Der Verteidiger darf im Achtelfinal-Rückspiel gegen Twente auflaufen. Hannover 96 ist am Donnerstag kurzfristig ganz nah dran am Pokal.

Gelsenkirchen/Hannover. Huub Stevens kann sich eine flammende Kabinen-Ansprache vor dem zweiten Duell mit dem FC Twente sparen. Nach den Vorkommnissen beim 0:1 in Enschede haben die Profis des FC Schalke 04 eine Extradosis Motivation nicht nötig – auch wenn die Uefa die endgültige Entscheidung über die Sperre von Joel Matip vertagte und den Innenverteidiger im Achtelfinal-Rückspiel der Europa League nun doch mitmachen lässt.

„Wir sind alle brutal heiß“, sagte Torhüter Timo Hildebrand vor dem Duell in der heimischen Arena am Donnerstag (21.05 Uhr/Sky und kabel eins). Mit dem Publikum im Rücken will der Revierclub das ungerechte Hinspielergebnis wettmachen und ins Viertelfinale einziehen. „Die Fans werden voll hinter uns stehen. Wir werden ein Feuerwerk abbrennen“, versprach Lewis Holtby. Clubchef Clemens Tönnies appellierte an die Spieler, alles für die nächste Runde zu tun. „Alle wissen, worum es geht. Und da sie sehr gerne international dabei sind, gehe ich davon aus, dass sie beherzt ans Werk gehen.“

Überraschend verschob die Europäische Fußball-Union am Mittwoch nach dem neuerlichen Schalker Einspruch das endgültige Urteil gegen Matip. Tags zuvor hatte die Uefa-Disziplinarkommission den Einspruch noch abgewiesen und die Sperre des Nationalspielers aus Kamerun bestätigt. Matip soll Twentes Stürmer Luuk de Jong im Strafraum regelwidrig zu Fall gebracht haben. Der schottische Schiedsrichter Craig Thomson hatte dies als Notbremse gewertet und Matip „Rot“ gezeigt. Den Elfmeter verwandelte de Jong (61.) zum 1:0-Sieg.

Die TV-Bilder entlarvten Platzverweis und Strafstoß als krasse Fehlentscheidungen, auch wenn die Uefa noch am Dienstag argumentierte, dass ein „leichter Kontakt“ vorlag. Nun hatte der Verband ein Einsehen und traf eine salomonische Entscheidung. Wohl auch, um die „Königsblauen“ nicht ein weiteres Mal gegen den selben Gegner für ein Vergehen zu bestrafen, das keines war. Allerdings ist die Sache nicht ganz vom Tisch. Das endgültige Urteil soll am Freitag fallen. Dann werden in Nyon auch die Viertel- und Halbfinalspiele ausgelost. Sollte Matips Sperre Bestand haben, müsste der Innenverteidiger im nächsten Europacupspiel aussetzen.

Matip hatte kaum noch damit gerechnet, gegen Twente spielen zu dürfen. Er habe versucht, sich „mit dem Urteil abzufinden“, so der 20-Jährige. Nun will er mithelfen, ins Viertelfinale einzuziehen. „Eine Revanche wollen wir auf jeden Fall. Nach dem Hinspiel müssen wir zeigen, was wir wirklich können.“ Manager Horst Heldt, der sich in Enschede so echauffierte, dass er Unparteiische und Uefa-Offizielle als „Pappnasen, Heinis und Amateure“ bezeichnete, gab sich etwas besänftigt. Dass die Uefa nun den Ungarn Viktor Kassai mit der Aufgabe in der Arena betraut, kommentierte Heldt in der „Bild“ wohlwollend: „Eine gute Besetzung. Das wird ein heißes Spiel und da ist es wichtig, dass ein erfahrener Schiedsrichter mit Qualität pfeift.“

