Löw überrascht mit der Aufstellung des kleinen Münchners und einer fulminanten Taktik ohne feste Positionen im Angriff. So etwas wie eine feste Position auf dem linken Flügel existiert offenbar überhaupt nicht mehr.

Salvador. Für Mario Götze begann das Spiel mit einem unerwarteten Triumph: Der Ball kam angeflogen, Götze ging hin und gewann ein Kopfballduell. Das muss hier erwähnt werden, denn es kommt gefühlt nur alle 100 Jahre einmal vor beim 1,76 Meter kleinen Münchner. Unerwähnt bleiben aber darf deshalb auch nicht, dass Götze sich für jenes Kunststück einen Gegenspieler ausgesucht hatte, der in seinem bisherigen Fußballerleben wohl noch seltener Kopfballduelle gewonnen hat als Götze selbst: Portugals Rechtsverteidiger João Pereira misst gerade 1,72 Meter.

Jene Szene aus der Anfangsphase des ersten Gruppenspiels der deutschen Nationalmannschaft gegen die Iberer hatte großen Symbolcharakter. Zum einen für die Mannschaft von Bundestrainer Joachim Löw insgesamt: Wenn der Gegner sie lässt, kann sie über sich hinauswachsen. Dann kann sie den Gegner geradezu überspringen, wie das 4:0 (3:0) gegen Portugal eindrucksvoll bewies. Aber auch für Mario Götze selbst hatte das gewonnene Kopfballduell Symbolwert: Denn jene Auseinandersetzung mit João Pereira sollte sich wenig später noch einmal wiederholen, diesmal im natürlichen Lebensraum beider Profis – am Boden –, aber erneut mit einem positiven Ausgang für Götze.

Wieder kam der Ball angeflogen, wieder ging Götze hin, doch diesmal wollte sich Pereira nicht einfach damit zufriedengeben, den Kürzeren zu ziehen. Er stieß den Deutschen ungeschickt um, und weil sich jene Szene im Strafraum zutrug, zeigte der serbische Schiedsrichter Milorad Mazic auf den Elfmeterpunkt. Thomas Müller haute den Ball in die Maschen, und Götze freute sich über seine erste Torvorbereitung bei seinem allerersten WM-Spiel. Schöner Einstand für einen, der eigentlich gar nicht auf dem Feld stehen sollte. Zumindest nicht, wenn es nach all den Experten gegangen wäre – darunter auch die Experten, die diesen Artikel verfasst haben.

Das Wehklagen über die Verletzung von Marco Reus beim allerletzten Test vor der WM hatte sich zuletzt ein bisschen gelegt, weil ein gewisser Lukas Podolski groß auftrumpfte. Vor allem sein Name wurde genannt, als es darum ging, wer Reus auf dem linken Flügel ersetzen würde. Und wenn es schon nicht der gute alte Podolski richten sollte, dann doch aber wohl der Windhund André Schürrle. Von Mario Götze war nie die Rede. Der 22-Jährige schafft es zwar, was seinen Marktwert (geschätzte 55 Millionen Euro) angeht, unter die Top Fünf der WM. Aber in die Startelf gegen Portugal schaffe er es nicht, war die These. Über Götze als Reus-Ersatz im linken Mittelfeld hatte Löw auch kein einziges Wort verloren.

Das mag daran gelegen haben, dass in Löws Überlegungen so etwas wie eine feste Position auf dem linken Flügel überhaupt nicht mehr existiert. Links nicht, auch rechts nicht und schon gar nicht ganz vorn im Sturm. Der 54-Jährige überraschte nicht nur mit der Nominierung Götzes, sondern auch mit einer konsequenten Verweigerung fester Raumzuweisungen im Angriffsspiel.

Hatte es zuvor vielerlei Spekulationen gegeben, wie Löws Offensivkonzept für das Unterfangen Titelgewinn denn nun aussehe, gegen den schwachen Cristiano Ronaldo und seine Kumpanen trat es deutlich hervor: Löw verzichtete auf seinen einzigen Stürmer im Kader, Miroslav Klose, und bot dafür mit Götze, Müller und Mesut Özil drei wieselflinke Angreifer auf, die unentwegt die Positionen tauschten, Laufwege kreuzten und so für die portugiesische Defensive um den kantigen Bruno Alves und den Fiesling Pepe nicht zu fassen waren. Nicht eine „falsche Neun“ war zu sehen. Es waren drei. Einen Kreisel schickte Löw ins Spiel, der so rasant rotierte, dass jeder aus dem Trio seine Torchance bekam.

Müller wusste seine besser zu nutzen als Özil und Götze. Er traf gleich dreimal – was ihn zum Mann des Spiels machte. Götze vergab zwei günstige Gelegenheiten, als erst Raul Meireles im ersten Durchgang noch rechtzeitig eingreifen konnte, bevor er seinen ersten WM-Treffer markierte (40. Minute). Dann scheiterte der ehemalige Dortmunder erneut in aussichtsreicher Position, als ihn der eingewechselte Schürrle in Halbzeit zwei freispielte, aber wieder ein portugiesisches Bein dazwischenfunkte (63.).

Doch auch ohne eigenen Torerfolg kann Götze seinen ersten Auftritt bei dieser WM als großen Erfolg werten. War er zuvor zwar als überaus talentiert, aber verzichtbar bewertet worden im deutschen Team, ein Phänomen übrigens, das man auch bei seinem Club FC Bayern bisweilen beobachten konnte, so dürfte er nun vorerst seinen Platz im deutschen Angriff gefunden haben.

„Vor dem Spiel haben wir uns vorgenommen, dass Thomas Müller Portugals Verteidiger Pepe und Bruno Alves häufiger aus der Abwehr herauszieht, sodass Platz in den Zwischenräumen entsteht“, erklärte Löw die Taktik. Für diese Momente sei dann Götze der richtige Spieler, um in die Spitze zu stoßen. „Mario ist ein Spieler, der gegen große Verteidiger sehr gut funktioniert“, so Löw. Weil auch Ghana, der nächste Gegner der deutschen Mannschaft am Sonnabend, über Hünen in der Abwehr verfügt, dürfte Götze erneut gute Karten für einen Platz in der Startelf haben.