Nur 36.000 Fans wollen heute den Test der deutschen Perspektivspieler in Hamburg gegen Polen sehen – Kampf um letzte Plätze im 25er-Kader.
Hamburg. Heftiger Regen hatte für zähfließenden Verkehr in Richtung Wandsbek gesorgt, weshalb Assistenztrainer Hans-Dieter Flick leicht verspätet in den Räumen von Sponsor Mercedes-Benz eintraf, um die letzten Informationen vor dem ersten Auftritt der deutschen Nationalmannschaft nach dem Ende der Bundesligasaison gegen Polen (20.45 Uhr/ZDF) zu verkünden. Bundestrainer Joachim Löw hatte seinen Redebedarf bereits am Mittwoch bei der Bekanntgabe seines vorläufigen WM-Kaders gestillt. Da das Flugzeug des angekündigten, aber fehlenden Julian Draxler nicht rechtzeitig in Hamburg eingetroffen war, lag die Frage an Flick auf der Hand, ob die anderen Akteure wohlbehalten im Mannschaftshotel Side eingetroffen wären. Aber „auf die Schnelle“, so musste der DFB-Trainer zugeben, wisse er das auch nicht.
Sicher nur eine Petitesse, die aber perfekt zum holprigen Auftakt der WM-Vorbereitung passte, bei dem viel Improvisationsgeist gefragt sein wird. Gleich zwölf Debütanten stehen im 18er-Kader, der gemeinsam auf 51 Einsätze kommt. Nur einmal war der Altersdurchschnitt einer A-Nationalmannschaft niedriger als diesmal (21,82) – 1908, beim ersten Länderspiel. Der Rekordwert an Neulingen in der Startformation datiert von 1951, als beim Länderspiel gegen Luxemburg sechs Nationalspieler debütierten.
Neben der einzigen Trainingseinheit gestern Nachmittag bleibt Bundestrainer Joachim Löw und seinem Team nur theoretischer Unterricht, um den Frischlingen die Spielphilosophie zu vermitteln. Zieler, Jung, Ginter, Hahn, Meyer, Volland – so lauten die Namen der Debütanten, die voraussichtlich heute Abend die Hymne hören werden, da sich die Bayern- und Dortmunder Profis in dieser Woche auf das DFB-Pokalfinale vorbereiten und auch die Legionäre aus Spanien, England und Italien fehlen. Das hatte sich sicher der eine oder andere Fan anders vorgestellt, als er sich eine Eintrittskarte (Preise 25 bis 80 Euro) sicherte. Ein Scouting-Länderspiel so kurz vor dem Beginn einer WM-Endrunde – absurder geht es eigentlich nicht, auch wenn es für einige Akteure darum geht, zu den 25 Auserwählten zu gehören, die ins Trainingslager nach Südtirol reisen dürfen.
Auf die Frage, ob er verstehen könne, wenn die Zuschauer diese vom DFB als Zukunftsspiel deklarierte Partie als Produktenttäuschung empfinden würden, entgegnete Flick: „Wir haben zehn Spieler aus dem erweiterten WM-Kader dabei. Die Mannschaft, die wir auf dem Platz sehen, wird mit Sicherheit tollen Fußball bieten.“ Und weiter: „Die Hamburger können sich freuen, tollen Fußball zu sehen. Die Spieler werden das Letzte aus sich herausholen.“
Pressesprecher Jens Grittner betonte zwar eilig, dass man beim DFB mit der zu erwartenden Kulisse von 36.000 Besuchern (von maximal 51.500) zufrieden sei, und schließlich befände man sich in Konkurrenz zum Relegationsspiel des HSV am Donnerstag gegen Fürth. Und doch fügt das in seiner Bedeutung so heftig kastrierte Länderspiel dem schwierigen Verhältnis zwischen der DFB-Auswahl und dem Standort Hamburg ein weiteres Kapitel zu.
Während anderswo den Elitekickern ungeteilte Zuneigung zuteil wird, musste sich die Nationalelf im neuen HSV-Stadion auch schon heftige Pfiffe und Buhrufe gefallen lassen, so geschehen 2009, als der Spannungsabfall nach der geglückten WM-Qualifikation in Russland zu einem blutleeren Auftritt gegen Finnland führte (1:1). Damals wurden Erinnerungen wach an die Buhrufe während des Länderspiels 2005 gegen China (1:0). Begeisterungsstürme erntete Joachim Löws Team dagegen zwei Jahre später, als die Niederlande mit Nationaltrainer Bert van Marwijk beim 3:0 vorgeführt wurde.
Doch bei der Verteilung von bedeutsamen Pflichtspielen ging Hamburg (der HSV kassiert 500.000 Euro Miete) seit 2009 leer aus. Dass sich an diesem Zustand vorerst nichts ändern wird, wurde deutlich, als jetzt die Spielorte für 2015 veröffentlicht wurden (Frankfurt, Leipzig, Hannover). Und auch zu dem Spiel gegen Polen, die ebenfalls ohne bekannte Namen antreten, da für diese Partie keine Abstellungspflicht besteht, kam Hamburg erst durch die Hintertür. Denn eigentlich sollte die Begegnung als Benefizspiel zugunsten der Stiftungen des Verbands am 13. Mai in der neuen Mainzer Coface-Arena stattfinden.
Erst als sich Löw kurz vor dem Abflug nach Brasilien einen Spielort im Umkreis von Frankfurt wünschte, die Commerzbank-Arena aber wegen eines Konzerts von Justin Timberlake nicht verfügbar war, wurde das Benefizspiel auf den 6. Juni in Mainz verlegt (gegen Armenien). So konnte auch ein Beschluss der DFB-Spitze, reguläre Länderspiele nur in Stadien mit einem Fassungsvermögen von mindestens 40.000 Zuschauern durchzuführen, nicht verletzt werden – und Hamburg kam als Austragungsort für Polen zum Zug.
Aber wer weiß: Vielleicht werden die 36.000 Fans ja heute wirklich den von Flick versprochenen tollen Angriffsfußball sehen und nach dem Gewinn der WM 2018 sagen: Wisst Ihr noch, am 13. Mai 2014, haben wir den Siegtorschützen im Endspiel das erste Mal spielen gesehen. Ein gutes Omen war das gestrige Training jedoch nicht. Auf der Gegengeraden des Millerntor-Stadions, wo sonst der Spruch „Kein Fußball den Faschisten“ zu sehen ist, war, nach den Abdeckarbeiten des DFB, nur noch zu lesen: „Kein Fußball“.