Der HSV-Nationalspieler spricht im Abendblatt über das böse Foul seines Halbbruders Kevin-Prince am deutschen Kapitän Michael Ballack.
Sciacca. Sein (Nach-)Name stand zuletzt riesengroß in den Schlagzeilen. Weil sein Halbbruder Kevin-Prince Boateng im englischen FA-Cup-Finale Michael Ballack brutal foulte, fällt der DFB-Kapitän für die WM in Südafrika aus. Am Mittwoch lud die Nationalmannschaft zum Medientag. HSV-Profi Jerome Boateng äußerte sich erstmals zu dem Foul und seinen Gefühlen.
Abendblatt: Herr Boateng, wie war die Trainingseinheit mit dem neuseeländischen Rugbyspieler Jonah Lomu?
Jerome Boateng: Super. Ein sehr interessanter Mensch, der schon eine Menge erreicht hat. Er hat uns erzählt, dass er sich vor Jahren einer Nierentransplantation unterzogen und trotzdem Profisport getrieben hat. Und wie seiner Nationalmannschaft vor einem großen Turnier erst der Kapitän und dann der Vizekapitän ausgefallen sind. Er hat dann das Amt übernommen, und sie sind bis ins Endspiel gekommen.
Das dürfte die Mannschaft nach Michael Ballacks Verletzung interessiert haben.
Ja, bei uns ist die Situation ähnlich. Lomu hat erläutert: Wenn ich die Kapitänsbinde übernehme, müssen alle mit mir in einer Linie stehen und dürfen sich nicht hinter mir verstecken. Das ist ein gutes Beispiel. Auch wir müssen jetzt zusammenstehen und den Ausfall von Michael Ballack kompensieren.
Ballack wurde von Ihrem Halbbruder Kevin gefoult. Ist das für Sie eine andere Situation, als wenn ein Spieler dieses Foul begangen hätte, der nicht zu Ihrer Familie zählt?
Natürlich. Es heißt zwar Halbbruder, aber Kevin ist für mich wie ein richtiger Bruder. Ich habe die Szene gesehen: Er trifft Ballack voll, das war schon ein böses Foul und auch eine Rote Karte statt der Gelben, die er gesehen hat. Mir tut es leid für Michael, es wäre wichtig gewesen, ihn dabeizuhaben. Er ist ein guter Kapitän und geht immer voran.
Hat Ballack mit Ihnen gesprochen?
Ja. Als er hierher nach Sizilien kam, habe ich ihm gesagt, dass es mir für ihn leidtue. Er hat entgegnet, dass ich mit der Sache nichts zu tun habe, ich wichtig für die Mannschaft bin und er nicht sauer auf mich ist. Das hat mir viel bedeutet. Aber als wir abends am Tisch zusammensaßen, habe ich mich trotzdem nicht wohlgefühlt.
Hatten Sie auch Kontakt zu Kevin?
Ich habe ihm eine SMS geschrieben und gefragt, wie es ihm geht und was da passiert ist. Er schrieb, dass er okay wäre, es ihm leidtue und er nicht gewollt habe, dass so etwas Schlimmes passiert. Ich habe ihm geraten, sich noch einmal persönlich zu entschuldigen. Ob das geschehen ist, weiß ich nicht.
Am 23. Juni trifft Deutschland im letzten Vorrundenspiel auf Ghana, für das Ihr Halbbruder wohl spielen wird.
Wenn ich zum Einsatz komme, wird es etwas Besonderes sein, erst recht, falls mein Bruder auch mitspielt. Wir haben zwar schon öfter gegeneinander gespielt, aber natürlich noch nie auf solch einem Niveau. Mein Vater wird auf der Tribüne sitzen und sehr stolz sein.
Viele Fans unterstellen Kevin Absicht, weil er den deutschen Kapitän vor der WM verletzt hat.
Man macht sich doch vor einem Spiel keinen Plan, wen man jetzt im Hinblick auf die WM verletzen könnte, um dann in Südafrika einen Vorteil zu haben. Das ist zu weit hergeholt. Aber ich habe Verständnis für die Wut der Fans.
Im Internet gründen sich Gruppen wie "82 Millionen gegen Kevin Boateng".
Michael Ballack hat viel für dieses Land geleistet. Ich verstehe, dass die Fans wütend sind, zumal Kevin ja schon vorher nicht den besten Ruf hatte. Aber man sollte es auch nicht übertreiben. Es tut ihm leid, und er würde es gern rückgängig machen, was passiert ist.
Sie gelten als Teamplayer, Kevin als aggressiver Einzelgänger. Wie kommt es, dass Sie so unterschiedlich sind?
Brüder sind nun mal nicht immer gleich. Wir sind ja auch nicht zusammen aufgewachsen. Er ist im Wedding (Berliner Problembezirk, die Red. ) groß geworden und hat es im Leben bestimmt schwerer gehabt als ich. Darum habe ich Respekt dafür, dass er sich da rausgekämpft hat und Fußballer geworden ist.
Wie ist Ihr Verhältnis zu ihm? Es hieß mal, es sei gestört.
Wir haben Kontakt. Natürlich nicht mehr so wie damals, als wir beide bei Hertha BSC gespielt und in Berlin gewohnt haben. Seit er nach England gegangen ist, ist der Kontakt weniger geworden. Aber er ist und bleibt mein Bruder - egal, was er macht.
Ihr Vater soll angedeutet haben, dass Ballack und Kevin noch eine alte Rechnung zu begleichen hatten.
Ich habe mit ihm gesprochen. Er sagt, dass er so etwas nie in dieser Form gesagt hat, und ich glaube ihm.
Warum fällt Kevin so oft durch grobe Fouls auf?
Er spielt sehr aggressiv und geht immer voll drauf. Aber mit solchen Aktionen macht er sich das Leben selbst schwer. Ich kenne ihn und weiß, dass er es nicht mit Absicht macht. Er hat seinen Ruf weg, und wenn dann etwas passiert, heißt es: "Kevin Boateng, der Treter".