Cacau, Draxler, Sven Bender und ter Stegen müssen nach Hause. Nach Schweiz-Pleite sollen nun ausgerechnet die Bayern für Schwung sorgen.

Tourrettes. Als die deutschen Nationalspieler gestern Nachmittag um 17.31 Uhr auf den streng bewachten Trainingsplatz in Tourrettes trabten, sprach sich hinter dem grünen Sichtschutz unter den wartenden Fans relativ schnell herum, dass da der eine oder andere Spieler fehlen musste. Aber bereits wenige Sekunden später gab es lautstarke Entwarnung. "Der Schweini ist im Fitnesszelt", rief ein Anhänger, der durch ein Loch im Zaun Bayerns Bastian Schweinsteiger erspähte. Nur Cacau, Sven Bender, Julian Draxler und Marc-André ter Stegen konnte bis zum Ende der Einheit keiner der Kiebitze entdecken - und das aus gutem Grund.

Bereits einen Tag vor dem offiziellen Fristende hatte sich Bundestrainer Joachim Löw überraschend am frühen Nachmittag dazu entschlossen, sich mit Bender, Draxler, Cacau und ter Stegen frühzeitig auf die noch vier zu streichenden Spieler festzulegen. "Es tut mir selbstverständlich leid, dass ich nach Hause fahren muss. Aber gleichzeitig freue ich mich für meinen Bruder Lars, dass er bei der EM dabei sein wird", sagte Sven Bender, der zum Zeitpunkt des Nachmittagstrainings gemeinsam mit seinen Leidensgenossen längst auf dem Weg nach Hause war. Löw wollte sich dagegen erst heute öffentlich äußern, durfte sich aber schon gestern über den medialen Coup freuen, weil durch seine vorzeitige Entscheidung das 3:5-Debakel gegen die Schweiz vom Wochenende fast ein wenig in den Hintergrund geraten war.

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Denn lediglich aus touristischer Sicht war das verlängerte Pfingstwochenende für die deutschen Nationalspieler erfolgreich verlaufen. Dem Gemeinschaftsausflug (im Charterflieger) nach Basel am Sonnabend folgte ein Kurztrip (im Hubschrauber) nach Monaco zum Formel-1-Rennen am Sonntag. Am Montag fuhr der geschrumpfte Restkader (in Kleinbussen) dann schließlich wieder auf den nahe gelegenen Trainingsplatz ins beschauliche Tourrettes, wo - ganz unabhängig von den Streichkandidaten - die Frage beantwortet werden musste, ob und welche Lehren man sportlich aus dem ereignisreichen Wochenende ziehen konnte. "Unser Spiel gegen die Schweiz war nicht optimal, aber man darf sich auch von so einem Erlebnis nicht verrückt machen lassen", sagte gestern Sami Khedira, der davor warnte, den 90 Minuten im Basler St.-Jakob-Park eine zu große Bedeutung einzuräumen.

Auch Löw, der am Sonntag auf den Ausflug nach Monaco zugunsten einer gemeinschaftlichen Traineranalyse verzichtet hatte, wollte die heftige 3:5-Klatsche gegen die Schweiz nicht dramatisieren, aber relativieren: "Es gibt nun einiges aufzuarbeiten, denn es sind sehr viele Dinge passiert, die muss man noch mal in Ruhe vor sich ablaufen lassen und analysieren." Dabei wollte auch der Bundestrainer nicht widersprechen, dass knapp zwei Wochen vor dem EM-Auftakt am 9. Juni gegen Portugal besonders die Abwehr Grund zur Sorge gibt: "Unser Defensivverhalten war nicht gerade berauschend."

Erstmals seit über acht Jahren, als Deutschland vor der unrühmlichen EM 2004 im Test gegen Rumänien mit 1:5 unter die Räder kam, kassierte eine DFB-Auswahl erneut fünf Gegentore. Dabei war weniger die Zahl fünf an sich erschreckend, als viel mehr die Art und Weise, wie sich die beiden hüftsteifen Schwergewichte im Abwehrzentrum (Per Mertesacker und Mats Hummels) und die beiden überforderten Leichtgewichte auf den Abwehrseiten (Benedikt Höwedes und Marcel Schmelzer) von einer spielfreudigen Schweizer Auswahl, die Löw vor dem Spiel noch als "Klein-Holland" bezeichnet hatte, ausspielen ließen. Kaum auszudenken, was "Groß-Holland", also die niederländische Nationalmannschaft, im zweiten Gruppenspiel am 13. Juni mit so einer Wackelabwehr anstellen würde.

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Zu sehr wollte Löw diese theoretischen Überlegungen allerdings nicht vertiefen, da er bereits gestern ganz praktisch die Lösung vor Augen hatte. So durfte sich der Bundestrainer am 22. Trainingstag der Vorbereitung erstmals über eine Einheit mit dem gesamten EM-Kader freuen. Auch alle Bayern-Profis, die am späten Sonnabend eingetroffen waren und drei Viertel der Stammviererkette bilden sollen, waren erstmals dabei. "Die Bayern müssen eine entscheidende Rolle übernehmen", forderte Khedira, der beim nach dem verlorenen Champions-League-Finale angeknockt wirkenden Bastian Schweinsteiger Entwarnung gab: "Er redet normal, er isst normal und ich glaube, er schläft auch normal."

Während die drei von Khedira benannten Aktivitäten Schweinsteigers gestern nur schwer überprüfbar waren, konnten aber selbst die Beobachter hinter dem Sichtzaun feststellen, dass der Münchner nicht ganz so trainierte, wie er reden, essen und schlafen soll. Nach einer Einheit auf dem Ergometer konnte Schweinsteiger lediglich mit Fitnesstrainer Darcy Norman seine Runden drehen. Am Ende ließ er sich zudem von Mannschaftsarzt Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt an der linken Wade behandeln. Wirklich fit wirkte das nicht.

Trotz der Problemchen soll die EM-Generalprobe gegen Israel am Donnerstag als echter Gradmesser genutzt werden. So sollen in Leipzig möglichst alle acht Bayernspieler - auch Schweinsteiger - erst- und letztmals vor der EM zum Einsatz kommen. Der eher misslungene Ausflug in die Schweiz, von dem gestern ohnehin niemand mehr sprach, dürfte dann abgehakt sein - auch wenn ein 5:3 in Basel mit einigem Wohlwollen sogar als glückliches Omen gewertet werden darf. Bereits vor der WM 1954 erzielte die Deutsche Nationalmannschaft das gleiche Ergebnis, am gleichen Spielort gegen den gleichen Gegner. Der kleine, aber feine Unterschied: Damals gewann das DFB-Team 5:3.

Abendblatt-Redakteur Kai Schiller schreibt täglich aus Südfrankreich einen Brief an Hamburg www.abendblatt.de/schillersbriefe