Aufsichtsratschef beklagt gezielte Indiskretionen und denkt weiter über einen Rücktritt nach

Hamburg. Eigentlich sollte gestern alles geklärt werden. Da aber nicht alle Räte in Hamburg sind, hat Horst Becker die Aufsichtsratssitzung verschoben. In den nächsten Tagen, so der Chefkontrolleur, werde er klären, warum er als Vorsitzender bei einigen seiner Kollegen in der Kritik steht - und ob sein Rücktritt notwendig wird.

Abendblatt:

Herr Becker, wie haben Sie die Entwicklungen der vergangenen Tage miterlebt?

Horst Becker:

Zweischneidig, ganz ehrlich. Aktuell aber überwiegt bei mir die Erleichterung, uns im sportlichen Bereich gut neu aufgestellt zu haben.

Weil Sie im Aufsichtsrat Ihre Wünsche durchgesetzt haben?

Auch. Aber ich stehe zu der Vertragsverlängerung von Paolo Guerrero und freue mich, mit Bastian Reinhardt einen geeigneten HSVer für den Sportchefposten gefunden zu haben, der gut in das Vorstandsteam passt.

Was erwidern Sie Kritikern, die Reinhardt als Sportchef ebenso wie Armin Veh als Trainer als Notlösung sehen?

Bei jedem anderen Namen wäre die Reaktion wohl ähnlich gewesen. Bastian Reinhardt ist auf sportliche und emotionale Art mit dem Verein verbunden. Warum gibt man ihm nicht erst mal eine Chance? Es gibt doch für derartige Lösungen auch genügend gute Beispiele. Ich nenne da einen Uli Hoeneß bei Bayern München, zuletzt Horst Heldt in Stuttgart oder auch Felix Magath hier bei uns, beim HSV.

Hatten Sie nicht auch Kontakt zu Felix Magath aufgenommen?

Ja, ich hatte Kontakt zu ihm.

Das wäre ein anderes Kaliber als Reinhardt gewesen...

Sicher. Es ist uns nicht gelungen, einen Manager wie Uli Hoeneß zu finden. Ich glaube aber, Bastian Reinhardt wird mit seinen Vorstandskollegen, dem neuen Trainer Armin Veh und Urs Siegenthaler ein starkes Team bilden, das sich hervorragend ergänzt.

Ergänzt haben Sie sich im Aufsichtsrat mit Ihren elf Kollegen zuletzt nicht...

... im Gegenteil. Nachdem ich letzte Woche von Nico Hoogma die Absage für den Sportchefposten erhalten habe, haben Kollegen von mir versucht, ihn umzustimmen. Das ist mir bekannt und bewusst. Auch wenn es auf Nachfrage natürlich keiner meiner Kollegen gewesen sein will.

Sie stehen nach wie vor in der Kritik. Warum genau?

Das ist für mich kein neues Szenario. Konstruktive Kritik kann von unschätzbarem Vorteil sein. Aber in unserem Aufsichtsrat gibt es momentan ganz gezielte und gewollte Indiskretionen. Wenn wir eine Sitzung haben, bleibt kein einziges Wort geheim. Das sind Umstände, die ich in meiner langen Amtszeit als Aufsichtsrat noch nie mitgemacht habe.

Ist Ihre Schmerzgrenze als Vorsitzender dieses Gremiums erreicht?

Was soll ich dazu sagen? Wenn sich das ganze Theater wie bei mir inzwischen bis in den familiären Kreis zieht, geht das zu weit. Ich mache dieses Amt freiwillig, ehrenamtlich. Ich mache es auch sehr gern. Aber nicht um jeden Preis. Ich schließe ganz sicher nichts aus.

Kann ein Aufsichtsrat in dieser Konstellation bei einem Verein wie dem HSV überhaupt funktionieren?

Ich habe vor einem halben Jahr in einem Interview mit dem Abendblatt gesagt, dass die Größe des Gremiums kontraproduktiv ist. Aber selbst für den Vorschlag, die Größe des Gremiums zu überdenken, wurde ich fast ein halbes Jahr lang von allen Seiten beschimpft. Dabei - und das wiederhole ich nach den jüngsten Vorkommnissen mit Überzeugung: der Aufsichtsrat ist mit zwölf Personen in der jetzigen Form nicht immer handlungsfähig.