Kahn über Wales-Sensation: „Stanislawski verteidigt besser“
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Wales knackt Belgien und zieht verdient ins EM-Halbfinale ein. Kahn kritisiert den Favoriten scharf und schwärmt vom Außenseiter.
Es schien, als könnten die Waliser selbst kaum fassen, was ihnen gerade gelungen war. Gareth Bale umarmte erschöpft, aber glücklich zwei Mitspieler, an der Seitenlinie türmten sich die Betreuer und Ersatzspieler zu einem Knäuel, und Kapitän Ashley Williams verbarg einfach nur sein Gesicht hinter dem Trikot. Halbfinale! Nach einem völlig verdienten 3:1 (1:1) gegen die hochgewettete goldene belgische Fußball-Generation.
Es dauerte eine Weile, bis die Waliser begriffen. Während Belgiens Trainer Marc Wilmots erst mit stierem Blick einfach nur dastand und dann im Kabinentunnel verschwand, gerieten die Drachen langsam in Ekstase: Erst mit einem gemeinschaftlichen Bauchplatscher vor dem Block mit ihren begeisterten Anhängern, dann mit einem Hüpfkreis in der Mitte des Feldes. Halbfinale! Gegen Portugal. "Bales" gegen seinen Clubkollegen Cristiano Ronaldo.
Kahn entsetzt über Belgien
ZDF-Experte Oliver Kahn ging nach dem Spiel hart mit dem Favoriten ins Gericht. „Die Belgier offenbarten eine ganz schwache Körpersprache. Wales spielte mit Herz, Ledienschaft und Begeisterung. Aber Belgien? Das war nichts!“ Und selbst als nach dem Rückstand noch viel Zeit für den möglichen Ausgleich blieb, blieben Belgiens so häufig gelobten Ballkünstler ihren Ruf schuldig. „Sie spielten einfallslos. Es fehlte eine kreative Idee. Nur lange Bälle auf Fellaini sind noch keine Spielzüge“, kritisierte Kahn.
Ganz anders beurteilte er hingegen die Spielweise des krassen Außenseiters. „Bale fightet richtig mit. Auch Ramsey machte ein Riesenspiel – ein ganz starkes Kollektiv“, schwärmte der frühere dreimalige Welttorhüter über den ersten Halbfinalisten bei diesem Turnier.
Bales genialer Partner Ramsey fehlt
Beim verdienten Sieger war die Freude natürlich groß. "Es ist so schwer zu beschreiben", sagte der überragende Aaron Ramsey. "Wir haben so hart dafür gearbeitet. Jetzt wollen wir noch weiter kommen." Das allerdings müssten die Waliser am kommenden Mittwoch in Lyon ohne den Mittelfeldstar vom FC Arsenal. Er fehlt ebenso wegen einer Gelbsperre wie Verteidiger Ben Davies. Aber, wie sagte Teammanager Chris Coleman: "Man darf vor Träumen keine Angst haben." Wales schnuppert jetzt sogar nach der ganz großen Sensation. „Das ist unbeschreiblich! Da haben wir hart für gearbeitet“, sagte der Siegtorschütze Hal Robson-Kanu. „Jetzt wollen wir noch weiter kommen.“
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Am größten Tag ihrer Fußball-Geschichte hatten die Waliser keine Angst. Bei strömendem Regen vor 45.936 Zuschauern in Lille drehten sie mit schierem Willen ein Spiel, in dem sie zunächst unter die Räder zu kommen drohten. Radja Nainggolan brachte Belgien in seiner ungezügelten Anfangsphase mit einem Schuss aus 28 Metern in Führung (13.). Danach aber gab die Mannschaft von Marc Wilmots das Spiel aus den Händen. Wales kämpfte sich durch einen Treffer seines Kapitäns Ashley Williams (31.) zurück, Robson-Kanu düpierte die belgische Abwehr beim 2:1 (55.).
Angesprochen auf das Abwehrverhalten beim 2:1 redete sich Kahn komplett in Rage. „Selbst Holger Stanislawski verteidigt ohne Training heute noch besser. Das Zentrum muss immer zu sein.“ Als der Favorit alles riskierte, aber nicht wirklich zu Chancen kam, traf Sam Vokes (85.) zum Endstand.
Wales spielte mit Herz
Für Bale, seine Mitspieler und ganz Wales war es das Spiel des Lebens. „Das ist das größte Match im walisischen Fußball“, hatte der Superstar vorab gesagt, größer also noch als das WM-Viertelfinale 1958 gegen Brasilien (0:1) in Schweden. Es drohte allerdings ein Debakel zu werden: Belgien spielte anfangs Katz und Maus mit den Briten, vergab aber unter anderem eine Dreifach-Chance durch Yannick Carrasco, Thomas Meunier und Eden Hazard – immer war ein Körperteil eines Walisers im Weg (7.).
So gut sie offensiv begannen, so wackelig standen die Belgier defensiv. Wilmots hatte seine Abwehr umbauen müssen, es fehlten Thomas Vermaelen (Gelbsperre) und Jan Vertonghen (EM-Aus wegen Knöchelverletzung). Wilmots ersetzte sie durch Jason Denayer und Jordan Lukaku (21), der damit erstmals bei dieser EM mit seinem zwei Jahre älteren Bruder Romelu auf dem Platz stand. Somit bot Belgien die jüngste Startelf bei einer EM seit 1968 auf – aber eben auch eine unerfahrene.
Hinzu kam, dass die Belgier sich offensichtlich von ihrer frühen Führung blenden ließen. Wilmots konnte an der Linie winken und schreien, wie er wollte, seine Mannschaft ließ sich immer weiter zurückdrängen. Wie wilde Stiere kamen die Belgier nach der Pause aus der Kabine, wieder spielten sie die Waliser zunächst geradezu an die Wand - und wieder nutzten sie ihre Chancen nicht. Wales war da wesentlich effektiver.
Die Statistik
Wales: Hennessey/Crystal Palace (29 Jahre/61 Länderspiele) - Chester/West Bromwich Albion (27/16), Ashley Williams/Swansea City (31/64), Davies/Tottenham Hotspur (23/26) - Allen/FC Liverpool (26/30), Ledley/Crystal Palace (31/66) ab 78. King/Leicester City (27/35), Ramsey/FC Arsenal (25/44) - Taylor/Swansea City (27/33), Gunter/FC Reading (26/72) - Robson-Kanu/Vereinslos (27/34) ab 80. Vokes/FC Burnley (26/43), Bale/Real Madrid (26/60). - Trainer: Coleman
Belgien: Courtois/FC Chelsea (24/42) - Meunier/FC Brügge (24/9), Alderweireld/Tottenham Hotspur (27/60), Denayer/Manchester City (21/8), Jordan Lukaku/KV Ostende (21/5) ab 75. Mertens/SSC Neapel (29/51) - Nainggolan/AS Rom (28/24), Witsel/Zenit St. Petersburg (27/73) - Ferreira-Carrasco/Atletico Madrid (22/9) ab der 46. Fellaini/Manchester United (28/73), De Bruyne/Manchester City (25/46), Hazard/FC Chelsea (25/70) - Romelu Lukaku/FC Everton (23/50) ab 83. Batshuayi/Olympique Marseille (22/7). - Trainer: Wilmots
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