Co-Trainer Hans-Dieter Flick über die Zusammenarbeit mit Bundestrainer Joachim Löw und seine Taktik-Mappe

Erasmia. Er ist der Mann an der Seite von Bundestrainer Joachim Löw: Hans-Dieter Flick, 45. Das Abendblatt bat den deutschen Co-Trainer zum Interview.

Abendblatt:

Herr Flick, verraten Sie doch mal, was in der Mappe steht, die Sie immer während der Spiele bei sich tragen.

Hans-Dieter Flick:

Ganz einfach: alle möglichen Strategien, Aufgabenverteilungen bei Standards, Informationen für Einwechselspieler, die sie kurz vor ihrem Einsatz noch einmal verinnerlichen können. Und alle für uns relevanten Daten über den Gegner.

Das heißt, Sie spielen alle denkbaren Konstellationen in der Theorie durch?

Wenn ein Spiel hektisch wird, ist es wichtig, die Ruhe zu bewahren. Da kann es hilfreich sein, wenn man im Zweifel eine Erinnerungsstütze hat und nachschauen kann: Was wollten wir? Wurde es umgesetzt? Müssen wir vielleicht in der Pause etwas dran drehen? Joachim Löw benutzt auch gelegentlich seinen kleinen Block, aber grundsätzlich schreibe ich die Dinge auf. In der Kabine besprechen wir kurz das Geschehene, und dann geht's vor die Mannschaft.

Sind Sie auch für den Fall gewappnet, dass Löw einmal auf die Tribüne gehen muss?

Ich sage es mal so: Unsere Antennen sind sehr, sehr sensibel geworden. Wir versuchen, die Dinge rechtzeitig zu entschärfen. Das andere wäre aber auch kein Problem.

Wäre es für Sie denkbar, als Chef auf der Bank zu sitzen? Theo Zwanziger nannte Sie als möglichen Nachfolger.

Das ehrt mich natürlich, aber das sind Dinge, über die wir uns keine Gedanken machen, weil wir erst einmal eine gute WM spielen wollen.

Ist Ihre Zukunft unmittelbar verknüpft mit Löw oder könnte es mal den Cheftrainer Flick in der Bundesliga geben?

Letzteres mit Sicherheit. Aber uns macht es Spaß, gemeinsam zu arbeiten. Ich habe nicht das Gefühl, dass wir als Team am Ende angekommen sind.

Bei der WM 2006 war die Rollenverteilung beim Trainerstab eher so, dass sich Jürgen Klinsmann als Motivator betätigte, während sich Löw eher um das Taktische und Trainingsinhalte kümmerte. Wie definieren Sie Ihre Rolle?

Jedenfalls bin ich kein Erfüllungsgehilfe. Ich habe ja als Trainer selbst die Spielphilosophie, Kombinationsfußball zu spielen, schon in Hoffenheim verfolgt. Jogi hat das Vertrauen, andere Menschen Dinge umsetzen zu lassen.

Löw bekommt die meiste Aufmerksamkeit, hat aber auch den meisten Stress.

Deshalb lautet meine Aufgabe und die des gesamten Teams ja auch, ihm so viel Arbeit abzunehmen, dass er sich auf die wesentlichen Dinge konzentrieren kann. Es ist doch in jedem Beruf so: Wenn du ein Chef bist und die Verantwortung für Prozesse hast, stehst du auch im Fokus.

Die ganze Nation schaut auf diese Mannschaft. Wirkt diese Aufmerksamkeit manchmal erdrückend?

Das gehört einfach dazu, damit muss man sich arrangieren. Ich war ja jahrelang Profi. Wichtig ist, seine Grenzen festzulegen.

Wo sind die bei Ihnen?

Wissen Sie, für mich war es eine wichtige Phase nach meiner Profikarriere, von dem ganzen Geschehen Fußball für längere Zeit Abstand zu gewinnen. Ich habe mit meiner Frau in der Nähe von Heidelberg ein Sportgeschäft aufgebaut, das immer noch läuft, einen Freundeskreis gefunden, auf den ich mich zu hundert Prozent verlassen kann.

Dennoch: Sie sind vier Jahre dabei. Hat Sie der Job beim DFB verändert?

Die ganze Trainerarbeit hat sich verändert. Ich empfinde es als Vorteil, dass wir über den Tellerrand hinausschauen und Entwicklungen im Fußball aufspüren können. Das ist natürlich schwieriger, wenn Sie im Tagesgeschäft stecken und Woche für Woche ein Spiel ansteht.

Sie sind schon sieben Wochen zusammen mit den Nationalspielern. Inwieweit müssen sich die Trainer auch als Entertainer betätigen?

In dem Sinne, dass es enorm wichtig ist, den Spielern ein qualitativ gutes Training anzubieten. Sie können heute nicht mehr sagen: Erst machen wir fünf gegen zwei und danach spielen wir eine Dreiviertelstunde. Die Spieler würden sofort fragen: Hey, was hat das für einen Sinn? Schließlich haben wir Jungs im Kader, die auf einem sehr hohen Niveau ausgebildet sind. Wir müssen mit einem abwechslungsreichen Training immer wieder neue Reize setzen.

Sie sind hauptverantwortlich für die Datenbank, die alle verfügbaren Werte über Spieler, auch des Gegners, erfasst. Wie ist das Verhältnis bei Entscheidungen zwischen Daten und Intuition?

Wenn wir alle Daten mit einfließen lassen würden, wäre es zu viel. Wir müssen die Informationen filtern und am Ende zwei, drei Punkte herausarbeiten.

Wie fällt die Entscheidung über die Taktik gegen Argentinien?

Üblicherweise trifft unsere Scoutingabteilung eine gewisse Vorauswahl von relevanten Videosequenzen des Gegners. Auf dieser Basis entscheiden wir dann im Team: Okay, an diesen Stellen können wir Schwerpunkte setzen. Entsprechend lassen wir dann trainieren und sprechen mit den Spielern.