Im WM-Achtelfinale gegen England könnte Jansen für Boateng auflaufen - Kroos ist eine Alternative für Schweinsteiger im Mittelfeld.

Erasmia. Beim Boxen ist es üblich, dass sich die Konkurrenten vor einem Kampf noch einmal tief in die Augen blicken, ihre Werte kontrollieren lassen und ihre Stärke demonstrativ zur Schau stellen, was gelegentlich nicht nur in verbalen Scharmützeln endet. Beim Fußball fehlt dieses öffentlichkeitswirksame Duell vor dem Duell. Eigentlich schade, weil es nicht nur putzig wäre, wenn sich 22 Spieler gegenüber ständen, sondern auch letzte Aufschlüsse geben könnte. Zum Beispiel über Blessuren. Wie die von Bastian Schweinsteiger vor dem WM-Achtelfinale gegen England (Sonntag, 16 Uhr, ARD, Liveticker auf www.abendblatt.de).

Den Münchner zwingt seit dem Ghana-Spiel eine Oberschenkelverletzung zum Pausieren - womöglich auch beim ewigen Klassiker. "Die Verletzung ist noch nicht ausgeheilt, hinter seinem Einsatz steht ein großes Fragezeichen", sagte Joachim Löw mit ernster Miene und bezeichnete Schweinsteiger als "das Herz, den Motor unseres Spiels". Ähnlich heftig wackelt Jerome Boatengs Mitwirken. Den Noch-Hamburger plagt eine Wadenverhärtung.

"90 Prozent Einsatz und 90 Prozent Gesundheit werden gegen England nicht reichen", machte der Bundestrainer klar, dass er nicht bereit ist, ein unkalkulierbares Risiko einzugehen. Für den ohnehin gegen Ghana nicht restlos überzeugenden Boateng drängt auf der linken Abwehrseite voraussichtlich Marcell Jansen in die Startelf. Auch gegen Ghana stand der HSV-Profi kurz vor einem Einsatz von Beginn an, musste sich dann aber mit einem Joker-Einsatz begnügen.

In der Mittelfeldzentrale denkt Löw laut daran, notfalls Toni Kroos für Schweinsteiger aufzubieten: "Ich könnte mir das gut vorstellen, Toni hat große technische Fertigkeiten und wirkte bei seinem Einsatz gegen Ghana überhaupt nicht nervös." Schon beim 3:0-Sieg gegen Ungarn durfte Kroos, der als Bayern-Leihgabe für Leverkusen eine starke Saison spielte, die Schweinsteiger-Ersatzrolle üben. Beim Werksklub agierte Kroos allerdings hauptsächlich auf der linken Seite. Der 20-Jährige käme gegen England erst zu seinem sechsten Länderspiel und würde den Faktor Unerfahrenheit weiter nach oben treiben, schließlich rückte auch Sami Khedira erst durch Michael Ballacks Verletzung in die Stammformation.

Zur Vorbereitung auf ein großes Spiel wie dieses gehört es im Fußball - anders als beim Boxen - häufig aber auch, den Gegner mit Lob zu überschütten und in Sicherheit zu wiegen. "Die Achse Terry, Lampard, Gerrard, Rooney, das ist die höchste Qualität, die es in Europa gibt", pries Löw die Vorzüge der Engländer und ließ sich am Freitag als Einstimmung für den Wettkampf mit den "Three Lions" - die drei Löwen zieren das englische Wappen auf dem Trikot - zugleich eine witzige Abwechslung einfallen. Während es der 50-Jährige vorzog, mit seinem Assistenten Hansi Flick Videos zu sichten, schickte er die Spieler am Vormittag nicht auf den Trainingsplatz, sondern in einen unweit von Pretoria gelegenen Löwenpark. "Gestreichelt haben wir nur die Babys, die großen Löwen haben wir nur gesehen, nicht gefühlt", sagte Kapitän Philipp Lahm und scherzte: "Am Sonntag werden wir aggressiver in die Zweikämpfe gehen." Auch Löw verbreitete gute Laune: "Es ist gut, dass alle wieder zurückgekommen sind und keiner von den Löwen gefressen wurde ..."

Uwe Seeler: "Die Engländer sind ziemlich ausgepowert"

Bliebe man in Löws Diktion, müsste man seinen tierischen Plan so charakterisieren: Vor dem Beutezug gegen Englands Löwen sollen die deutschen Jungadler alle leistungshemmenden Gedanken verscheuchen. England gegen Deutschland, das sei ein Spiel von "jugendlicher Spielfreude gegen individuelle Klasse", baut Löw weiter auf die Unbeschwertheit und Leichtigkeit, die gegen Ghana verloren schien. Ganz speziell musste sich der Trainerstab auch um Freigeist Mesut Özil kümmern, dessen Großmutter in der Türkei gestorben ist.

Gemäß seinem Motto des Handelns erwartet der Bundestrainer von seinem Team, dass es anders als gegen Serbien und Ghana offensiv konsequenter agiert: "Unsere Spielanlage war im Ansatz gut, aber im letzten Drittel des Feldes waren die Laufwege und die Präzision der Pässe nicht optimal. Uns darf es nicht passieren, dass wir unnötig den Ball verlieren und in Konter laufen. Dann sind Spieler wie Lampard oder Gerrard nicht aufzuhalten."

Nachdem die DFB-Auswahl am Sonnabendmittag in Bloemfontein gelandet ist, lässt Löw seine Spieler in der Nähe des Free-State-Stadions auf einem offiziellen Fifa-Trainingsplatz trainieren, da der Weltverband wegen des schlechten Rasenzustands ein Abschlusstraining im Spielort verboten hat. Da mindestens 25 000 Engländer und rund 10 000 Deutsche in der 200 000 Einwohner großen Stadt - weitere 600 000 Menschen leben im Umland - erwartet werden, hat Südafrikas Polizei erhöhte Sicherheitsmaßnahmen angekündigt, da nicht alle Fans im 40 911 Zuschauer fassenden Stadion Platz finden werden, das erstmals bei dieser WM ausverkauft sein wird. Bleibt nur zu hoffen, dass es - wie beim Boxen - keine Prügel gibt. Weder für die Fans noch für das deutsche Team.