DFB-Chefscout Urs Siegenthaler soll nach der WM die Nachfolge von Beiersdorfer antreten. Dienstag wird der Aufsichtsrat informiert.

Hamburg. Vakant ist die Position seit dem 23. Juni 2009. An diesem Sommerabend entschied der HSV-Aufsichtsrat im Nobelrestaurant Insel an der Alster, den Vertrag mit Dietmar Beiersdorfer mit sofortiger Wirkung aufzulösen - zu groß waren die Differenzen zwischen dem Sportchef und dem Vorstandschef Bernd Hoffmann.

Seitdem wurden beim HSV die unterschiedlichsten Kandidaten gehandelt - darunter der ehemalige Profi des FC Bayern, Oliver Kreuzer (sagte schließlich per SMS ab), und Stuttgarts Sportchef Horst Heldt, der aber in der Krise seines Klubs in der Hinrunde nicht wechseln wollte. Als aussichtsreichster Kandidat galt Spielerberater Roman Grill, dessen Wechsel schließlich am Widerstand mehrerer Aufsichtsräte scheiterte.

Jetzt rückt bei der Suche des HSV ein ebenso überraschender Name ins Blickfeld. Nach Abendblatt-Informationen aus Kreisen des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) steht Urs Siegenthaler (62) unmittelbar vor einem Wechsel zum HSV. Nach der WM soll Siegenthaler, derzeit DFB-Chefscout, das Amt des Sportlichen Leiters übernehmen. Vom HSV-Vorstand gab es gestern auf Abendblatt-Anfrage zwar keinen Kommentar, allerdings dürfte eine Einigung bereits in den kommenden Tagen vermeldet werden. Am Dienstag soll der Aufsichtsrat informiert werden. Geben die Kontrolleure ihr Jawort, dürfte dem Wechsel nichts mehr im Wege stehen.

Einer breiteren Öffentlichkeit in Deutschland wurde der Schweizer im Mai 2005 bekannt, als ihn der damalige Bundestrainer Jürgen Klinsmann als Spielbeobachter zum DFB holte. Damals wurde die Verpflichtung mit großer Skepsis begleitet. Schließlich war der Name des studierten Elektro-Ingenieurs selbst in seiner Heimat nur Insidern vertraut.

Siegenthaler galt aber schon damals als versierter Fußball-Experte, der sich mit Spielsystemen auskennt wie kein Zweiter. Im Auftrag des DFB sezierte er sowohl vor der WM 2006 als auch vor der EM 2008 jeden einzelnen Gegner bis ins kleinste Detail nach Stärken und Schwächen. Genau dieses Expertenwissen macht ihn für den HSV so attraktiv. In der Findungsphase hatte Aufsichtsratschef Horst Becker stets "höchste Kompetenz" als Entscheidungskriterium genannt.

Siegenthaler, dessen Vertrag beim Verband wie auch der von Löw nach der WM-Endrunde endet, stünde für einen grundsätzlichen Kurswechsel beim HSV. Weg vom ehemaligen Fußball-Star, hin zu einem ausgewiesenen Experten, der sich eher im Hintergrund bewegen wird und für strategische Aufbauarbeit steht.

Und diese Expertise ist besonders für den Nachwuchsbereich gewünscht, gilt er doch als die größte Baustelle des HSV. Kritisiert wird vor allem, dass zu wenig Spieler mit Bundesliga-Perspektive ausgebildet werden. Im Idealfall soll Siegenthaler eine für alle Mannschaften verbindliche Spiel-Philosophie entwickeln - vergleichbar mit der Fußball-Schule von Ajax Amsterdam in den Siebzigern. Dass die Schweiz inzwischen als internationale Talentschmiede gilt - derzeit kicken rund 40 Schweizer unter 21 Jahren in ausländischen Ligen -, wird vor allem Siegenthalers Verdiensten in der Trainer-Ausbildung zugeschrieben.

Siegenthalers zusätzliches Plus ist seine weltweite Vernetzung. So beobachtete er etwa intensiv beim Afrika-Cup. Die Hoffnung des HSV ist offenbar, dass Siegenthaler Talente aufspürt, bevor sie richtig teuer werden. Für einen Hochkaräter-Transfer, das hat jüngst der Wechsel von Ruud van Nistelrooy zum HSV gezeigt, braucht der Klub keinen Sportchef.

Allerdings gilt Siegenthaler als bedingungslos loyal. Deshalb würde der Schweizer nur bei einer einvernehmlichen Lösung den DFB vorzeitig verlassen. Da er zu den Säulen des Löw-Systems zählt, gilt ein Wechsel vor der WM als unwahrscheinlich. Nach der WM dürfte der Weg zum HSV dann aber frei sein.