Bern. Die Schweiz registriert 53 Verdachtsfälle von Geldwäsche im Zuge der WM-Vergaben. Staatsanwalt: “Habe nichts gegen Kollateralschäden.“
Mögliche Geldwäsche in 53 Fällen, neun Terabytes an Datenmaterial und eine Task Force, die den Fifa-Sumpf durchleuchten will: Ein Korruptionsskandal noch ungeahnten Ausmaßes könnte die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften 2018 und 2022 endgültig ins Wanken bringen. „Ich habe nichts dagegen, wenn dies woanders zu Kollateralschäden führt“, sagte der smarte Schweizer Bundesanwalt Michael Lauber am Mittwoch auf einer Pressekonferenz in Bern.
Im Zuge der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wird es womöglich auch für Fifa-Präsident Joseph Blatter und Generalsekretär Jérôme Valcke ungemütlich, Befragungen seien nicht ausgeschlossen. Bisher waren bereits zehn Personen verhört worden.
Genaue Informationen zu den verdächtigen Geldbewegungen, Summen und Personen wollte Lauber aus ermittlungstaktischen Gründen nicht nennen. Von der Schweizer Financial Intelligence Unit, der Meldestelle für Geldwäsche, seien aber 53 Verdachtsfälle registriert worden. Daneben standen 104 Bankverbindungen schon vorher im Fokus der Ermittlungen.
Sollten die Ermittler tatsächlich direkte Verbindungen zwischen Geldtransaktionen und den WM-Vergaben finden, könnte die juristische Grundlage für eine Neuvergabe der Turniere in Russland oder Katar gegeben sein. Dies hatte Domenico Scala, der Vorsitzende der Fifa-Compliance-Kommission, als Voraussetzung genannt.
Sepp Blatter – Fifa-Chef und Weltenlenker
Fifa hatte Neuvergabe stets abgelehnt
Verdächtigungen gab es seit der höchst umstrittenen WM-Vergabe im Dezember 2010 bereits zuhauf. Erst in den letzten Tagen waren neue Anschuldigungen gegen den früheren brasilianischen Fußball-Boss Ricardo Teixeira aufgekommen. Er soll 30 Millionen Euro aus Katar auf einem Konto in Monaco erhalten haben.
Die Fifa hatte eine Neuvergabe stets abgelehnt und von Verfehlungen einzelner Personen gesprochen. Diese Haltung könnte sich mit dem Abschied von Blatter ändern. Dass der Machtmensch aber tatsächlich auf einem außerordentlichen Kongress - vermutlich am 16. Dezember - seinen Platz räumt, davon ist Ligapräsident Reinhard Rauball nicht überzeugt. „Dass es Blatter nicht immer ernst gemeint hat mit seinen Aussagen über seine Amtszeit, hat schon seine Kandidatur 2011 bewiesen. Damals hat er versprochen, dass es seine letzte Amtszeit ist. Dieses Versprechen war 2015 reinste Makulatur“, sagte der Präsident von Borussia Dortmund dem Magazin „Sport Bild“.
Laut Rauball muss innerhalb der Fifa ein kompletter Neuanfang her. Der 68-Jährige denkt dabei an die Installierung eines Aufsichtsrates von zwölf Personen. Dieses Gremium müsse einen Vorstand berufen und diesen auch kontrollieren.
Zumindest Russland könnte bei der Frage nach einer WM-Neuvergabe der Faktor Zeit in die Karten spielen. Der Fall sei „groß und komplex“ und könne sich lange hinziehen. Diese Untersuchung wird länger gehen als die berühmten 90 Minuten“, ergänzte Lauber, dessen Behörde eine Task Force eingesetzt hat. Bis zum Anpfiff in Moskau sind es nur noch drei Jahre, im Juli werden bereits die WM-Qualifikationsgruppen für das Turnier ausgelost. „Der Zeitplan der Fifa ist mir völlig egal. Mich interessiert nur das Strafverfahren. Ich mache keine Politik“, betonte Lauber.
Fifa drohen hohe Strafzahlungen
Schadensersatzansprüche und Strafzahlungen könnten der Fifa, die über Reserven von mehr als 1,5 Milliarden Euro verfügt, hohe Verluste bescheren. Um dieses Szenario abzuwenden, soll die frühere US-Generalstaatsanwältin Jenny Durkan den Weltverband in den USA vertreten. Das berichtet die „Bild“-Zeitung mit Blick auf die Ermittlungen der US-Justiz wegen Korruption, Verschwörung und organisiertes Verbrechen. Auf Initiative der US-Behörden waren Ende Mai am Rande des Fifa-Kongresses in Zürich sieben hochrangige Fußball-Funktionäre festgenommen worden, insgesamt wird derzeit gegen 14 Personen ermittelt.
Das Schweizer Verfahren ist davon unabhängig und geht auf eine von der Fifa selbst gestellte Anzeige gegen Unbekannt aus dem November 2014 zurück. Die Untersuchungen beziehen sich derzeit auf die WM-Vergaben 2018 und 2022, könnten aber auch ausgeweitet werden. „Das ist ein dynamischer Prozesse. Es könnte in jede Richtung gehen“, sagte Lauber. Im Zuge der US-Ermittlungen war eine ominöse Geldzahlung von zehn Millionen Euro von 2010-Gastgeber Südafrika an den CONCACAF-Verband bekanntgeworden. Südafrika hatte Vorwürfe des Stimmenkaufs genauso wie Russland und Katar zurückgewiesen.
Garcia-Bericht weiter zurückgehalten
Zu den WM-Vergaben 2018 und 2022 hatte schon der inzwischen zurückgetretene Fifa-Chefermittler Michael Garcia einen 430-seitigen Bericht verfasst, den der Weltverband noch zurückhält. Die Ethikkommission führe derzeit mehrere Verfahren gegen Fussball-Offizielle wegen des Verdachts auf Verletzung des Fifa Ethik-Codes, teilte Garcia-Nachfolger Cornel Borbély mit und ergänzte: „Bei Vorliegen neuer Verdachtsmomente wird die Untersuchungskammer den Kreis der Beschuldigten weiter ausdehnen.“
Die Fifa-Präsidenten seit 1904
Harte Fakten sind aber wohl eher von der Justiz zu erwarten. „Ich kann Zwangsmaßnahmen verhängen und bin unabhängig“, sagte Lauber. In diesem Zusammenhang untersucht die Staatsanwaltschaft auch ein Länderspiel zwischen Brasilien und Argentinien in Doha/Katar, das zwei Wochen vor der WM-Vergabe stattfand.