Stuttgart stürzt rasant dem Bundesliga-Abstieg entgegen. Das 1:3 gegen Mainz sorgte für Fassungslosigkeit, Tränen und Randale.
Stuttgart. Als das Unfassbare praktisch zur Realität geworden war, brachen fast alle Dämme. Hunderte teils vermummte Fans stürmten den Platz und attackierten die Mannschaft, die entsetzten VfB-Profis mussten von Sicherheitskräften erst in die Katakomben und dann aus dem Stadion begleitet werden. In Stuttgart liegen angesichts des drohenden zweiten Bundesliga-Abstiegs nach 1975 die Nerven blank. Aus eigener Kraft kann sich der fünfmalige deutsche Meister nicht mehr retten.
Das 1:3 (1:1) der erschütternd schwachen Schwaben gegen den 1. FSV Mainz 05 hinterließ tiefe Spuren. Noch lange nach Spielschluss gelang es Kapitän Christian Gentner nicht, den aufgebrachten Mob zu beruhigen. Sportvorstand Robin Dutt, der nach der Pleite Tränen in den Augen hatte, war auch am Sonntag noch geschockt: „Das hängt total nach und geht nicht spurlos an uns vorbei. Das berührt uns emotional sehr.“
Während Präsident Bernd Wahler von einer „bedrohlichen Situation“ sprach, zeigte Dutt sogar Verständnis für die VfB-Fans, die außer Rand und Band waren. „Dass die Wut und Enttäuschung der Fans unheimlich groß ist, muss man verstehen. Dass manche etwas über das Ziel hinausschießen, gehört dazu.“
Bei Großkreutz kullern die Tränen
Die Attacke der eigenen Fans auf die Mannschaft war der Tiefpunkt an einem Nachmittag zum Vergessen für Stuttgart. Entsprechend fassungslos waren Dutt und Trainer Jürgen Kramny nach der fünften Niederlage in Serie und dem Absturz des VfB. „Für uns ist das natürlich eine brutale Geschichte, sehr, sehr bitter“, sagte Kramny mit leichenblasser Miene nach dem sportlichen Offenbarungseid seiner Mannschaft.
„Keine Leidenschaft, keine Gegenwehr, eine Katastrophe“, kritisierte der frühere VfB-Coach Jürgen Sundermann, der Stuttgart 1977 in die erste Liga zurückgeführt hatte. „Das geht nicht, was wir abgeliefert haben“, sagte auch Torwart Mitch Langerak, der sein Team vor einem Debakel bewahrt hatte. „Ich bin sprachlos, es tut mir leid“, stammelte Weltmeister Kevin Großkreutz tränenüberströmt.
Dabei hatte für den VfB mit der Führung durch Christian Gentner (6.) alles gut begonnen. Doch im Laufe der Partie lösten sich die Stuttgarter in alle Einzelteile auf. „Die Beine und Köpfe waren richtig schwer“, analysierte Dutt. Yunus Malli (37.), Jhon Cordoba (54.) und Karim Onisiwo (77.) nutzten die eklatanten Schwächen des VfB aus. Der VfB muss nun beim Saisonfinale am Sonnabend (15.30 Uhr/Sky) beim VfL Wolfsburg gewinnen und ist zugleich auf ein passendes Ergebnis im Keller-Duell zwischen den VfB-Konkurrenten Werder Bremen und Eintracht Frankfurt angewiesen.
Stuttgart appelliert an die Ehre
Ein völlig geknickter Kramny machte am Sonnabendabend aber nicht den Eindruck, als ob er noch an die Wende glaubt – auch wenn er sagte: „Wir brauchen das Wunder, wir müssen bis zum letzten Tropfen kämpfen. Aufgeben gibt es nicht.“ Auch Dutt forderte eine Reaktion: „Es geht nicht nur um unsere theoretische Chance, sondern um Anstand und Ehre.“
Ein Abstieg der Schwaben, die seit Jahren Probleme und keinen Plan haben, hätte sicher massive Auswirkungen. Dutt, mit großen Ambitionen vor eineinhalb Jahren angetreten, dürfte dann ebenso wackeln wie Kramny. Dem sprachen Wahler und Dutt immerhin für Wolfsburg das Vertrauen aus. Man werde „als Einheit mit Jürgen diesen Schritt gehen“, sagte Dutt am Sonntag.
VfB-Fans halten nur noch zu Großkreutz
Über weitergehende Konsequenzen wollte Dutt nicht sprechen. Der VfB sei auf das „Worst-Case-Szenario auf jeden Fall vorbereitet, aber es ist noch nicht der Zeitpunkt, darüber zu sprechen.“ Für die Fans sind die Schuldigen schon jetzt klar. „Vorstand raus“, „Bis auf Großkreutz könnt ihr alle gehen“, skandierten sie bei ihrer Blockade. Die Stimmung in Stuttgart ist explosiv.
Schon vor der Partie hatte Ex-Präsident Erwin Staudt einen Abstieg als „Super-GAU“ bezeichnet. Auch für Stuttgarts Bürgermeister Fritz Kuhn wäre es „herb, wenn der VfB nicht mehr in der Bundesliga spielen würde. Der VfB ist ein Imageträger der Stadt“. In dieser Form aber sicher nicht.
Der 33. Spieltag in Bildern