Michael Gabriel, 46, ist Leiter der Koordinationsstelle Fan-Projekte in Frankfurt. Die KOS berät in Deutschland 47 sozialpädagogische Einrichtungen an 42 Standorten, die sich um junge Anhänger kümmern. Die KOS ist der Deutschen Sportjugend angegliedert und wird vom Jugendministerium und dem Deutschen Fußball-Bund finanziert.

Abendblatt:

Herr Gabriel: Sehen Sie in den Fan-Protesten eine neue Stufe der Eskalation?

Michael Gabriel:

Forderungen, Proteste und Demonstrationen von Fans hat es früher auch gegeben. Aber nun werden sie offensiver vorgetragen, da werden oftmals Grenzen überschritten. Drohungen und Trainingsbesuche in Gruppenstärke, um angeblich die Mannschaft aufzuwecken, sind neu und beunruhigend.

Abendblatt:

Wie erklären Sie sich diese Entwicklung?

Gabriel:

Alle Fans, auch die Ultras, suchen Anerkennung, sie wollen für das, was sie ihren Klubs geben, wertgeschätzt werden, Aber sie sind nicht die erste Fan-Generation, die sich von den Vereinen nicht ernst genommen fühlt. Vielen Vereinsvertretern fehlt das Verständnis für die Fan-Kultur. Bei zu vielen herrscht die Meinung vor, dass die Ultras auf den billigen Plätzen nur für Probleme sorgen.

Abendblatt:

Wie lässt sich dieses Klima ändern?

Gabriel:

Wichtig sind Kommunikation und Verständnis für die jeweils andere Position. Die Polizei muss die Mechanismen der Fan-Kultur verstehen und sich daher auch für sozialwissenschaftliche Aspekte interessieren. Wenn Maßnahmen der Polizei als differenziert und angemessen wahrgenommen werden, steigt die Akzeptanz. In Hannover hat sich ein Dialogmodell mit Kommunikationsbeamten hervorragend etabliert, auch während der WM 2006 war die Polizei erfolgreich. Wenig sichtbar, zurückhaltend und kommunikativ, aber trotzdem klare Regeln setzend.

Abendblatt:

Die Innenministerkonferenz hat personalisierte Tickets und ein verringertes Kontingent für Auswärtsfans vorgeschlagen. Was halten Sie davon?

Gabriel:

Ich dachte, die Politik sei weiter, diese Vorschläge zeugen von Hilflosigkeit. Diese einfachen Lösungen gehen in die falsche Richtung. Nicht Ausschluss, sondern stärkere Einbindung der Fans ist das Gebot der Stunde.

Abendblatt:

Wohin wird sich die Fan-Kultur entwickeln?

Gabriel:

Wenn man den Blick nach Italien wendet, sieht man, wo man landen wird, wenn man einseitig immer nur auf Repression setzt und die Potenziale der Fan-Kultur nicht einbindet. Dort ist Gewalt und Extremismus in den Kurven an der Tagesordnung. Die Fan-Szenen in Deutschland sind besser organisiert, auch die meisten Ultras sind gesprächsbereit. Der Fußball bietet den Jugendlichen eine Heimat, Zusammenhalt. Wir müssen dafür sorgen, dass sie dank ihrer Unterstützung wahrgenommen werden, nicht wegen ihrer Gewaltbereitschaft.