Deutschland trifft am Montag in Porto Alegre im Achtelfinale auf Algerien. Statt Spanien oder Italien droht diesmal die Rache für Gijon 1982.
Recife/Santo André. Die Belohnung folgte direkt nach der Rückkehr ins Campo Bahia am späten Donnerstagabend. Zum Abendessen kamen die Freundinnen und Frauen der Nationalspieler vorbei – und erstmals während der WM in Brasilien durften sie sogar über Nacht bleiben. Der verdiente Lohn für einen „souveränen 1:0-Sieg gegen die USA“ (Bundestrainer Joachim Löw) und einen „seriösen Einzug“ (Innenverteidiger Mats Hummels) ins WM-Achtelfinale gegen Algerien.
Auch gegen die USA war es kein glanzvoller Triumph. Es war langweilig, ein bisschen bieder, aber hochverdient. Fast schon mit spanischem Dominanzfußball aus den besseren Jahren beherrschte Löws Mannschaft die US-Boys. Kein Dortmunder Hochgeschwindigkeits-, sondern bajuwarischer Ballbesitzfußball. Keine Magie, sondern Pragmatismus. Doch besonders das mit Bastian Schweinsteiger reformierte FC-Bayern-Mittelfeld wusste zu gefallen. Zufrieden wollte sich nach dem Erreichen des ersten Zwischenziels dann aber noch keiner aus dem deutschen Team geben. „Wenn man die Qualität unserer Mannschaft sieht, mit so vielen Weltklassespielern, dann muss es heißen: Wir wollen unbedingt Weltmeister werden“, sagte Mesut Özil, „wir sind nicht hier, um im Achtelfinale zu spielen und dann auszuscheiden. Nein. Wir sind hier, um den Titel zu holen.“ Und dabei müsste dann auch die Hürde Algerien zu überspringen sein.
Algerien? „Einen oder zwei Spieler kenne ich da schon“, behauptete umgehend Jerome Boateng, „da spielt doch einer sogar bei Valencia, oder?“ Tatsächlich! Sofiane Feghouli, der aber nicht der einzige Gefahrenherd sei. Man kenne ja die nordafrikanischen Mannschaften, sagte Torhüter Manuel Neuer. „Sie sind sehr agil, haben meist eine Pferdelunge, rennen rauf und runter und sind auch am Ball sehr gut.“ Und, was Neuer und Boateng direkt nach dem Einzug in die Runde der letzten 16 Mannschaften nicht erwähnten: Sie sind vor allem heiß auf die Revanche für eine der größten Fußball-Peinlichkeiten aller Zeiten: Gijon!
Passiert war es am 25. Juni 1982 in Spaniens Gijon. Damals, Miroslav Klose war gerade vier Jahre alt, erzielte HSV-Stürmer Horst Hrubesch im letzten WM-Vorrundenspiel gegen Österreich in der 10. Minute das 1:0. Ein verhängnisvolles Tor! Denn dieser Treffer reichte sowohl Deutschland als auch Österreich zum Weiterkommen. Es folgte ein 80-minütiger Nichtangriffspakt, durch den die zuvor zweitplatzierten Algerien aus dem Turnier schieden.
Eine Wiederholung des Schurkenschauspiels ist natürlich ausgeschlossen. „Ab dem Achtelfinale ist jedes Spiel ein Finale“, sagte Neuer, der nicht müde wurde, die Bedeutung des Einzugs in die Runde der letzten 16 zu betonen: „Diese WM ist grundsätzlich ein komisches Turnier. Mitfavoriten sind ausgeschieden. Mannschaften, die man nicht auf dem Zettel hat, qualifizieren sich.“ Wie zum Beispiel Algerien.
Nicht mehr dabei sind dagegen die beiden größten Angstgegner Deutschlands: Italien und Spanien. Die beiden südeuropäischen Mannschaften, die jeweils zweimal in den vergangenen vier Turnieren Deutschland im Halbfinale oder Finale einen Strich durch die Turnierrechnung machten, haben im Gegensatz zu Deutschland schon längst die Heimreise angetreten. Auch andere Fußballnationen wie England oder Portugal mussten vorzeitig abreisen.
Das Favoritensterben in der Vorrunde zeichnet nun den möglichen Weg für das Löw-Team über Porto Alegre im Achtelfinale, Rio de Janeiro im Viertelfinale und Belo Horizonte im Halbfinale bis zum erhofften Endspiel wieder im Maracanã-Stadion vor. Klar ist, dass nach den angeblichen Leichtgewichten aus Algerien im weiteren Verlauf der K.-o.-Runde schwere Brocken wie Frankreich (mögliches Viertelfinale), Brasilien (mögliches Halbfinale) und Argentinien oder die Niederlande (mögliches Finale) auf das DFB-Team warten würden. Spanien und Italien, das bleibt die erleichternde Gewissheit, drohen nicht mehr. Aber die Devise bleibt vorerst: Der Weg ist das Ziel.
„Das Turnier hat gezeigt, dass die Mannschaften mit dem größten Herz weiterkommen“, sagte Miroslav Klose mit ein wenig Pathos. „Klar tut alles weh. Die Bedingungen sind nicht leicht. Aber das muss jetzt alles zweitrangig sein. Der Wille muss so groß sein. Man braucht ein großes Herz.“
Ein großes Herz allein, das weiß vor allem Bundestrainer Löw, wird für den Titel allerdings nicht reichen. Vor allem das noch uninspirierte Offensivspiel muss justiert werden. Bislang konnte ganz vorne lediglich Vier-Tore-Stürmer Thomas Müller hundertprozentig überzeugen. „Der letzte Pass im letzten Drittel des Spielfeldes, da müssen wir jetzt noch besser werden“, sagte Löw, der keinen Zweifel daran lassen will, den vorgezeichneten Weg zu Ende gehen zu wollen: „Vom Achtelfinale an geht es um alles oder nichts, gewinnen oder nach Hause fahren. Das ist jetzt WM.“
Auch bei der Weltmeisterschaft 2010 in Südafrika kam Löws Mannschaft erst nach einer wechselhaften Vorrunde (4:0 gegen Australien, 0:1 gegen Serbien, 1:0 gegen Ghana) in der K.-o.-Phase auf Betriebstemperatur – bis Spanien beim 0:1 im Halbfinale den Finaltraum zerstörte. Ein Albtraum, der so nicht noch einmal vorkommen soll. Was denn jetzt noch ganz konkret fehlen würde, wurde Toni Kroos am Freitag gefragt. Der Münchner lächelte. „Ganz konkret fehlt lediglich“, sagte er, „dass wir nun nur noch vier Spiele gewinnen müssen.“