Portugiesischer Junge tröstet Franzosen. Ronaldo wohl nicht schwerer verletzt. Frankreich trauert, Portugal erklärt die Nacht zum Tag.
Mit Tränen des Glücks in den Augen stemmte Cristiano Ronaldo wild schreiend die EM-Trophäe kurz vor Mitternacht in die Höhe, völlig ernüchtert sahen Antoine Griezmanns Franzosen der portugiesischen Titelparty zu. Trotz des Dramas um die frühe Ronaldo-Verletzung hat sich Portugal den ersehnten ersten EM-Triumph geholt und den Turnier-Gastgeber in Schockstarre versetzt.
Abendblatt.de hält Sie am Tag danach mit Informationen rund um das EM-Finale auf dem Laufenden:
Griezmann bester Spieler der EM
Schwacher Trost für Antoine Griezmann: Der 25 Jahre alte Franzose, mit sechs Treffern bereits bester Schütze der Euro, ist von der Uefa auch zum Spieler des Turniers gekürt worden. Besonders freuen dürfte sich der Angreifer von Atlético Madrid über die Auszeichnung allerdings nicht, nachdem er mit Frankreich das Finale verloren hatte.
Portugal-Junge tröstet Franzosen
Ein junger Portugal-Fan hat einen enttäuschten Anhänger Frankreichs getröstet – und ist im Internet dafür mit Anerkennung überschüttet worden. Das Video der Szenen wurde tausendfach weiterverbreitet, unter anderem von der BBC. „Dieser Bengel beweist, dass er verstanden hat, warum Fußball das beste Spiel der Welt ist“, schrieb das Magazin „11Freunde“. In dem Video ist zu sehen, wie der Knirps einem weinenden Mann im Frankreich-Trikot erst die Hand reicht, ihm dann aufmunternd auf die Schulter klopft und ihn schließlich umarmt.
Scholl mit Portugal-Kritik
Nicht jeder gönnte Cristiano Ronaldo und Portugal den Titel. ARD-Experte Mehmet Scholl trauerte mit den Franzosen und ging hart mit dem neuen Europameister ins Gericht. „Der Sieg ist leider verdient, aber die Art und Weise wie sie Fußball spielen, sollte nicht die Zukunft sein, sonst ist unsere Sportart eine andere“, warnte der frühere Spielmacher. „Sie haben immer wieder die Angriffe der Franzosen durch kleine Fouls unterbunden. Das Spielsystem erinnert an Chelsea, wie sie 2012 den Champions-League-Titel geholt haben.“ Die Engländer siegten vor vier Jahren im „Finale dahoam“ gegen den FC Bayern nach Elfmeterschießen.
Presse: „Ein Gefühl der Verschwendung“
„L’Équipe“: „Niedergeschlagen. Die Geschichte wird sich nicht wiederholen. 32 Jahre nach der Krönung von Michel Platini bei der Euro 1984, 18 Jahre nach der Galavorstellung von Zinedine Zidane gegen Brasilien im WM-Finale, sind die Jungs von Didier Deschamps gestern gefallen gegen Portugiesen ohne Genie (...). Diesen Morgen erwacht Frankreich notgedrungen mit dem Gefühl der Verschwendung.“
„Le Parisien“: „Das war nicht unser Tag. So grausam. ‘Les Bleus’ haben alles versucht, aber es wurde eine Sache der Verlängerung, die das Moment der Portugiesen bei dieser Euro geblieben ist. ‘Les Bleus’ haben wieder etwas Licht gebracht, aber sie bleiben in der Nacht. Portugal träumt jetzt vier Jahre lang.“
Sender BFMT auf seiner Homepage: „Wenn das Szenario eines Spiels nicht geschrieben würde, würden wir doch seinen unabänderlichen Ausgang kennen. Auf dem Boden gibt es zwei Lager. Auf der einen Seite die Gewinner, voller ekstatischer Freude, so wie Cristiano Ronaldo (...) Und dann gibt es das Lager der Besiegten. An diesem Abend ‘Les Bleus’“
„Dernières Nouvelles d’Alsace“: „Fußball ist ein großartiger Sport, der so grausam sein kann wie ein antikes Theaterstück.“
Deco: "Portugal ist mehr als Ronaldo"
Mit dem EM-Titel hat die portugiesische Auswahl nach Ansicht des ehemaligen Nationalspielers Deco bewiesen, dass sie auch ohne ihren großen Star Cristiano Ronaldo siegen kann. „Man gewinnt nicht mit nur einem Spieler. Cristiano zählt zu den besten Spielern der Welt, aber Portugal ist viel mehr“, sagte der 38-Jährige. „Portugal hat bewiesen, dass es eine große Mannschaft, einen großen Trainer und große Spieler hat. Deshalb hat es gewonnen“, ergänzte der frühere Mittelfeldakteur. „Es geht nicht um Cristiano, es geht um das gesamte Team, und er ist ein Teil davon. Er ist ein wichtiger Spieler und verdient den Sieg wie alle anderen auch.“
17,68 Millionen verfolgten Finale
Das Erste verzeichnete bei der Live-Übertragung des EM-Finales durchschnittlich 17,68 Millionen Zuschauer. Der Marktanteil betrug 60,1 Prozent. Zum Vergleich: Beim deutschen EM-Aus im Halbfinale hatte das ZDF mit durchschnittlich 29,82 Millionen Zuschauern (Marktanteil: 80,6 Prozent) die Rekord-Einschaltquote für die Euro in Frankreich und eine EM-Rekordreichweite aufgestellt.
