Beim HSV werden Nachwuchs- und Scoutingbereich neu gegliedert, Trainerteam und Kader stehen vor großen Umbrüchen.
Hamburg. Zu unseren Schweizer Nachbarn ist das Kalenderjahr 2010 alles andere als gnädig. So fällt beispielsweise der Nationalfeiertag am 1. August - auch als Bundesfeier bekannt - in diesem Jahr ausgerechnet auf einen Sonntag. Über ein verlängertes Wochenende rund um den Feiertag brauchen die Eidgenossen also gar nicht erst nachzudenken. Sowieso nie daran gedacht hat Urs Siegenthaler, dessen offiziell erster Arbeitstag als HSV-Sportchef vertraglich auf jenen 1. August fällt. Und Sonntag hin oder Feiertag her: Es ist davon auszugehen, dass Siegenthaler am 1. August das macht, was er seit seiner Verpflichtung ohnehin schon gemacht hat: den gesamten HSV auf den Kopf stellen.
Obwohl der gemütlich aussehende Schweizer mit der charakteristischen Brille offiziell noch gar nicht im Amt ist, gibt er rund um die Nordbank-Arena bereits den Ton an. In der Nachwuchs- und Scoutingabteilung hat der arbeitsame Noch-Chefscout des DFB sich und seine Pläne bereits vorgestellt. Das Ergebnis: Ähnlich wie im Profikader und im Trainerteam bleibt nur wenig so wie es mal war. Das Abendblatt dokumentiert Siegenthalers Pläne mit dem HSV.
1. Nachwuchs
Siegenthaler will den Schwerpunkt auf die Förderung des eigenen Nachwuchses in den kommenden Jahren legen. Das Ziel: Mehr Eigengewächse sollen den Sprung zu den Profis schaffen. Dafür wird Nachwuchsleiter Stephan Hildebrandt Siegenthalers Landsmann Paul Meier an die Seite gestellt. Erste Priorität: Die Trainer der Nachwuchsmannschaften (U 23 bis U 12) sollen besser ausgebildet werden. Derzeit hat nur U-17-Trainer Markus von Ahlen, der im kommenden Jahr das U-19-Team trainiert, eine Fußballlehrerlizenz. Die U-23-Trainer Rodolfo Cardoso und Richard Golz haben wie die meisten Nachwuchscoaches nur die A-Lizenz. Zum Vergleich: Bei Werder Bremen haben fast alle Nachwuchstrainer die Fußballlehrerlizenz.
Siegenthaler hat bei seinem Antrittsbesuch vor gut drei Wochen klar gemacht, dass die gesamte Abteilung professioneller werden muss. So wurde der HSV beim Lizenzierungsverfahren der DFL vor zwei Jahren lediglich mit zwei von drei Sternen ausgezeichnet, ein Nachlizenzierungsverfahren wurde bereits angestrebt. Das Ergebnis wird Ende April erwartet. Zur Erinnerung: Pro Stern erhalten die Vereine pro Jahr 50 000 Euro für ihren Nachwuchs. Auf knapp 300 Seiten wurde eine grundlegende Spielphilosophie festgelegt. So sollen in Zukunft sämtliche Jugendmannschaften die gleiche Spielphilosophie wie die Profis verfolgen. Um die ehrgeizigen Ziele zu erreichen, ist ein Personalaustausch denkbar.
2. Scouting
Personelle Veränderungen hat es bei Hamburgs Spähern längst gegeben. Getrennt hat sich der HSV bereits von 50 Prozent seiner fest angestellten Mitarbeiter der Scoutingabteilung. Ulrich Nikolinski ist seit 15. August 2009 neuer Chefscout bei Hansa Rostock. Hans-Jürgen Kreische und Bernd Legien folgten Ex-Sportchef Dietmar Beiersdorfer zu Red Bull. Zudem laufen die Verträge mit den Honorarkräften Harald Spörl, Ralf Balzis, Ludwig Trifellner und dem Südamerika-Spezialisten Marcos Casseb aus. Übrig bleiben Jan Kühn (Administration), Nuni Kucukovic (Sichtung) und Chefscout Michael Schröder. Mit neuem, von ihm zusammengestelltem Personal will Siegenthaler in den kommenden Jahren verstärkt den deutschen und westeuropäischen Markt (vor allem die Beneluxländer und Skandinavien) intensiv beobachten lassen. Transfers aus Südamerika und Afrika sollen dagegen nur noch in Ausnahmefällen getätigt werden.
3. Trainerteam
Auch im Trainerteam der Profis wird es bereits im Sommer zu großen Veränderungen kommen. So muss zunächst der bei den Spielern sehr angesehene Techniktrainer Ricardo Moniz, der ebenfalls zu Red Bull wechselt, ersetzt werden. Zudem gibt es nach Abendblatt-Informationen derzeit Überlegungen auch den auslaufenden Vertrag von Torwarttrainer Claus Reitmaier nicht zu verlängern. "Mir wurde gesagt, dass nach dem Saisonende entschieden wird. Warum erst so spät, weiß ich nicht", sagte Reitmaier auf Abendblatt-Nachfrage. Bereits im letzten Sommer wollte Cheftrainer Bruno Labbadia unbedingt Bielefelds Torwarttrainer Thomas Schlieck nach Hamburg lotsen, was nur am Veto der Arminia gescheitert war. Schlieck gilt als absoluter Fachmann, der sich in Fußballdeutschland einen ausgezeichneten Namen gemacht hat.
4. Profikader
Auch der aktuelle Profikader wird auf den Prüfstand gestellt. Neben Leistung soll in der Zukunft vermehrt auf Charakter geachtet werden. Die fehlenden Millionen aus der Champions League könnte der HSV durch zu erwartende Transfererlöse einiger Leistungsträger, die insgesamt aber enttäuschten, kompensieren. So ist es nach Abendblatt-Informationen fast sicher, dass Jerome Boateng für die festgeschriebene Ablöse von 12,5 Millionen Euro zu Manchester City wechselt, zudem soll Eljero Elia von Bayern München umworben sein. "Fakt ist, dass wir einen möglichen Verkauf bei einem Spieler selbst in der Hand haben, bei einem anderen nicht", beantwortete Trainer Bruno Labbadia die Nachfrage nach Boateng und Elia.
Bis zum Amtsantritt am 1. August hat Urs Siegenthaler also noch jede Menge zu tun. Dabei muss sich der 62-Jährige allerdings auch damit anfreunden, dass in Hamburg die Uhren anders als in seiner Schweizer Heimat laufen. Als er bei seiner Vorstellung am Vormittag in der Nachwuchsabteilung nachfragte, warum die Trainingsplätze leer und wo die ganzen Nachwuchsfußballer seien, gab es für ihn eine knappe, aber schlüssige Antwort: in der Schule.