Stevens ist erleichtert, dass er Matip einsetzen kann. Nun muss der Trainer nicht erneut den gerade erst von einem Muskelfaserriss genesenen Christoph Metzelder wie beim 3:1 gegen den HSV aufs Feld schicken. Zudem sind im Gegensatz zum Hinspiel Torjäger Klaas-Jan Huntelaar und Jefferson Farfán wieder dabei. Trotz aller Revanchegelüste warnt Jermaine Jones davor, gegen das Team von Steven McClaren zu überziehen. „Nach dem Hinspiel waren wir alle unglaublich enttäuscht. Jetzt ist die Mannschaft natürlich heiß“, sagte der Mittelfeldabräumer. „Aber es wird wichtig sein, nicht mit Hass, sondern mit klarem Kopf in das Spiel zu gehen.“

Noch gilt für Hannover 96: Nur gucken, nicht anfassen

Für ein paar Stunden ist Hannover 96 dem utopischen Ziel ganz nah. Auf dem Stadionvorplatz wird vor dem Achtefinal-Rückspiel am Donnerstag gegen Standard Lüttich die Europa-League-Trophäe ausgestellt. Noch gilt: Nur gucken, nicht anfassen. Doch so mancher hofft, dass man den Pott nach dem Endspiel am 9. Mai in Bukarest für längere Zeit in der Stadt bewundern kann. „Das wäre natürlich ein Traum“, sagt Klubchef Martin Kind der Nachrichtenagentur dapd: „Aber wir gucken jetzt erstmal in Richtung Viertelfinale.“

Die Prämien bis zum Endspiel sind schon seit Wochen ausgehandelt, das Selbstvertrauen riesengroß. Daran konnte auch die 0:3-Pleite am vergangenen Bundesliga-Wochenende bei Werder Bremen nichts ändern. Europäisch will man wieder glänzen. Die Voraussetzungen für das Weiterkommen sind ausgezeichnet. Im ersten Duell mit Lüttich erkämpfte sich Hannover vor einer Woche ein 2:2. Nun würde gegen den belgischen Pokalsieger schon ein 0:0 oder 1:1 reichen, und auch Standard wäre nicht mehr als eine Durchgangsstation in Richtung Bukarest gewesen.

„Wir müssen konzentriert bleiben und die Herausforderung gewissenhaft angehen“, sagt Kind und gibt sich ganz entspannt: „Wir haben doch schon mehr erreicht, als ursprünglich geplant war. Die Saison war für die Entwicklung des Vereins sehr wichtig. Wir haben viel gelernt.“ Und jede Menge eingenommen. Nach Angaben von Kind beträgt das Umsatzplus schon vor dem möglichen Viertelfinaleinzug 15 Millionen Euro. „Das bedeutet für Hannover eine Riesenentwicklung. Wir werden erstmals einen Umsatz zwischen 70 und 80 Millionen haben. Da wird auch ein beachtenswerter Ertrag hängen bleiben“, sagt der 96-Boss, der die Vereinskasse jahrelang streng verwalten und jeden Euro zweimal umdrehen musste. Nun geht es voran. Und das Ende der Entwicklung soll noch lange nicht erreicht sein. „Es gibt noch zahlreiche Tabellen, in denen wir uns verbessern können“, sagt Kind.

Ein Beispiel ist die Uefa-Klubrangliste. Dort liegt Hannover derzeit nur auf Rang 72 und wäre demnach die schwächste der noch in der Europa League verbliebenen Mannschaften. Sogar Lüttich ist aufgrund der Ergebnisse der vergangenen Jahre fast 30 Plätze besser notiert. „Solche Tabellen beschreiben die Vergangenheit. Wir orientieren uns an der Zukunft und wollen uns in den kommenden fünf Jahren in Europa etablieren“, sagt Kind.

Gegen Standard soll das Vorhaben fortgesetzt werden. Die zuletzt angeschlagenen Jan Schlaudraff und Manuel Schmiedebach können wieder mitwirken, Torjäger Mame Diouf wird aufgrund seiner in Hinspiel erlittenen Sprunggelenksverletzung hingegen wohl ebenso fehlen wie der gelbgesperrte Artur Sobiech. Auf dem Weg zum ganz großen Traum sind das jedoch nur Petitessen. Die Trophäe vor dem Stadion lockt. „Wir haben in Mirko Slomka einen Trainer, der immer den Erfolg sucht. Der Gewinn eines solchen Pokals würde seinen Zielen sicher nicht entgegenstehen“, sagt Kind.

Mit Material von dpa und sid