Saint-Denis. Ohne seinen verletzten Superstar Cristiano Ronaldo wird Portugal dank eines Tores seines Jokers erstmals Fußball-Europameister.
Cristiano Ronaldo fiel mit Freudentränen in den Augen glückselig zu Boden, völlig ernüchtert sahen Antoine Griezmanns Franzosen der portugiesischen Party zu. Trotz des Dramas um die frühe Ronaldo-Verletzung hat sich Portugal mit dem ersehnten ersten EM-Titel gekrönt und den Turniergastgeber in Schockstarre versetzt. Joker Eder wurde am Sonntag im Final-Krimi der Fußball-Europameisterschaft mit seinem Fernschusstreffer beim glücklichen 1:0 (0:0) nach Verlängerung zum gefeierten Helden. Der Équipe Tricolore um Torschützenkönig Griezmann blieb hingegen der dritte EM-Titel nach 1984 und 2000 verwehrt.
Frankreichs Trainer Didier Deschamps sagte nach der Partie: "Die Enttäuschung ist enorm. Wir haben eine große Chance ausgelassen. Es gibt keine Worte, um dieses Gefühl zu beschreiben. Man braucht Zeit, dies zu verdauen." Siegtorschütze Eder dagegen freute sich: "Das ist beeindruckend, was uns gelungen ist. Wir haben viel Kraft in das Spiel gesteckt. Ganz Portugal stand hinter uns. Wir waren der glückliche, aber auch verdiente Gewinner. Ich widme das Tor meiner Mentaltrainerin."
Superstar Ronaldo wurde nach einem überharten Einsteigen von Dimitri Payet bereits nach 25 Minuten verletzt vom Platz getragen, weinte wie beim verlorenen EM-Endspiel 2004 bitterlich – und durfte am Ende doch auf der Bank wie entfesselt jubeln. Mann des Abends vor 75.868 Zuschauern im Stade de France war der spät eingewechselte Eder vom OSC Lille, der in der 109. Minute aus der Distanz flach ins linke Eck traf und seine krisengeplagte Heimat ins Glück stürzte. Mit blankem Oberkörper feierte Ronaldo berauscht den Titel, nachdem er die Verlängerung wie ein Co-Trainer wild gestikulierend vor der Bank der Portugiesen verbracht hatte. Diese Leidenschaft trug sein Team letztlich zum Erfolg, während den Franzosen im Verlauf des Endspiels zunehmend der Mut verloren gegangen war.
Ronaldo verletzt ausgewechselt
Die besten Bilder des EM-Finales
Frankreichs Trainer Didier Deschamps hatte auf die Startelf vertraut, die zuvor schon Island und Weltmeister Deutschland aus dem Turnier befördert hatte. Die starke Bilanz von zehn Siegen in den vergangenen zehn Spielen gegen Portugal verlieh den Franzosen zusätzlich Selbstvertrauen. Wie die zahlreichen Falter, die den beiden Finalisten beim Aufwärmen zugesetzt hatten, schwärmten die Gastgeber zunächst aus. Aggressiver als in jedem ihrer sechs Auftritte zuvor bedrängten die Franzosen die Portugiesen, die damit sichtbar Probleme hatten und immer wieder schnell den Ball verloren.
Schon nach sieben Minuten dann eine Schlüsselszene: Payet rauschte aus vollem Lauf in einen Zweikampf mit Ronaldo, knallte mit seinem Oberschenkel gegen das linke Knie des dreimaligen Weltfußballers. Ronaldo krümmte sich unter Schmerzen am Boden, der englische Schiedsrichter Mark Clattenburg ließ jedoch weiterlaufen. Für Ronaldo allerdings schien in diesem Moment das nächste Finaldrama nach dem 0:1 im Endspiel der Heim-EM 2004 gegen die Griechen schon perfekt.
Zweimal ließ sich der Superstar von Real Madrid behandeln, weinte bittere Tränen, versuchte es mit einem Tape-Verband nochmal, aber es ging einfach nicht mehr. In der 25. Minute musste sich der EM-Rekordspieler in seinem 21. Einsatz bei Europameisterschaften auf einer Trage vom Platz bringen lassen, Ricardo Quaresma ersetzte ihn. Die ganz auf Ronaldos geniale Momente zugeschnittene Taktik von Trainer Fernando Santos war damit dahin.
Ronaldo als Trainer
Frankreichs Torjäger Antoine Griezmann und Olivier Giroud hatten schon in der 10. Minute mit Kopfbällen Portugals Torhüter Rui Patricio ins Schwitzen gebracht. Angetrieben wurden die Hausherren in dieser Phase vor allem vom überragenden Moussa Sissoko. In der 34. Minute hatte Sissoko die Führung auf dem Fuß, scheiterte aber nach feiner Drehung an Rui Patricio.
Allmählich aber fassten die Portugiesen wieder Mut. Weil die Franzosen es nun an der Präzision im Aufbauspiel vermissen ließen, verlor die Deschamps-Elf zunehmend an Schwung. Spätestens jetzt wussten die Gastgeber, dass diese Partie trotz der Serie von drei Siegen in drei großen Turnierspielen gegen Portugal kein Selbstläufer werden würde. In den EM-Halbfinals von 1984 und 2000 und zuletzt im WM-Halbfinale 2006 hatten stets die Franzosen die Oberhand behalten.
Nach dem Pausenpfiff hatten die Portugiesen mehr Ballbesitz, weil sie von den Franzosen nun nicht mehr so forsch attackiert wurden. Als dann auch der eingewechselte André-Pierre Gignac in der Nachspielzeit am Pfosten scheiterte, ging es in die Verlängerung.
Nun kam auch Ronaldo zurück aus der Kabine, feuerte seine Kollegen an. Gab Anweisungen wie ein Co-Trainer. Und es half. Beim Latten-Freistoß des Neu-Dortmunders Guerreiro in der 108. Minute hatten die Franzosen noch Glück. Dann schlug Eder zu.
Portugal: Patricio – Soares, Pepe, Fonte, Guerreiro – William Carvalho – Sanches (79. Eder), Silva (66. Moutinho), Mario – Ronaldo (25. Quaresma), Nani. Frankreich: Lloris – Sagna, Koscielny, Umtiti, Evra – Pogba, Matuidi – Sissoko (110. Martial), Griezmann, Payet (58, Coman) – Giroud (78. Gignac). Tor: 1:0 Eder (109.). Schiedsrichter: Clattenburg (England). Zuschauer: 75.868. Gelbe Karten: Patricio, Mario, Soares, Guerreiro, William Carvalho (3) – Umtiti (2), Matuidi, Koscielny (2), Pogba. Erweiterte Statistik: Torschüsse: 9:17; Ecken: 5:9; Ballbesitz: 45:55 Prozent; Zweikämpfe: 89:107.