In einer einmaligen Brandrede geht Abwehrchef Jérôme Boateng hart mit der Mannschaft ins Gericht. Seine Worte stoßen auf Gefallen.
Nicht nur auf dem Platz war er der unumstrittene Anführer, auch nach dem Spiel gegen Polen ging Jérôme Boateng voran und überzeugte mit deutlichen Worten. "Wir können froh sein, dass wir 0:0 gespielt haben. Vorne müssen wir auch mal zum Abschluss kommen, wir haben kein Duell am Strafraum gewonnen", kritisierte der Abwehrchef, der herbe Konsequenzen befürchtet, sollte eine Leistungssteigerung ausbleiben. "Wenn wir so weiterspielen, kommen wir nicht weit bei der EM."
So deutlich kritisierte bislang noch keiner im DFB-Dress seine eigenen Mitspieler. Für Boateng, der ein Wortführer innerhalb des Teams ist, wird diese Abrechnung aber wohl keine Konsequenzen nach sich ziehen. Vielmehr dürfte sie ein Weckruf für seine teilweise lethargisch agierende Vorderleute dienen.
Im Internet erhält er fast ausnahmslos Unterstützung für seine deutlichen Worte. Von "sehr treffende Analyse" über "realistische Einschätzung nach Spielende" bis hin zu "wer so grandios spielt wie Boateng, darf auch die Offensive kritisieren" – die Twitter-User zeigen viel Verständnis für seine Brandrede. Wenige Stunden nach dem Anpfiff gab es gerade mal ein negatives Urteil unter dem Hashtag #Boateng im sozialen Netzwerk. "Wie Boateng da öffentlich die Mannschaft kritisiert, ist echt mal ein Unding!", lautet das gegen den Strom schwimmende Urteil.
Boateng zum "Man of the Match" gewählt
Boatengs scharfe Kritik an der Mannschaft wird vor allem akzeptiert, weil der 27-Jährige in den bisherigen beiden EM-Spielen mit seiner Leistung herausstach. Durch Weltklasse-Grätschen hinderte Boateng seinen bayrischen Mannschaftskollegen Robert Lewandowski gleich zweimal daran, alleine auf Manuel Neuer zuzulaufen. Das fiel auch der Uefa auf, die ihn zum "Man of the Match" kürte.
Ein Nutzer ist sich sogar sicher, dass Boateng auch im Zweikampf gegen einen Löwen als Sieger hervorgehen würde.
Boateng ist Deutschlands beliebtester Nachbar
Natürlich durften auch die Sticheleien gegen AfD-Vizechef Alexander Gauland nicht fehlen. So machten die Fußball-Fans abermals deutlich, lieber Boateng als den rechtspopulistischen Politiker in der Nachbarschaft haben zu wollen. Gauland behauptete vor wenigen Wochen noch das Gegenteil. "Auch heute ist Boateng wieder der beste Nachbar für Neuer", schrieb beispielsweise Philipp Schultheiss in Anspielung an Joachim Löws Worte nach dem Ukraine-Spiel, die nahezu identisch klangen.
Doch all der Zuspruch im Netz hilft Boateng wenig, wenn die Mannschaft sich seine Worte nicht zu Herzen nimmt. Schon am Dienstag haben Thomas Müller, Mesut Özil und Co. die Möglichkeit zu zeigen, dass sie es besser können. Dann spielt Deutschland im Gruppenfinale gegen Nordirland (18 Uhr). Eine erneute Nullnummer würde bereits für das Achtelfinale reichen, doch nach der Ansage Boatengs sollten die Spieler ihrem Defensiv-Leader beweisen, dass Deutschland durchaus auch in der Offensive ein ernst zu nehmender Turnierfavorit ist.