Nach der Torflaute in den ersten EM-Qualifikationsspielen beginnt bei der Nationalelf wieder die Stürmer-Diskussion. Bundestrainer Löw will seine Planungen im Grundsatz nicht überdenken.
Gelsenkirchen/Hamburg. Auch das noch. Als Joachim Löw am Mittwochvormittag am Essener Hauptbahnhof eintraf, um die Heimreise nach Freiburg anzutreten, war, man ahnt es bereits, sein Zug gestrichen. Im Gegensatz zu anderen Bahn-Gestrandeten konnte der Bundestrainer aber schnell umdisponieren und sich vom Fahrdienst des Deutschen Fußball-Bundes nach Hause chauffieren lassen.
Auf der 500 Kilometer langen Strecke in den Breisgau dürfte der Lokführerstreik indes kaum Raum in Löws Gedankenwelt eingenommen haben. Nach nur einem kümmerlichen Punkt in den Spielen gegen Polen (0:2) und Irland (1:1) machte sich in der Schalker Arena Besorgnis breit. „Wir müssen jetzt aufwachen und jedes Spiel gewinnen, jede Partie mit voller Konzentration angehen“, forderte Jérôme Boateng, während Mats Hummels den Grund für die hohe Fehlerquote in den Schlussminuten in den Köpfen suchte: „Wir waren durch das Ergebnis in Polen etwas verunsichert, hatten nicht die Ballsicherheit, die uns sonst auszeichnet.“
Der Dortmunder Profi war es auch, der sich nach dem Last-minute-Gegentor an eine Begegnung vor dem Mannschaftshotel im Vorfeld der Partie erinnerte. „Als wir Autogramme gaben, sagte einer zu mir: Heute gibt’s aber ein 7:0! Da sieht man, wie die Erwartungshaltung ist. Keiner gewinnt gegen Irland zu Hause 7:0.“ Fast so, als müsse seine These von einem belastbaren Zeugen gestützt werden, verwies der Abwehrspieler auf Per Mertesacker, der in seinem legendären Interview nach dem WM-Achtelfinale („Was woll’n Se?“) auch überzogene Vorstellungen der Öffentlichkeit angeprangert hatte.
Fast philosophisch mutete es an, als Toni Kroos sinnierte, dass „das Gute immer schnell vergessen wird“. Tatsächlich war die Unterstützung von den Rängen in Gelsenkirchen alles andere als weltmeisterlich. Wie beim Schottland-Spiel in Dortmund war die Arena nicht ausverkauft, merkwürdig still war es über lange Phasen des EM-Qualifikationsspiels, nach dem Motto: So, du beste Mannschaft der Welt, nun unterhalte uns man schön – und gewinne!
Deutschland hat keine Stürmer mehr
Formulierungen wie „WM-Blues“ schlugen den Nationalspielern später entgegen, dabei wäre es falsch, ein Motivationsloch nach dem Triumph in Rio zu vermuten. Doch, ja, die Spieler wollten, aber sie konnten es an diesem Abend nicht besser. Nur drei Monate nach dem Titelgewinn in Brasilien scheint der WM-Glanz deshalb nicht nur angekratzt zu sein – der Lack ist ab. Noch nie ist eine deutsche Mannschaft schlechter in eine Ausscheidungsrunde gestartet, beginnend mit der WM 1938, die Abschlussschwäche – nur drei Treffer in den Partien gegen Schottland, Polen und Irland bei 77 Torschüssen – ist eklatant. Kein Wunder also, dass sofort wieder die Diskussion über den Angriff aufflammte. „Trotz Weltmeistertitel bleibt die bittere Wahrheit: Deutschland hat keine Stürmer mehr“, urteilte der frühere Torjäger Karl-Heinz Riedle.
Keine Frage, nach dem Rücktritt von Miroslav Klose fehlen derzeit klassische Knipser. Mario Gomez fällt gefühlt ständig verletzt aus und konnte sowieso nur eine überschaubare Anzahl an überzeugenden Auftritten im DFB-Trikot hinlegen. Max Kruse ist ein anderer Spielertyp, Stefan Kießling steht bei Löw auf irgendeiner schwarzen Liste. Beim weiteren Durchforsten der Bundesligaclubs fällt auf, dass die Topteams aus München (Lewandowski), Dortmund (Immobile, Ramos), Gladbach (Raffael), Schalke (Huntelaar) oder Wolfsburg (Olic) ausnahmslos auf Ausländer setzen.
Die Frage ist allerdings, ob Knipsertypen wie Gomez überhaupt die richtige Antwort auf so tief stehende Teams wie das der Iren wären oder nicht doch wendige Spieler wie Mario Götze, Karim Bellarabi – oder der derzeit schwächelnde Thomas Müller, bei der WM noch ob seiner Heldentaten gefeiert. „Wenn wir vorne mehr Anspielstationen haben wollen, geht uns womöglich die Dominanz im Mittelfeld ab“, glaubt Kroos und weist damit auf die eigentliche Problemzone der Nationalelf hin: das Mittelfeld. Nirgendwo sonst macht sich der Substanzverlust (Özil, Schweinsteiger, Khedira) so schmerzlich bemerkbar, wenn die DFB-Auswahl auf ein Defensiv-Bollwerk trifft. Nur Kroos allein als Taktgeber und Initiator, das reichte gegen Irland nicht.
Seine Planungen im Grundsatz zu überdenken, dazu war Löw nicht bereit: „Natürlich ist ein Tor in diesen beiden Spielen angesichts der vielen Möglichkeiten zu wenig. Gegen die Iren haben wir nicht ganz so viele Möglichkeiten gehabt wie in Warschau, hätten aber dennoch das 2:0 nachlegen müssen. Ich sehe aber keine Veranlassung, personell etwas zu verändern.“ Der 54-Jährige machte eher die fehlende geistige und körperliche Frische für das Fehlen von Präzision und Willenskraft verantwortlich: „Da merkt man bei dem ein oder anderen, dass er die WM gespielt hat.“
Wie Löw die Nationalelf aus der „Drucksituation“ (Hummels) befreien will, ist für ihn denkbar einfach: „Wir werden gegen Gibraltar gewinnen und uns dann ein bisschen sammeln und alle Kräfte bündeln. Dann sind wir im nächsten Jahr wieder da und schlagen zurück.“ Einen Plan B, sollten dann immer noch wichtige Säulen seines Teams fehlen, gibt es nicht.