Portugal feiert Europameisterschaft gegen Frankreich
Ronaldo wohl nicht schwerer verletzt
Portugals Superstar Cristiano Ronaldo hat sich im Finale offenbar nicht schwerer verletzt. Ersten Untersuchungen zufolge soll der Angreifer von Champions-League-Sieger Real Madrid nur eine Innenbanddehnung im linken Knie erlitten haben. Dies berichten portugiesische und spanische Medien.
Im Endspiel war Ronaldo nach einem Foul von Dimitri Payet (8.) nach 25 Minuten unter Tränen ausgewechselt worden. „Zum Glück ist alles gut für uns ausgegangen“, sagte Ronaldo nach Spielende, „das ist ein unvergesslicher Moment.“
Presse: „Bitter-süßer Geschmack für CR7“
A Bola: „Portugal Europameister! Ein Tor von Eder brachte den Sieg über die Gallier. Eder war der Held. Gemischte Gefühle bei Ronaldo. Erst die Trauer, dann die Freude über den Titel, der ihm noch fehlte.“
Correio de Manha: „Der 10. Juli wird Portugals Feiertag. die Tränen von Ronaldo. Nach Eders Tor konnte er seine Gefühle nicht zurückhalten. Das Ende der Fußball-EM hatte einen bitter-süßen Geschmack für Cristiano Ronaldo.“
Expresso: „Der Titel ist für den Rest unseres Lebens. Nach dem Foul von Payet schien schon alles vorbei zu sein. Aber Eder brachte die Erlösung.“
„Record“: „Cristiano Ronaldo vergoss nach seiner Verletzung Tränen der Enttäuschung und nach dem Spiel Tränen der Freude.“
„O Jogo“: „Die Portugiesen haben nun das geschafft, was bisher nur die Griechen erreicht hatten“, schrieb das Blatt.
Portugal wie Italien 1982
Portugal hat als erste Mannschaft den EM-Sieg nach drei Remis in der Gruppenphase geschafft. Ein Novum bei einem großen Turnier ist dies allerdings nicht. 1982 wurde Italien nach drei Unentschieden in der Vorrunde noch Weltmeister. Auch die WM war damals die erste mit 24 Mannschaften, wie nun die EM in Frankreich.
275.000 Euro für den Titel
Portugals Nationalspieler bekommen nach dem EM-Titel eine Prämie von 275.000 Euro pro Spieler. Durch die Tagespauschalen für die Profis während des Turniers steige die Summe noch auf etwa 300.000 Euro, wie die Sportzeitung „A Bola“ berichtet. Dies habe der Verband bereits im Frühjahr mit den Mannschaftskapitänen um Superstar Cristiano Ronaldo ausgehandelt.
250.000 Euro Trost-Prämie
Frankreichs Nationalspieler müssen hingegen mit 250.000 Euro Prämie auskommen, was die Tränen wegen des verpassten Sieges wohl nicht trocknen wird. 300.000 Euro wären es beim Titelgewinn gewesen. „Die würde ich gerne auszahlen, glauben Sie mir das“, hatte der französische Verbandspräsident Noël Le Graët vor der EM gesagt.
Tränengas-Einsatz auf Champs-Élysées
Die Pariser Polizei ist während der Feiern zum portugiesischen EM-Sieg auf den Champs-Élysées mit Tränengas gegen Randalierer vorgegangen. Weite Teile des Prachtboulevards waren von den Gasschwaden betroffen, die Polizei nahm insgesamt 40 Personen fest. Viele Feiernde verließen den Ort in Richtung Nebenstraßen. Schon zuvor hatte es am Eiffelturm Zusammenstöße zwischen Polizei und meist jugendlichen Randalierern gegeben.
Jubelsturm in Portugal
Der überraschende Gewinn der Europameisterschaft hat in Portugal einen Jubelsturm der Fans ausgelöst. Zehntausende Portugiesen feierten in den Städten des Landes den ersten EM-Titel der Iberer. Staatspräsident Marcelo Rebelo de Sousa kündigte an, dass die Spieler mit einem Verdienstorden ausgezeichnet würden.
In Lissabon zogen Tausende Fans zum Platz Marquês de Pombal im Zentrum der Hauptstadt, wo normalerweise die Fans von Benfica Lissabon die Erfolge ihres Clubs feiern. Im Badeort Figueira da Foz hatten 30.000 Menschen das Spiel am Strand auf Großleinwänden verfolgt. „Das ist ein Wahnsinn“, meinte der 21-jährige Paulo Torres. „Ausgerechnet Eder, der bisher das hässliche Entlein im Kader war, erzielt den Siegtreffer.“
Neu-Bayer Sanches bester Nachwuchsspieler
Der Portugiese Renato Sanches ist zum besten EM-Nachwuchsspieler gewählt worden. Der künftige Profi von Bayern München verwies bei der Wahl durch die Technischen Beobachter der Uefa seinen künftigen Teamkollegen Kingsley Coman (Frankreich) und den Neu-Dortmunder Raphael Guerreiro (Portugal) auf die Plätze. „Diese Auszeichnung rundet eine sensationelle Saison des Teenagers ab“, hieß es in der Begründung.
Sanches ist mit 18 Jahren und 328 Tagen zudem der jüngste Europameister der Geschichte. „Das war die bestmögliche Antwort an alle, die nicht an uns geglaubt haben“, sagte der Teenager nach dem Final-Sieg und forderte die Fans in der Heimat auf: „An alle Portugiesen: Feiert!“
Zur Wahl standen alle nach dem 1. Januar 1994 geborenen Akteure, darunter Joshua Kimmich, Emre Can, Leroy Sané und Julian Weigl. Ausgezeichnet wurde laut Vorgabe der Spieler, „der sowohl individuell als auch als Teil der Mannschaft am meisten überzeugen kann. Außerdem zählt, wer insgesamt einen Beitrag leistet, der einen bedeutenden Einfluss auf die Leistung seiner Mannschaft hat“.