U-21-Trainer Horst Hrubesch lobt den 20-Jährigen und kritisiert den HSV: “Dieser Mann gehört in die Zentrale.“

Göteborg/Hamburg

Euphorisch ist anders. Er mag es nicht laut. Fast komplett ohne Gesten, wortkarg und mit ruhiger, gleichbleibend leiser Stimme rasselte Jerome Boateng seinen Text vor den internationalen Pressevertretern herunter. Man habe gegen Spanien gut gespielt, aufgrund der zweiten Halbzeit vielleicht sogar einen Sieg verdient gehabt. Und, ach ja, er selbst sei mit seiner Leistung "ganz zufrieden".

Es bedurfte schon der Worte seines Trainers Horst Hrubesch, selbst alles andere als ein Lautsprecher, um die herausragende Leistung Boatengs zu würdigen. Mehr noch: Der ehemalige HSV-Profi und heutige U-21-Nationaltrainer fühlte sich sogar veranlasst, seinen Schützling zu empfehlen: "Ich habe immer gesagt, dass Jerome einer der besten Nachwuchsspieler in der Liga auf der Position ist."

Gemeint war die Innenverteidigerposition, die Boateng an der Seite des Schalkers Benedikt Höwedes ausübte und auf der er das spanische Jahrhunderttalent Bojan Krkic bis zu dessen Auswechslung deklassierte. "Er hatte nicht viele Chancen", so Boateng gewohnt ruhig, "ich hatte ihn wohl ganz gut im Griff."

Hatte er. Und das sah auch sein neuer HSV-Trainer Bruno Labbadia, der das Spiel zuerst live auf der Tribüne verfolgte und sich von der Kritik Hrubeschs anschließend nicht angesprochen fühlen musste. "Ich habe es nicht verstehen können, dass er in Hamburg auf verschiedenen Positionen ausprobiert worden ist, mal rechts, mal links, mal zentral und im Mittelfeld", sagte Hrubesch. "Ich glaube nicht, dass es im Sinne der Ausbildung eines Spielers ist, wenn man ihn von einer Position in die andere schickt", schimpfte der DFB-Coach - in Richtung des zu Ajax Amsterdam abgewanderten Ex-HSV-Coachs Martin Jol. Ähnlich wie 71 Prozent der Abendblatt-Umfrage-Teilnehmer ( www.abendblatt.de/sport ), die Boateng lieber als Reinhardt (12), Silva (10), einen noch immer gesuchten Neuzugang (6) sowie Demel in der Innenverteidigung sehen wollen, empfahl Hrubesch seinen Schützling kurzerhand als Pendant zum HSV-Abwehrchef Joris Mathijsen: "Aber mehr möchte ich dazu nicht sagen. Es ist Sache des HSV. Auf jeden Fall macht es Jerome Boateng sicherer. Wenn er eine feste Position hat, ist er zu solchen Leistungen fähig."

Genau das hatte jedoch unter Jol gefehlt. Dieser hatte Boateng in der laufenden Saison auf der rechten Verteidiger- und Mittelfeldposition eingesetzt, ihn ebenso in die Innenverteidigung wie auf die linke Verteidigerposition gesteckt. Sogar auf der "Sechs" im zentral-defensiven Mittelfeld lief Boateng auf. Zumeist spielte er gut. Zum Stammspieler reichte es dennoch nicht. "Es gibt Trainer, die setzen auf dich - und welche, die es nicht tun", fasste Boateng die Zeit mit dem Niederländer zusammen, "von daher kann es für mich gut sein, dass Martin Jol gegangen ist." Gerade sieben Spiele über 90 Minuten durfte der einstige Hoffnungsträger unter Jol auflaufen. Und dafür gab es nicht nur sportliche Gründe. Vielmehr schien das Verhältnis zwischen Jol und Boateng zerrüttet. Für den Niederländer hatte sich der U-21-Nationalspieler nicht devot genug gezeigt, bei Besprechungen und Kritiken immer wieder widersprochen. Leise und ohne Aufregung versteht sich.

Boateng ist eher der sanfte Rebell. Der modebewusste gebürtige Berliner zählt trotz zahlreicher Tätowierungen und auffälligen Ohrringen nicht zu den Lautsprechern wie sein bekennend extrovertierter Bruder Kevin-Prince. Der Freund schneller Autos zählt dafür umso mehr zu den Spielern, die wissen, dass sie über eine überdurchschnittliche Qualität verfügen. Darüber spricht er ebenso selten, wie er Leuten zuhört, die ihm anderes weismachen wollen. "Natürlich gibt es noch viel, das ich lernen muss und möchte", so Boatengs Philosophie, "aber ich weiß auch, was ich kann. Ich hatte definitiv mehr Einsatzzeiten verdient."

Klare Worte, die beim HSV wahrgenommen werden. "Jerome ist vielseitig, das wissen wir. Wir wissen auch, dass er als Innenverteidiger spielen kann", kontert Sportchef Dietmar Beiersdorfer die Hrubesch-Kritik. Als Komplettlösung für die neue Innenverteidigung sieht Beiersdorfer Boateng dennoch nicht. "Auch mit ihm, Mathijsen und Silva wären wir auf der Position quantitativ nicht ausreichend besetzt. Wir haben da Bedarf."

Ebenso Horst Hrubesch. Er braucht Boateng: "Er wird auch in den nächsten Partien auf der Position spielen. Für mich ist er unverzichtbar." Das ist etwas, was der 20-Jährige beim HSV in nächster Zeit noch werden will.