeilten sechsten Platz rutschen könnte.
In Hamburg geht es nun darum, schnelle und gute Entscheidungen zu treffen. Mit Urs Siegenthaler wurde zwar ein Sportchef verpflichtet, der aber in erster Linie die Arbeit eines Chefscouts übernimmt. Der gesamte Trainerstab löst sich auf, da neben den beurlaubten Bruno Labbadia und Eddy Sözer der Vertrag von Torwarttrainer Claus Reitmaier nicht verlängert wird. Interimstrainer Ricardo Moniz wechselt nach Salzburg, einzig Rehacoach Markus Günther bleibt den Hanseaten erhalten. Bis Ende des Monats Mai - und vor allem vor der im Juni beginnenden Weltmeisterschaft - sollten die wichtigsten Entscheidungen geklärt sein. Ansonsten werden die vorhandenen Probleme noch größer.
Keine 48 Stunden nach Fulham geht es für die Hamburger in der Bundesliga gegen den 1. FC Nürnberg (Sonnabend, 15.30 Uhr im Liveticker auf abendblatt.de). Dabei wird Trainer Moniz voraussichtlich auf Robert Tesche verzichten müssen. Der Mittelfeldspieler klagt über Oberschenkelprobleme. Ebenso ist der Einsatz von Ruud van Nistelrooy gefährdet. Der Niederländer ist wegen Beschwerden am Hüftbeuger nicht fit. „Da müssen wir sehr vorsichtig sein“, sagte Moniz am Freitag.