Évian-les-Bains/Vichy. Der Heilungsprozess bei Abwehrchef Boateng schreitet voran. Bundestrainer Löw warnt vor Übermut – und ist damit nicht allein.
Hoffen auf den Kapitän, Bangen um den Abwehrchef: Mit gemischten Gefühlen startet Deutschland am Sonntag in die K.o.-Runde und damit die heiße Phase der EM in Frankreich. Dazu kommt in der Slowakei ein Gegner (Sonntag 18/ZDF und im Liveticker bei abendblatt.de), der eigentlich keine Probleme bereiten sollte, einen Test am 29. Mai in Augsburg aber mit 3:1 gewann.
Der Bundestrainer aber scheint auf alles vorbereitet, vor allem auf den Achtelfinal-Kontrahenten. „Wir wissen, was auf uns zukommt“, sagte Joachim Löw. Am Donnerstag, als die Spieler frei hatten, sichtete er ausgiebig Videomaterial über den EM-Debütanten.
Übermut soll nicht aufkommen. „In einem Spiel kann immer alles passieren. Wir dürfen keinen Gegner auf die leichte Schulter nehmen“, warnte Kapitän Manuel Neuer, sagte aber auch: „Wir sind gut vorbereitet und wollen das Spiel so früh wie möglich für uns entscheiden.“
Neuer macht sich für Schweinsteiger stark
Ob Neuer, der als Torhüter auch des fünften deutschen Zu-null-Spiels nacheinander einen Rekord aufstellen würde, auch diesmal die Kapitänsbinde tragen wird, hängt von der Fitness von Bastian Schweinsteiger ab. „Ich bin absolut bereit, die Binde sofort abzugeben“, versicherte der 30-Jährige: „Ich würde mich freuen, wenn Basti von Anfang an spielen kann.“
Als Stabilisator wichtig könnte der etatmäßige Spielführer vor allem dann werden, wenn Abwehrchef Jérôme Boateng nicht spielen könnte. Boateng selbst und der DFB geben sich gelassen, sehen den 27-Jährigen „voll im Plan“. Doch ähnliche Aussagen gab es seit Beginn des Trainingslagers auch bei letztlich ausgefallenen Spielern wie Mats Hummels.
Mindestens leichte Bedenken und Sorgen gibt es bei Boateng auf jeden Fall. Zwei Tage vor dem Achtelfinale trainierte der Innenverteidiger noch nicht mit der Mannschaft. Laut DFB ist „der Indikator für einen Einsatz am Sonntag die Tatsache, ob er am Abschlusstraining am Sonnabend teilnehmen kann“.
"Boateng wird auf dem Platz stehen"
Auch Neuer betrachtet die Entwicklung abwartend. „So, wie ich Jerome kenne, wird er am Sonntag auf dem Platz stehen“, meinte der Münchner Klubkollege Boatengs: „Falscher Ehrgeiz wäre ein falscher Ratgeber. Aber Jérôme ist Profi genug, um zu wissen, ob er ja oder nein zu einem Einsatz sagt.
Um die Körper und auch den Geist mal ruhen zu lassen, hatte Löw seinen Spielern am Donnerstag einen zweiten freien Tag während dieser EM gewährt. Es war mit über 30 Grad prompt der schönste seit der Ankunft in Evian. Während der Bundestrainer mit dem E-Bike am Genfer See entlangradelte, spielten Mario Götze, Benedikt Höwedes und Jonas Hector im Strandbad Beachvolleyball.
Dass in der Heimat „die Riesen-Euphorie noch nicht da“ ist, findet Neuer normal. „Gegen Mannschaften wie Nordirland, die sich hinten reinstellen, kann man als Deutschland nicht viel gewinnen. Da löst ein Sieg kein Hurra aus“, erklärte er: „Wir haben unsere Pflicht erfüllt. Nun gibt es natürlich ein andere Drucksituation. Wenn wir die Slowakei schlagen und danach gegen eine große Mannschaften weiterkommen, kann jeder sehen, dass die Nationalmannschaft da und präsent ist.“
Khedira spielt lieber gegen Mitfavoriten
Das „Minenfeld“ mit einem möglichen Viertelfinale gegen Angstgegner Italien oder Titelverteidiger Spanien und einem Halbfinale gegen Gastgeber Frankreich macht auch Sami Khedira keine Angst. Im Gegenteil. Im "kicker" verwies der 29-Jährige darauf, dass die Gegner auf dem Weg zum WM-Triumph 2014 Frankreich, Brasilien und Argentinien hießen. „Wir wollen das Ding gewinnen, und da ist es mir persönlich lieber, wenn wir gegen Top-Mannschaften spielen, weil wir deren Spieler und deren Mentalität kennen“, meinte der Mittelfeldspieler, der im Fall der Fälle allerdings Schweinsteiger weichen müsste: „Ich spiele lieber gegen Frankreich als gegen eine Turnier-Mannschaft, von der man nicht weiß, wie sie wirklich ist.“
Im ersten K.-o-Spiel kämpfen die Nationalspieler nicht nur um den Einzug ins Viertelfinale, sondern auch um ihre erste EM-Prämie. Sollte die Mannschaft das Achtelfinale gewinnen, hätte jeder der 23 Spieler die ersten 50.000 Euro sicher. Bei einer Niederlage gehen die Profis leer aus.
Ein Einzug ins Halbfinale und das Erreichen des Finals brächten nochmal jeweils 50.000 Euro, der EM-Triumph 150.000 Euro. Insgesamt können die DFB-Stars also auf 300.000 Euro pro Mann kommen. Dieselbe Summe erhielten sie für den WM-Titel 2014. Die höchste Prämie bei der EM in Frankreich hat Belgien mit 704.000 Euro pro Spieler ausgelobt.
Die hohe Summe für den Endspielsieg würde dafür sorgen, dass der Deutsche Fußball-Bund bei einem Turniererfolg weniger Gewinn machen würde als bei einer Finalniederlage. In diesem Fall würden dem DFB bei Ausgaben von 18 und Einnahmen von 22 Millionen vier Millionen Euro bleiben.
Der deutsche EM-Kader:
Deutschlands Kader für die Fußball-EM in Frankreich
Voraussichtliche deutsche Aufstellung:
1 Neuer/Bayern München (30 Jahre/68 Länderspiele/0 Tore) - 21 Kimmich/Bayern München (21/2/0), 17 Boateng/Bayern München (27/62/0), 5 Hummels/Borussia Dortmund (27/48/4), 3 Hector/1. FC Köln (26/17/1) - 7 Schweinsteiger/Manchester United (31/117/24), 18 Kroos/Real Madrid (26/68/11) - 13 Müller/Bayern München (26/74/32), 8 Özil/FC Arsenal (27/76/19), 19 Götze/Bayern München (24/55/17) - 23 Gomez/Besiktas Istanbul (30/66/28) - Trainer: Löw (56)
Schiedsrichter: Szymon Marciniak (Polen)